Corona-Chronik, April 2021
Die Chronik dieser Pandemie hier zum Nachlesen in gesammelten Pressemeldungen.
Indien schien auf dem Weg zur Herdenimmunität zu sein
Indien schien auf dem Weg zur Herdenimmunität zu sein, nun ist das Land das Corona-Epizentrum der Welt. Was ist passiert? Die Corona-Pandemie trifft Indien mit voller Wucht. Wie konnte es dazu kommen? Eine Spurensuche.
Der Tag, an dem Indien die Pandemie für besiegt erklärte, war ein Montag Anfang Februar, und in Cyrus Dubahs Wohnung in Mumbai hatte die zweite Welle gerade begonnen. Dass wir diesen Krieg gewonnen haben, verdanken wir dem indischen Volk. Keinem Einzelnen und keiner Regierung. Die Anerkennung verdient die Nation
, sagte Premierminister Narendra Modi im Parlament. In Cyrus' Wohnung war die Mutter an Covid-19 erkrankt, der Vater, der Bruder. Und diese Pandemie, die ein Jahr lang so weit weg schien, war nun angekommen in Cyrus' Wohnung an Mumbais bester Lage, Indiens reichster Mann wohnt nur 300 Meter entfernt.
Plötzlich kannte ich ganz viele Leute, die es hatten
, sagt Cyrus, er ist 50-jährig und Computerspezialist.
Indien ist gerade das Corona-Epizentrum der Welt. Über 1,3 Milliarden Menschen leben in Indien, am Dienstag steckten sich 323 144 Personen mit dem Virus an, das ist über ein Drittel aller Covid-19-Neuinfektionen weltweit. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein: Allein in Delhi ist derzeit jeder dritte Test positiv. Das Gesundheitswesen in der Hauptstadt ist zusammengebrochen, Ärzte arbeiten rund um die Uhr, um zu retten, wer zu retten ist. Es fehlt an Sauerstoff, und Menschen ersticken.
Wie konnte es so weit kommen? Um das zu verstehen, muss man erst wissen, wie das Coronavirus in Cyrus' Wohnung gekommen ist.
Herdenimmunität in Slums
Im Februar erschien im Wissenschaftsmagazin Lancet
ein Paper, die Forscher hatten in Mumbai Antikörpertest durchgeführt. In den Slums hatten 54,1 Prozent der Bewohner bereits eine Covid-19-Infektion überstanden. Die Zahl war bemerkenswert, eine Herdenimmunität wäre mit 60 bis 70 Prozent erreicht. Indien, so glaubten Optimisten, war auf dem besten Weg dazu.
Die These war auch deshalb verlockend, weil die Corona-Zahlen in Indien ab Herbst 2020 stetig sanken. Indien war ein Corona-Rätsel. Anfang Februar fuhren die Züge in Mumbai wieder wie früher. Sandeep Juneja ist Dekan am Tata Institute of Fundamental Research, er hat am Lancet
-Paper mitgeschrieben. Als Mumbai den vollen Zugbetrieb wieder aufnahm, berechnete er ein Modell: Wir sagten eine milde zweite Welle voraus. Aber nicht so etwas.
Ende März verzeichnete der Teilstaat Maharashtra mit der Hauptstadt Mumbai wieder über 30 000 Neuinfektionen täglich. Und die zweite Welle kam wahrscheinlich nicht wegen der Züge. Cyrus' Familie fährt Auto, ich würde sagen, wir sind obere Mittelschicht
, sagt er. Die zweite Welle in Mumbai traf jene, die in der ersten Welle verschont geblieben waren, die nach dem Lockdown im vergangenen Frühling weiter daheimbleiben konnten, weil die Wohnverhältnisse und die Arbeit es zuliessen. Zahlen von Anfang April zeigen, dass 90 Prozent von Mumbais Corona-Fällen aus den Hochhäusern stammen, wo die Wohnungen zwar eng, aber teuer sind. In der zweiten Welle infizierten sich jene, welche sich mit Abnahme der Fallzahlen in Sicherheit wiegten – nach Goa reisten, die Bars besuchten, die Klubs.
Wie aber wurde Mumbai zum Corona-Hotspot? Die Antwort liegt weiter im Landesinneren, rund 700 Kilometer entfernt, aber noch immer im selben Teilstaat, Maharashtra. Im Distrikt Amravati hatte sich im März ein Corona-Cluster gebildet. Wir haben das auch in England gesehen. Von Kent kam die zweite Welle nach London. So war es auch in Maharashtra: Von ländlichen Gebieten kam das Virus in die Stadt. Und in der Enge Mumbais vermehrte es sich
, sagt Shashank Jhoshi, er ist Mitglied der Maharahstra-Covid-19-Task-Force.
Amravati ist eine Provinz im ländlichen Indien, und wer in den vergangenen Wochen in solchen Regionen unterwegs war, sah kaum jemanden, der eine Maske trug. Sobald man die Städte verliess, nahm man sie ab, als könnte man das Virus mit dem letzten Stau hinter sich lassen. Tatsächlich dürften sich in vielen ländlichen Regionen Viruscluster gebildet haben. Dass sie unentdeckt blieben, ist auf die Corona-Politik der indischen Regierung zurückzuführen.
Stigma als Problem
Einer der ersten Covid-19-Hotspots war im März 2020 eine Versammlung der muslimischen Glaubensgemeinschaft Tablighi Jamaat in Delhi. Wochenlang beschuldigte Indiens Hindu-nationalistische Regierung die Muslime, das Virus absichtlich zu verbreiten. So erhielt eine Corona-Infektion in Indien von Anfang an ein Stigma: Eine Infektion heisst, man ist schuldig, man will etwas Böses
, sagt Thiagarajan Sundararaman. Der Epidemiologe ist ehemaliger Direktor des staatlichen National Health Systems Resource Centre.
Das Stigma habe dazu geführt, dass Menschen im ländlichen Indien Covid-19-Fälle nicht gemeldet hätten und sich nicht hätten testen lassen, wenn sie krank gewesen seien. In Tamil Nadu hat mir jemand gesagt, er sterbe lieber, als sich testen zu lassen. Er wolle keine Schande über die Familie bringen
, sagt Sundararaman. Das Contact-Tracing in den Dörfern übernahmen oft Polizisten, als wäre eine Infektion ein Kriminalfall, den es aufzuklären gibt.
Aus dem ländlichen Indien kam das Virus nach Mumbai, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die zweite Welle auch die Hauptstadt Delhi treffen würde.
Die spielen nur Theater
Bharti Chetiwal wartet am Montagnachmittag vor dem Lok Nayak Hospital, Delhis grösstem Covid-19-Spital. Ihr Mann Keval, 70-jährig, sitzt neben ihr am Boden, er röchelt. Manchmal liegt er nur auf dem Asphalt. Er habe gestern Atemprobleme bekommen, sagt Chetiwal, die Ambulanz hat uns hier abgeladen, aber sie nehmen uns nicht ernst
. Der Sicherheitsmann am Eisentor verscheucht Chetiwal mit seinem Bambusstock. Die spielen Theater
, sagt er. Das Spital sei voll, es habe bereits doppelt so viele Patienten aufgenommen, wie eigentlich möglich sei, Anweisung von oben: Nur noch absolute Notfälle dürfen hinein.
Offiziell sterben in Indien gemäss dem 7-Tage-Durchschnitt täglich über 2000 Personen. Es gibt aber zahlreiche Hinweise, dass die tatsächliche Todeszahl um einiges höher liegt.
Delhis Gesundheitsinfrastruktur ist unter der Last der Covid-19-Patienten zusammengebrochen. Jeden Tag melden Spitäler, ihnen gehe der Sauerstoff aus. Das Versagen der Regierung ist hier so eklatant, dass sich die Menschen nun selber helfen: Über Whatsapp werden Listen verschickt, auf denen verzeichnet ist, wo man noch eine Flasche Sauerstoff bekommt, die sozialen Netzwerke sind voll von Hilfeschreien, weil Menschen für eine Mutter oder einen Onkel ein Spitalbett suchen. Die sozialen Netzwerke sind auch voll von Fotos jener Menschen, für die jede Hilfe zu spät kam.
Wie schlecht Indien auf die zweite Welle vorbereitet war, offenbarte vergangene Woche eine Recherche des Portals Scroll.in
. 162 Anlagen zur Aufbereitung von medizinischem Sauerstoff wollte die Regierung in Spitälern bauen lassen, das Geld kam aus dem PM Cares Fund – dem Fonds, für den Unternehmen und Privatpersonen vergangenes Jahr gespendet hatten, im Glauben, ihr Geld fliesse in die Pandemiebekämpfung. Im Oktober wurde der Auftrag ausgeschrieben. Die Scroll.in
-Recherche offenbarte: Nur ein Bruchteil der Sauerstoffanlagen wurde danach gebaut. Stunden nachdem der Artikel veröffentlicht worden war, reagierte die Regierung, 33 der 162 geplanten Anlagen seien in Betrieb, bis Ende Mai sollten es 80 sein.
All die Versprechen, dass nun mehr Geld in die öffentliche Gesundheit fliessen werde – sie wurden nicht eingelöst
, sagt der Epidemiologe Sundararaman. Der Innenminister Amit Shah, der während der ersten Welle noch als Krisenmanager auftrat, war tagelang auf Wahlkampftour. Im Mai sind Wahlen im Teilstaat Westbengalen, Narendra Modis Partei BJP will in dem Staat unbedingt zum ersten Mal gewinnen. Nicht nur sie organisierte Wahlkampfveranstaltungen mit Tausenden Menschen und ohne Schutzmassnahmen, auch die anderen Parteien hielten sich nicht an Covid-19-Vorschriften. Sundararaman sagt: Alles wurde dem Narrativ untergeordnet, dass wir anders sind, dass wir diese Pandemie besiegt haben. Sie hätten wissen müssen: In jedem Land gibt es eine zweite Welle.
Keine Welle, eine Wand
Wir haben eine zweite Welle erwartet. Aber nicht solche Zahlen
, sagt Shashank Jhoshi von der Covid-19-Task-Force in Maharashtra. Niemand konnte das erwarten.
Indien hat keine Covid-19-Kurve mehr, Indien hat eine Covid-19-Wand, die Fallzahlen steigen fast senkrecht.
Das rasante Wachstum lässt die Forscher rätseln. Jene, die das Rätsel lösen sollen, haben sich hinter der etwas sperrigen Abkürzung INSACOG zusammengefunden. INSACOG sind zehn Labors in Indien, die sich um die Gensequenzierung kümmern sollen. Vor allem sollen sie der indischen Variante B1.617 auf die Spur kommen.
Bis vergangene Woche galt sie als variant of interest
, die erste von drei Alarmstufen bei neuen Varianten. Bis vergangene Woche war nicht gesichert, ob sich die Virusvariante schneller verbreitet als andere. Nun kann ich sagen: Sie ist ein ‹variant of concern›
, sagt Rakesh K. Mishra, er forscht am CCMB in Hyderabad und ist einer der Personen hinter INSACOG. Zweite Alarmstufe. Die Variante verbreitet sich nicht so schnell wie die britische Variante B.1.1.7. Aber allein der Fakt, dass sie sich so effizient verbreitet, macht uns Sorgen
, sagt Mishra.
Dass es durch die neue Variante zu Reinfektionen komme, habe nicht nachgewiesen werden können. Ebenfalls zeigten die Forschungsergebnisse, dass die Impfungen gegen die neue Variante wirkten, sagt Mishra.
Noch sequenzieren die Forscher nicht genug, INSACOG soll wachsen, bald sollen neue Labors dazukommen. 1000 bis 2000 Proben wolle man pro Tag analysieren, sagt Mishra. Aber viel wichtiger als die schiere Menge ist, wo wir sie sammeln: Ich will nicht 1000 Proben aus Haryana, wo mein Labor liegt, analysieren. Nur wenn wir Proben in ganz Indien sammeln, können wir das Virus überwachen. Aber das ist eine riesige Herausforderung, gerade jetzt, wo das Gesundheitssystem am Limit ist.
Die Impfherausforderung
Manchmal hilft es, sich Indien als Kontinent und nicht als Land vorzustellen. Nur so lässt sich die schiere Grösse begreifen. Maharashtra allein ist grösser als Grossbritannien. Der kleine Teilstaat Haryana hat dreimal so viele Einwohner wie die Schweiz.
Dann lässt sich auch das schiere Ausmass der Aufgabe begreifen, dieses Land, das eigentlich ein Kontinent ist, zu impfen. Über 22 Millionen Menschen sind in Indien derzeit vollständig geimpft, das sind noch keine zwei Prozent. Bereits jetzt haben einzelne Impfzentren keine Dosen mehr, mit der zweiten Welle stieg auch die Nachfrage nach dem Impfstoff sprunghaft an. Spenden aus dem Ausland sind unterwegs, die Regierung zahlt Indiens Impfproduzenten 610 Millionen Dollar, um die Produktion zu beschleunigen. Ab 1. Mai dürfen sich alle impfen lassen, die volljährig sind, nicht nur die über 45-jährigen. Es wird weiter zu Engpässen kommen, denn nun werden die Jungen zu den Impfzentren strömen, die Mehrheit der indischen Bevölkerung.
Sie wollen bereit sein. Es dürfte noch eine dritte Welle kommen. Neue Zürcher Zeitung, Andreas Babst, Delhi
Das wird sich nicht mehr umkehren
Fünf problematische Folgen des massiven Onlinehandels
Seit einem Jahr boomt der Onlinehandel wegen der Pandemie. Doch was richtet er dabei an? Von weggeworfenen Waren bis zu überquellenden Papiertonnen.
Seit Beginn der Pandemie waren Online-Shops oft die einzige Option, Möbelstücke oder einen Pullover zu kaufen. Doch so bequem wie die digitalen Möglichkeiten sind, ziehen sie auch negative Konsequenzen nach sich.
Druck auf stationäre Geschäfte
Es war ihr Jahr: Otto verschickte 33 Prozent mehr Pakete als im Vorjahr. Home24 steigerte seine Erlöse um 42 Prozent und Zalando setzte acht Milliarden Euro um.
Insgesamt stieg der Brutto-Umsatz von Waren im E-Commerce 2020 um 14,6 Prozent auf 83,3 Milliarden Euro, wie der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH) mitteilte. Diese Entwicklung wird sich nicht mehr umkehren
, sagt Verbandspräsident Gero Furchheim. Für 2021 setzt seine Branche auf ein Wachstum von 12,5 Prozent.
Die Lage für stationäre Händler wird gleichzeitig immer verheerender. Das zeigte zuletzt eine Umfrage des Handelsverbandes Deutschland (HDE) unter mehr als 2000 Händlern. Demnach sehen sich sechs von zehn Unternehmen ohne weitere staatlichen Hilfen in Insolvenzgefahr.
Und selbst wenn bald wieder mehr Kundschaft kommt: Die Menschen haben sich in den vergangenen Monaten an das Einkaufen im Netz gewöhnt. Fast drei von vier Nutzer:innen wollen laut der BEVH-Studie künftig genauso viel wie jetzt im Internet bestellen – oder sogar mehr. Vor einem Jahr hatte das nur jeder Zweite vor. Während das Geschäft boomt, werden die Arbeitsbedingungen bei Amazon und Zalando regelmäßig kritisiert. Die Unternehmen brauchen in der Logistik vor allem An- und Ungelernte, die wenig verdienen. Die Gewerkschaft Verdi bemängelt zudem die Corona-Infektionsraten in den Logistikzentren. Es lägen Fotos und Berichte von Beschäftigten vor, die zeigten, wie Hygiene, Abstandhalten und Sauberkeit vernachlässigt werden. Auch in der Zustellbranche gibt es geringe Löhne für ein hohes Pensum. Vollzeitbeschäftigte Paketboten bekamen 2020 durchschnittlich 2924 Euro im Monat. Weil sie in der gleichen Zeit immer mehr Waren ausliefern, sind sie viel öfter krank als der Durchschnittsbeschäftigte.
Retouren und weggeworfene Waren
Das T-Shirt wurde in verschiedenen Farben, die Turnschuhe in zwei Größen bestellt – 2020 haben die Deutschen rund 315 Millionen Pakete wieder zurückgeschickt. 2019 waren es 301 Millionen, wie die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg analysiert hat. Die Retourenquote ist zwar gefallen – 2019 wurden 17,8 Prozent der ausgelieferten Pakete wieder zurückgeschickt, 2020 15,9 Prozent. In der Summe sind es trotzdem mehr. Bei Kleidungsstücken geht mehr als jedes zweite bestellte Paket zurück an den Absender.
Kund:innen kostet das oft nichts, die Händler schon. Es fallen Kosten für den Transport und die Bearbeitung der Ware an. Das Kontrollieren von Makeln und erneute Verpacken ist arbeitsintensiv und rechnet sich oft nicht. 2018 deckten die Wirtschaftswoche
und das ZDF-Magazin Frontal 21 auf, dass Amazon zurückerhaltene Artikel deswegen massenhaft vernichtet.
Sie retournieren später, es wird intensiver ausprobiert
Ob sich das Verhalten der Kund:innen in der Pandemie verändert hat? Ja! Sie retournieren später, es wird intensiver ausprobiert und folglich wird auch mehr entsorgt
, sagt Björn Asdecker, Leiter des Bamberger Forschungsteams. Laut einer Analyse weist ein größerer Anteil der Retouren Gebrauchsspuren auf. Werden diese Artikel trotzdem an den nächsten Kunden geschickt? Von Zalando heißt es: Der Großteil der Käufer:innen sende die Artikel in einwandfreiem Zustand
zurück, sodass 97 Prozent aller retournierten und überprüften Artikel wieder über den Shop verkauft werden könnten. Hätten Kleidungsstücke Mängel, wie etwa einen fehlenden Knopf, würden sie im Outlet zu reduzierten Preisen angeboten.
Die Deutschen kauften letztes Jahr online viele Möbelstücke.
Bei Otto seien 90 Prozent der retournierten Kleidungsartikel nicht getragen worden und noch originalverpackt. Diese Ware könnte sofort wieder in den Verkauf. Länger getragene oder verschmutze Kleidung werde gereinigt, gebügelt und dann wieder angeboten. Auch unbeschädigte Möbel würden bei Otto erneut verschickt werden. Beschädigte Ware wird repariert. Das Prozedere bei Home24: Zurückgesendete Möbel werden angeblich in einem der fünf Outlets weiterverkauft. Gerade im Möbelsegment sind Retouren sehr teuer, weshalb es für mich wenig Sinn macht, Möbel mit Makeln auszuliefern, da dies eine weitere teure Retoure provoziert
, sagt Björn Asdecker. Was die vielen Rücksendungen noch für Konsequenzen haben? Die Umwelt wird belastet.
Unzufriedene Verbraucher
Die Angaben der Unternehmen decken sich nicht mit Bewertungen auf den Internetseiten der angeschriebenen Unternehmen, wonach durchaus Möbelstücke mit Macken geliefert werden. Das beobachtet auch die Verbraucherzentrale in Berlin. Wir haben in letzter Zeit einige Anfragen zu Problemen mit Möbelbestellungen erhalten. Oftmals geht es dabei um eine Farbe, die nicht der auf dem Bildschirm gezeigten entspricht oder Vergleichbares. Aber auch die Lieferung mangelhafter Ware war bereits Thema
, heißt es. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen würde Beschwerden über mangelhafte oder minderwertige Neuware erhalten, die im Missverhältnis zum beworbenen Angebot stehen
.
Ein weiteres Ärgernis seien die Kundendienste. Die Verbraucherzentralen in Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen schildern Fälle, bei denen eine Stornierung verweigert wird – oder der Hersteller eine Nachbesserung der kaputten Ware verspricht, aber dies nicht einhält. Außerdem hätten Käufer:innen Probleme, überhaupt Kontakt zu den Kundendiensten aufnehmen zu können und ihr Problem zu erläutern. Häufig würden Verbraucher an den Hersteller des Produkts verwiesen, obwohl der Onlineshop der Vertragspartner ist. Folglich können unzufriedene Käufer ihre mangelhafte Ware nicht zurückgeben und ihr Geld erstattet bekommen.
Eine starke Vermüllung
Deutschlands Müllabfuhren haben im vergangenen Jahr sechs Prozent mehr Plastik eingesammelt als zuvor, was auch für das Verschicken von Produkten genutzt wird. Das ergab eine Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) unter seinen Mitgliedsfirmen. Auch die Mülltonnen für Papier und Pappe quellen über. Während die Menge des grafischen Papiers, vor allem Zeitungspapier, wegen der Digitalisierung erneut zwar deutlich sank, landeten wesentlich mehr Kartons im Müll.
Schon vor der Pandemie fielen 609 Kilogramm Siedlungsabfall je Einwohner in Deutschland an. Damit lag die Menge deutlich über dem EU-Durchschnitt von rund 502 Kilogramm je Einwohner. Höhere Werte gab es nur in Dänemark (844 Kilogramm), Luxemburg, Malta und Zypern (642 Kilo). Die niedrigsten Mengen verzeichneten Rumänien (280 Kilo) und Polen (336 Kilo). Siedlungsabfall umfasst Papier und Pappe, Kunststoffe, Glas, Metalle, Lebensmittel- und Gartenabfälle sowie Textilien. Es ist all jener Müll, der in Haushalten, im Handel, Gewerbe und in Büros anfällt.
Außer-Haus-Verzehr und Versandhandel lassen gerade in Corona-Zeiten die Müllberge in der Hauptstadt weiter wachsen
, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Gerade Kunststoffe würden aber nur selten recycelt. Oft lande das Erdölprodukt in der Natur oder heize in der Müllverbrennung das Klima weiter an. Neben dem Schaden für die Umwelt und das Klima steigen mit den Abfallmengen auch die Kosten für die Stadt – und letztlich auch die Bewohner:innen. Tgs, Marie Rövekamp
Alles dicht machenund wer dahinter steckt
Bekannt durch Amthor-Affäre
Augustus Intelligence stellt Insolvenzantrag
Mit der Lobby-Affäre um den CDU-Abgeordneten Amthor wird das Unternehmen Augustus Intelligence in Deutschland bekannt. Nach dem Skandal erhärtet sich der Verdacht, das Unternehmen würde Mitarbeiter und Investoren betrügen. Nun stellt das KI-Startup einen Insolvenzantrag.
Das Startup Augustus Intelligence hat vor dem US-Gerichte in Delaware Antrag auf Insolvenz gestellt. Das Unternehmen spricht in einer Stellungsnahme von einem "bedrohlich niedrigen" Bargeldbestand. In Deutschland bekannt wurde Augustus Intelligence im Juni 2020 durch die Lobbyismus-Affäre des CDU-Abgeordneten Philipp Amthor, der beim Bundeswirtschaftsministerium für das KI-Startup geworben und dort einen Direktorenposten erhalten hatte. Nach Bekanntwerden seiner Tätigkeit trat Amthor von seiner Funktion beim Startup zurück.
Neben Amthor standen auch der ehemalige Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg oder der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen dem Unternehmen nahe. Augustus Intelligence erfreut sich zudem zahlreicher prominenter Investoren, wie die deutsche Milliardärsfamilie von Finck. Das beantragte Insolvenzverfahren in den USA ist nicht mit einer Unternehmenspleite in Deutschland vergleichbar. Es dient in erster Linie der Umstrukturierung von Schulden. Seit März ermittelt zudem die US-Börsenaufsicht gegen Augustus Intelligence. Durch den Lobbyismus-Skandal erhärtete sich der Verdacht, das Unternehmen würde Mitarbeiter und Investoren betrügen.
Das Tätigkeitsfeld des Startups ist schwer zu definieren. Nach eigenen Angaben befasst sich das Unternehmen mit künstlicher Intelligence im Bereich der Gesichtserkennung. Im Rahmen der Amthor-Affäre hatte sich das Unternehmen in einer Stellungnahme als B2B-Tech-Unternehmen beschrieben, das durchgehende, vertikal integrierte Lösungen für künstliche Intelligenz (KI)
entwickele. Sie umfassen Produkte, Dienstleistungen und Infrastruktur, die Unternehmen auf ihrem Weg unterstützen, KI anzuwenden.
Dabei liege der Schwerpunkt vor allem auf den Techniken Computer Vision
und Natural Language Processing (NLP)
.
Kaum Infos über Augustus Intelligence
Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich den Angaben zufolge in New York im One World Trade Center, mit weiteren Büros in Menlo Park, Paris und München. Rund 80 Mitarbeiter sollen beim Startup angestellt sein und es sei zu 100 Prozent von privaten Investoren finanziert, hat keine öffentlichen Schulden und erfüllt selbstverständlich sämtliche anwendbaren Regelungen und Steuervorschriften.
Das Unternehmen habe sich zur Zeit der Amthor-Enthüllungen im sogenannten Stealth Mode befunden, eine übliche Praxis im Wagniskapitalbereich bei Unternehmensgründungen in der Frühphase - vor allem in den USA
, heißt es in der Mitteilung. Damit schütze ein Startup seine Ideen, sein Team und seine Organisationsstruktur gegenüber größerer, meist über mehr Ressourcen verfügender Konkurrenz.
Das sei der Grund gewesen, weshalb Mitarbeiter von Augustus Intelligence zu diesem Zeitpunkt ihren Arbeitgeber nicht auf LinkedIn oder ähnlichen Plattformen veröffentlichen, Büros nicht aktiv beworben werden und online bisher noch vergleichsweise wenig Informationen zu finden sind
. Quelle: ntv.de, mba
Alles dicht machen
Wer steckt hinter der umstrittenen Corona-Aktion?
Mehr als 50 Schauspieler haben die Corona-Debatte aufgewirbelt. Mit fragwürdigen Clips kritisieren sie die Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung. Das Netz hinter der Kampagne erscheint undurchsichtig.
Die Corona-Pandemie hält nahezu die gesamte Menschheit seit mehr als 13 Monaten in Atem. Manche Regierungen handeln strikt, andere weniger, doch in vielen Ländern der Erde herrscht Ausnahmezustand. Auch in Deutschland ist seit März 2020 nichts mehr so, wie es vorher war.
Dass das für alle gut 83 Millionen Bundesbürger schwer zu ertragen ist, ist nachvollziehbar. Mehr als 80.000 an oder mit Covid-19 gestorbene Menschen hat das Land bereits zu beklagen, Intensivmediziner, Pfleger, Ärzte und viele mehr arbeiten seit einem Jahr am Rande ihrer Belastungsgrenze. Nur logisch, dass an diesem Zustand und an dem Krisenmanagement der Regierung auch Kritik geäußert wird.
Bernd Wunder hatte offenbar Unterstützung
Die Alles dicht machen
-Aktion, die am Donnerstagabend online ging, stellt dennoch eine Zäsur dar. Kaum eine Kritik hat für derart viel Wirbel gesorgt, wie die zunächst von mehr als 50 Schauspielerinnen und Schauspielern veröffentlichten, fragwürdigen Clips auf YouTube – und die neu ins Leben gerufene Website "allesdichtmachen.de". Dutzende Prominente haben dort in einer koordinierten Aktion die Corona-Politik der Bundesregierung kritisiert. Doch insgesamt arbeiten in Deutschland 15.000 bis 20.000 Schauspieler und viele von ihnen zeigten sich von den Meinungsäußerungen entsetzt.
Wie gespalten die Film- und TV-Branche durch Alles dicht machen
derzeit ist, haben wir hier aufgeschrieben: Heftige Kritik von Schauspielkollegen und Beifall aus der Querdenker
-Szene.
Doch wer steckt dahinter? Recherchen von t-online zeigen, dass es sich nicht nur um den Administrator der Seite handelt, Bernd K. Wunder, der für die Orchestration verantwortlich zeichnet.
Allerdings ist er der mit Abstand offensichtlichste Berührungspunkt aller beteiligten Schauspielerinnen und Schauspieler. Er ist im Impressum der neu gegründeten Homepage als Verantwortlicher ausgewiesen. Ob er für die initiierte Kampagne allein verantwortlich ist, beantwortet er auf Anfrage von t-online nicht. Er reagiert auch nicht auf Anrufe. Eine Nachricht auf seiner Mailbox und eine E-Mail lässt er unbeantwortet. Dem Spiegel
sagte Wunder in der Nacht von Donnerstag auf Freitag immerhin noch: Das ist Kunst
und bestätigte, dass seine Firma hinter der Aktion steckt.
Doch die aufwendig durchorganisierte Aktion klingt nach großem Organisationsaufwand für einen Mann, der laut seinem Account auf der Videoplattform Vimeo
kleine Clips im Netz produziert. Zuletzt ging dort vor acht Monaten ein Trailer online. Außerdem hat Wunder offenbar an einer fünf Jahre alten Tourismus-Werbekampagne mit Philip Lahm als Testimonial mitgearbeitet und Werbeclips von Sky mit Harald Schmidt entworfen. Seine Münchner Produktionsfirma Wunder am Werk
tritt eher im Hintergrund in Erscheinung und versteht sich laut Website als kreativer Pool
von Autoren, Regisseuren und Filmredakteuren
.
Wunder selbst ist keine bekannte Größe im deutschen Unterhaltungsgeschäft. Auf einem unverifizierten Instagram-Account mit seinem Namen folgen ihm 137 Abonnenten, seine Website wunderamwerk.com
ist in der Bio verlinkt. Auf Instagram verharmloste er im Mai 2020 das Coronavirus, schrieb, man müsse während der Grippesaison Mundschutz tragen
, wenn man der Einstellung der Mundschutzknappen und selbsternannten Retter der Menschheit
folge. Zwei Monate später beschimpft er SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, als der bei Markus Lanz
über mögliche Szenarien bei Kinoschließungen spricht: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Klappe halten
, so Bernd Wunder.
Wieder einen Monat später, am 15. August 2020, sagt er über Menschen, die die Maßnahmen gegen Corona gutheißen: Der Ausdruck Coronazi ist somit absolut gerechtfertigt
. Ein in der Szene der Corona-Leugner und Querdenker
gerne verwendeter Begriff, um Leute zu diffamieren, die vor dem Virus Sars-Cov-2 warnen und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unterstützen.
Von dem Grippevergleich distanzierte er sich am Freitag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: Die Schwere einer Covid-19-Erkrankung ist mir wohl bewusst und sie mit der Grippe zu vergleichen völlig fehl am Platz.
In die Ecke von Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und Corona- und Pandemieleugnern
wolle man sich keinesfalls stellen lassen. Wunder sagte dem RND, die meisten der einminütigen Videos habe der Berliner Regisseur Dietrich Brüggemann gedreht.** Brüggemann hat offenbar auch einige Texte geschrieben, die dann von den Schauspielern nur vorgetragen wurden. Die Reaktionen auf die Videos nannte er am Freitag in einem Tweet ein bisschen faschistoid
.
t-online hat Schauspielerinnen und Schauspielern der Aktion angefragt und gebeten, die Zusammenarbeit zu erklären. Einige wollen sich nicht äußern, andere, wie Berlin Falling
-Star Ken Duken, verweisen auf ihre Statements bei Instagram, wieder andere reagieren auf unsere Bitten um Stellungnahmen gar nicht. Dass Heike Makatsch bereits ihr Video entfernen ließ mit der Begründung, sie bereue es zutiefst
und Ken Duken in seinem Statement sagt, die Aktion sei gründlich in die Hose gegangen
, zeigt aber, wie fragil das ganze Konzept offenbar gestaltet war.
Vor Social-Media-Kampagne bereits Unterstützer
Auffällig ist, wer umgehend die Kampagne unterstützt hat: Teile der AfD, der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, und Querdenker
-Mitbegründer Michael Ballweg waren schnell mit an Bord, als es darum ging, die Aktion in den sozialen Medien zu verbreiten.
Der erste, der Medien darauf stoßen und so weitere Verbreitung schaffen wollte, war der Arzt und Publizist Paul Brandenburg, Vorsitzender eines Vereins, der sich 1bis19 – Initiative für Grundrechte und Rechtsstaat e.V.
nennt und auch regelmäßig bei Corona-Protesten demonstriert hat. Brandenburg setzte am Donnerstag um 18.45 Uhr einen Tweet mit Link zu der Homepage ab und markierte darin die Accounts großer Medien. Er sprach vom Wahnsinn der Corona-Politik
. Zu diesem Zeitpunkt war die Kampagne erst wenige Minuten online. Die früheste gespeicherte Version der Website datiert auf 18.26 Uhr, wie Recherchen von t-online belegen.
Zu dieser Zeit wurde auch zum ersten Mal über die Seite getwittert – von einem Arzt, der eigentlich der NoCovid-Bewegung für schnell wirksame Maßnahmen zur Senkung der Inzidenzen angehört. Er hatte das Video von Schauspieler Volker Bruch gesehen, das Bruch auf Instagram um 18.15 Uhr hochgeladen hatte, und sich darüber geärgert.
Die Initiative 1bis19
, bei der auch Dietrich Brüggemann mitwirkt, hat dann ab kurz nach 19 Uhr etliche der Videos auf Instagram hochgeladen. Vorsitzender Brandenburg wollte Fragen von t-online nicht beantworten, weil er Sorge habe, dass seine Aussagen tendenziös
dargestellt würden. Bereits in einem am 20. März veröffentlichten Interview hatte er gesagt, er rechne mit einem Auftritt von bekannten Schauspielern in der Öffentlichkeit: Ich persönlich glaube, wir stehen kurz davor, dass sich sehr viele outen werden, und ich freue mich.
Die Firma von Ken Duken und Bernd Wunder
Brandenburg hat wie Filmproduzent Wunder bereits länger etwas gegen den in der Corona-Leugner-Szene als Hassfigur etablierten Karl Lauterbach. Gemeinsam mit dem geschassten ehemaligen Leiter des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, verfasste er am 30. März 2021 einen offenen Brief an Lauterbach. Der SPD-Politiker falle mit extremen Meinungsbekundungen
auf, so der Vorwurf. Er solle seine politische Betätigung künftig für die Öffentlichkeit deutlich erkennbar von seiner Berufszulassung als Arzt
trennen, so die Aufforderung.
Es gibt keine Belege dafür, dass Paul Brandenburg und Bernd Wunder vor der Aktion miteinander in Kontakt standen oder sich bereits kannten. Anders ist das bei einem der beteiligten Schauspieler, Ken Duken, und Bernd Wunder. Gemeinsam gründeten sie 2004 in München die Produktionsfirma GrandHotelPictures
. Auf der Homepage heißt es zum Unternehmensverständnis dort: Wir geben unser Herzblut und wir überschreiten von Zeit zu Zeit auch Grenzen mit unseren Projekten.
Grenzüberschreitungen, die Duken nun selbst mit seinem Statement auf Instagram einräumen musste. t-online, von Steven Sowa
Tina Maria Aigner, Gianna Valentina Bauer, Volker Bruch, Dietrich Brüggemann, Jörg Bundschuh, Joseph Bundschuh, Samia Dauenhauer, Nadine Dubois, Roland Düringer, Christian Ehrich, Werner Eng, Bernd Gnann, Cem Ali Gültekin, Nina Gummich, Felix Klare, Kea Könneker, Vicky Krieps, Jan Josef Liefers, Maxim Mehmet, Thorsten Merten, Wotan Wilke Möhring, Kathrin Osterode, Jeana Paraschiva, Nina Proll, Claudia Rippe, Christine Sommer, Miriam Stein, Karoline Teska, Ulrich Tukur, Nadja Uhl, Jens Wawrczeck, Monika Anna Wojtyllo, Ramin Yazdani, Hanns Zischler. Nicht mehr dabei sind und zum Teil distanziert haben sich: Pasquale Aleardi, José Barros, Meret Becker, Peri Baumeister, Martin Brambach, Ken Duken, Ulrike Folkerts, Inka Friedrich, Markus Gläser, Heike Makatsch, Alexandra Marinescu, Richy Müller, Ben Münchow, Nicholas Ofczarek, Manuel Rubey, Trystan Pütter, Katharina Schlothauer, Kostja Ullmann.* *Die Aufzählung wurde mehrfach aktualisiert mit der Information zu zurückgezogenen Videos (Stand: 26. April, 9 Uhr).
**Der Text wurde mit Aussagen von Bernd Wunder gegenüber rnd.de aktualisiert.
Todesliste deutscher Politiker
Drosten:
Im Herbst könnten erste Nach-Impfungen nötig sein
Charité-Virologe Christian Drosten rechnet damit, dass im Herbst bereits erste Nach-Impfungen nötig sein könnten. Es könne jetzt schon geplant werden, dass in Deutschland mehr als nur sehr eng umgrenzte Risikogruppen
zum Winter hin eine einmalige Auffrischung bekommen - wie bei der Grippeschutzimpfung. Wahrscheinlich könnten dann bereits Impfstoffe mit einem Update zu neuen Varianten zum Einsatz kommen, sagte er im Podcast Coronavirus-Update
.
Bestimmte Antikörper auf der Schleimhaut von Genesenen und Geimpften ließen mit der Zeit wieder nach, erläuterte der Virologe. Es gehe aber nicht um Schwarz-Weiß-Effekte. Wie lange dieser Schleimhaut-Schutz nach einer Corona-Impfung hält, sei noch nicht bekannt. Aber in Grenzen könnten auch Geimpfte eine gewisse Zeit nach der Impfung wieder zur Weitergabe des Virus beitragen. Wie effizient diese Weitergabe ist, sei aber noch unklar.
Die bisherigen Studien zeichneten ein Bild der Corona-Impfstoffe zum Zeitpunkt relativ kurz nach der Impfung - wenn Geimpfte den optimalen Immunschutz aufgebaut haben, betonte Drosten.
Nach ein paar Monaten werde sich das Bild ändern. Dann werden diese Impfstoffe wahrscheinlich nicht mehr so gut belastbar aussehen, was die Weitergabe des Virus angeht.
Das müsse in der Öffentlichkeit mit bedacht werden. Es sollte auch nicht skandalisiert werden.
Bei Atemwegserkrankungen sei die Lage nun einmal anders als etwa bei Masern, die Immunität gegen solche Schleimhaut-Viren sei nichts Lebenslanges. Man dürfe nun auch nicht denken, dass die Pandemie nie aufhöre, betonte Drosten.
Was wir hier sehen, sind ganz normale Beobachtungen, die wir auch erwarten während sich so ein Virus einspielt und auf dem Weg ist zu einer endemischen Situation.
dpa
BKA warnt Bundestagsfraktionen vor Todesliste deutscher Politiker
Im Netz ist eine Todesliste
im Umlauf. Darauf sollen alle Bundestagsmitglieder stehen, die für die Änderung des Infektionsschutzgesetzes gestimmt haben.
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat die Bundestagsfraktionen davor gewarnt, dass über den den Messengerdienst Telegram Todesdrohungen gegen alle Abgeordneten im Internet kursieren, in der vergangenen Woche für die Änderung des Bundesinfektionsschutzgesetzes abgestimmt haben. Auf Telegram wird das Dokument mit der Bezeichnung Todesliste deutscher Politiker
verbreitet.
Es handelt sich dabei um das offizielle, namentliche Abstimmungsergebnis. Das Schreiben, in dem die Sicherheitsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion ihre Mitglieder über den Sachverhalt informiert, liegt dem Tagesspiegel vor. Die Fraktion hatte am Montag von den Listen erfahren.
Bitte meldet Euch umgehend, sollte Euch etwas direkt oder in Eurem Umfeld auffallen
, heißt es darin. Abgeordnete werden aufgefordert, sich in diesem Fall auch sofort an das BKA zu wenden.
Das BKA prüft diese Todesliste
und weist daraufhin, dass in diesem Zusammenhang noch weitere Listen im Netz aufgetaucht sind. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht das BKA keine Gefährdung für Abgeordnete des Deutschen Bundestags.
Gegen das Gesetz hatte es vergangene Woche in der Nähe des Bundestags teils gewaltsame Demonstrationen gegeben. Bei der namentlichen Abstimmung votierten 342 Abgeordnete der großen Koalition aus Union und SPD für das Gesetz, das dem Bund umfangreiche Durchgriffsrechte zusichert, wie verpflichtende Ausgangssperren von 22 Uhr bis 5 Uhr in allen Regionen mit mehr als 100 Neuninfektionen je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen. AfD, Linke und FDP stimmten dagegen, die Grünen enthielten sich mehrheitlich, gegen das Gesetz gibt es zahlreiche Verfassungsbeschwerden. Tgs
RKI registriert 22.231 Corona-Neuinfektionen und 312 neue Todesfälle - Inzidenzwert sinkt leicht
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 22.231 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 312 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen von Mittwochmorgen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 05.10 Uhr wiedergeben. Nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich. Am Mittwoch vor einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 24.884 Neuinfektionen und 331 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Mittwochmorgen bundesweit bei 160,6. Am Vortag hatte das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 167,6 angegeben, vor eine Woche hatte sie bei 160,1 gelegen.
Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 3.332.532 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit etwa 2.954.000 an. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 82.280.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht von Dienstagabend bei 0,93 (Vortag: 1,01). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 93 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Verband fordert deutlich mehr Corona-Impfstoffe für Arztpraxen
Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, fordert deutlich mehr Corona-Impfstoffe für die Arztpraxen, damit diese zügig ihre Patienten impfen können. Er hielt der Politik in der Passauer Neuen Presse
eine Bevorzugung der Impfzentren vor - die aber sei nicht nachvollziehbar. Es geht doch nicht um die Auslastung von Impfzentren, sondern um ein rasches Impfen möglichst vieler Menschen. Und die wollen mehrheitlich zu ihren Hausärzten.
Das bestehende gute Netz solcher Ärzte und auch der Fachärzte sorge dafür, dass der Impf-Turbo zünde. Deshalb muss mehr Impfstoff in die Praxen
, sagte er.
Weigeldt kritisierte zudem, die Priorisierung, also die Reihenfolge bei den Impfungen, werde im politischen Raum noch nicht richtig verstanden. Da kann es nicht um Schema F gehen. Vielmehr brauchen die Ärzte Ermessensspielräume, um zunächst all diejenigen zu impfen, die ein Risiko tragen.
Er sei zwar nicht dafür, die Priorisierung schon komplett aufzugeben. Aber die Hausärzte müssen die Möglichkeit haben, damit vernünftig und pragmatisch umzugehen und nicht stur nach Regel. Eine gewisse Flexibilität ist notwendig.
]Quelle: dpa
Kiyaks Deutschstunde:
CDU und CSU: Wie Eis in der Sonne
Es ist Zeit, eine alte Kategorie wiederzubeleben: Schamlosigkeit. Damit wären die Union, Markus Söder und Armin Laschet gegenwärtig ganz gut beschrieben. In letzter Zeit war häufig die Rede vom Populismus. Der Anlass dafür war Markus Söders Wunsch, Kanzlerkandidat der Union zu werden. Nicht nur Söders Bereitschaft, die politischen Ansichten je nach Wählerwetterlage zu ändern, seien populistisch. Er sei es auch deshalb, weil er seine Kandidatur damit begründete, in der Wählergunst so gut dazustehen. Jedenfalls besser als Armin Laschet.
Söders Argument, das ist ganz klar, war nicht überzeugend. Wählergunst ist wie Eis in der Sonne, eine total unzuverlässige Angelegenheit. Ein Politiker, der für einen Posten kandidiert und das mit Wählergunst begründet (man denke an Friedrich Merz, der mittlerweile fast jeden Satz mit Ich wurde gebeten …
beginnt), hat im Prinzip gar kein Argument. Ein Interview bei Lanz oder eine Steuerbelastung für Familien später und: Adieu Wählergunst.
Die Behauptung, dass Söder im Gegensatz zu Laschet populistisch sei, quietschte allerdings auch aus einem anderen Grund. Ist die Öffnung von Möbelhäusern mitten in einer Pandemie oder die hohen Infektionszahlen in die Schuhe von bulgarischen und rumänischen Arbeitern in der nordrhein-westfälischen Fleischindustrie zu schieben etwa weniger populistisch? Die Anbiederungen des Ministerpräsidenten von NRW an Lobbyisten und Unternehmer, das dunkle Ressentiment der "Krankheiten einschleppenden Ausländer", das ist alles was? Woran orientierten sich denn diese Ansichten? Wissenschaftliche Erkenntnisse waren es nicht. Armin Laschets Tonlage und Auftreten sind leise, und deshalb eckt er mit seiner Politik und seinen Aussagen nicht sofort an.
Populismus ist ein ziemlich schwammiges Etikett, aber keine präzise Beschreibung. Wie genau grenzt er sich eigentlich von der positiv konnotierten Volksnähe
ab?
Auch wird der Begriff herangezogen, wie es gerade passt. Mal sagt man Populismus und will damit denunzieren, dann wieder will man damit etwas normalisieren. Es gab mal eine Zeit in Deutschland, sie dauerte ungefähr zehn Jahre, da entgegnete man Demokratieschützern, die den Einzug der Rechtsextremen in den Bundestag lange vorher voraussagten: Beruhigt euch! Das sind bloß Populisten. Das meinte man nicht diskreditierend, sondern im Sinne von harmlos.
Bei der ostdeutschen rechtsradikalen Bewegung Pegida sprach man von einer populistischen Bewegung. Von Rechtspopulisten beispielsweise war die Rede, wenn es um die rechtsextreme AfD ging. Das war der politische und journalistische Versuch die Bewegungen und Tendenzen zu relativieren. Kleinzureden. Spätestens seitdem ist der Begriff Populismus für die Tonne, er versperrt den Blick auf das Tatsächliche.
Es gibt eine Kategorie, die klingt auf den ersten Blick wie eine persönliche Beleidigung, passt aber als Beschreibung für diese Art von Politikern und Phänomenen viel besser: nämlich Schamlosigkeit.
Schamlosigkeit ist eine äußerst interessante, menschliche Eigenschaft. Schamlose Menschen sind unängstliche Grenzüberschreiter. Man braucht Schamlosigkeit, um Ressentiments gegen bulgarische Leiharbeiter im Vorbeigehen in ein Mikrofon zu sprechen. Man braucht Schamlosigkeit, um wie Alice Weidel die berühmte Kopf ab
-Geste während eines Parteitags gegenüber einem Parteimitglied anzudeuten, genauso wie es einer gehörigen Portion Schamlosigkeit bedarf, um für ein Foto mit einem Baum schmusi-schmusi zu machen, wie es Markus Söder zur allgemeinen Belustigung tat, um damit zu sagen: Wählt mich statt die Grünen.
Freilich noch mehr Schamlosigkeit benötigt man, um wie er Trauerfotos in Schwarz-Weiß aus Anlass der verstorbenen Familienhündin zu posten, und mit dem Wort Asyltourismus
den ganzen Komplex um ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer oder vor Bombenhagel fliehenden Menschen zusammenzufassen.
Schamlosigkeit kann in Verbindung mit Skrupellosigkeit zu grausamen Vorhaben führen, in Verbindung mit Humor und Selbstironie zu amüsanter Unterhaltung. Aber eigentlich ist diese Schamlosigkeit in der politischen Öffentlichkeit total anstrengend. Wenn die eigenen Parteimitglieder nicht mehr regulierend eingreifen oder politische Gegner statt Widerspruch die gleichen Methoden anwenden, dann führt es zu sehr viel Show und zu sehr wenig Politik, womit auch kurz die Gegenwart beschrieben wäre. Ein Jahr Pandemie, und nur mit Mühe lassen sich sachpolitische Entscheidungen von großer Tragweite feststellen.
Früher, im Mottenkistendeutschland, hatte man sich als Politiker in gewisser Weise wenigstens im Griff, natürlich aus Angst, aber vor allem aus Scham. Man tat vieles nicht, weil das Land umstellt war von gesellschaftlichen und politischen Tabus. Heute denkt man oft, schämt sich denn eigentlich niemand mehr?
Allein diese Kandidatenkür der CDU und CSU. Merken die denn nicht, wie peinlich dieses Theater war? So wichtig kann man sich allenfalls dann nehmen, wenn die absolute Mehrheit absehbar ist. Glauben sie, dass die Wähler ihnen ihre korrupten Machenschaften rund um Lobbypolitik, Maskendeals und Geldgier nicht krummnehmen werden? Die Korruptionsvorfälle in der Union sind, so sie sich als wahr herausstellen, knallharte Kriminalität unter dem Schutzschirm parlamentarischer Immunität. Glauben sie, dass die rechtsextremen und staatsgefährdenden Tendenzen in Militär, Polizei und Justiz langfristig als klein, nichtig und eine Kette von Einzelfällen banalisiert werden können? Angesichts dieser politischen Ungeheuerlichkeiten hätte es in der Frage der Kanzlerkandidatur ein parteiinterner Prozess mit anschließender Pressemitteilung von der Union auch getan. Doch dafür hätte es einer wichtigen Eigenschaft bedurft. Scham.
Scham und Schamlosigkeit sind zweifellos altmodische Begriffe, aber das gute alte Das tut man nicht
war ein wirkungsvoller Mechanismus, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten. Eine schamvolle Gesellschaft ist eine leise Gesellschaft. Keine, die auf peinlichste Weise auf allen Kanälen Ich-Shows herausdröhnt und sich wie irre produziert und nur noch labert und präsentiert um des Laberns und Präsentierens willen. Ein leises Deutschland hätte möglicherweise mehr Muße, genau hinzuhören, genau abzuwägen und die eigentlichen Skandale auch als Skandale wahrnehmen zu können.
Zeit Online, eine Kolumne von Mely Kiyak
Nebenwirkungen von AstraZeneca: Wir Menschen müssen lernen, mit Unsicherheit zu leben
Soll ich mich trotz seltener Nebenwirkungen mit AstraZeneca impfen lassen? Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer erklärt, warum uns solche Entscheidungen überfordern können. Mehrere Bundesländer haben die Impfpriorisierung für AstraZeneca aufgehoben. Nun fragen sich Menschen, die bisher noch nicht an der Reihe gewesen wären, ob sie sich den Impfstoff verabreichen lassen sollten. Manche sind verunsichert durch die Berichte über Hirnvenenthrombosen, teils in Verbindung mit Blutplättchenmangel, die in sehr seltenen Fällen vor allem bei jüngeren Menschen nach einer Impfung auftreten können. Nach aktuellen Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts sind in Deutschland nach der Impfung mit AstraZeneca bisher zwölf Menschen infolge dieser Komplikation gestorben – unter 4,2 Millionen Geimpften. Das Risiko beträgt, auf alle Geimpften bezogen, also etwa drei auf eine Million.
ZEIT ONLINE: Herr Gigerenzer, was raten Sie Menschen, die sich unsicher sind, ob Sie sich mit AstraZeneca impfen lassen sollen?
Gerd Gigerenzer: Am wichtigsten ist, sich klarzumachen, dass es nichts gibt, was kein Risiko hat. Die Ängste vor den Nebenwirkungen hängen oft damit zusammen, dass Menschen davon ausgehen, dass ein Impfstoff ein Null-Risiko haben sollte. Das ist illusorisch. Man muss Risiken gegen Risiken abwägen, konkret das Risiko von Nebenwirkungen gegen jenes, schwer an Covid-19 zu erkranken. Diese Abwägung fällt je nach Alter und Geschlecht anders aus. Die seltenen Blutgerinnsel treten, nach dem, was man bisher weiß – vor allem bei jüngeren Frauen häufiger auf, als man es statistisch erwarten würde. Aber das heißt nicht, dass sie häufig auftreten: Sie sind extrem selten. Bei der Abwägung spielt aber natürlich auch eine Rolle, wie hoch das Risiko ist, schwer an Covid-19 zu erkranken.
ZEIT ONLINE: Forschende der Universität Cambridge haben versucht, dieses Risiko dem Risiko für Nebenwirkungen durch die Impfung von AstraZeneca gegenüberzustellen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass einzig unter Menschen, die dem Virus nur in geringem Maß ausgesetzt sind, und bei einer 7-Tage-Inzidenz von 140 pro 100.000 Einwohnern in der Gruppe der 20-29-Jährigen das Risiko durch die Impfung knapp überwiegt. Bei allen anderen Altersgruppen überwiegt stets deutlich das Risiko, wegen Covid-19 auf einer Intensivstation behandelt werden zu müssen. Das gilt erst recht bei höherer Inzidenz und Exposition gegenüber dem Virus. Warum haben viele trotzdem so viel Sorge vor Nebenwirkungen?
Gigerenzer: Vielen Menschen mangelt es leider an Risikokompetenz, weil unsere Bildungspolitik das nicht vorsieht. Wir lehren unseren Kindern in der Schule bisher nicht, wie man statistisch denkt und Risiken abwägt. Außerdem reden wir zu viel über die schweren Nebenwirkungen. So entsteht der Eindruck, dass sie viel häufiger auftreten, als es eigentlich der Fall ist. Dabei werden einige, die die Impfung jetzt aus Sorge verschieben, zu den Unglücklichen gehören, schwer an Covid-19 zu erkranken. Nur scheint dieses Risiko für viele eben vergleichsweise abstrakt, wenn ständig über die Nebenwirkungen eines Impfstoffs gesprochen wird. Mit der Folge, dass sich die Menschen an alle möglichen anderen Überlegungen hängen.
ZEIT ONLINE: Was meinen Sie?
Gigerenzer: Das reicht von der Überzeugung, AstraZeneca sei nicht sicher, bis hin zu nationalen Einstellungen. Menschen in Großbritannien vertrauen am ehesten dem Impfstoff von AstraZeneca, also ihrem eigenen Impfstoff. Die Deutschen vertrauen BioNTech am meisten, sie sehen ihn als ihren Impfstoff an. Und in einigen ostdeutschen Bundesländern sehen wir, wie dort das Vertrauen in Sputnik V schon ziemlich groß zu sein scheint, obwohl es zu diesem Impfstoff bisher noch nicht genügend Daten gibt. Da spielt auch die historische Nähe zu Russland eine Rolle.
Ich würde mir künftig eine andere Berichterstattung wünschen
ZEIT ONLINE: Sie sprechen von emotionalen Bewertungen. Ist der Mensch überhaupt in der Lage, Risiken von 1:100.000 einschätzen zu können?
Gigerenzer: Es stimmt, dass den meisten Menschen das intuitiv schwer fällt. Aber es gibt Wege, Risiken zu veranschaulichen, zum Beispiel durch Darstellungen, die Risiken gegenüberstellen, oder auch durch Grafiken. Wir vom Harding-Zentrum für Risikokompetenz erarbeiten solche Faktenboxen gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut und stellen sie auf unserer Webseite zur Verfügung. Wichtig sind auch Vergleiche mit Risiken, die die Menschen kennen, beispielsweise mit den Nebenwirkungen durch Medikamente. Die besten Vergleiche sind solche, die nah am Thema sind, aber auch Vergleiche aus dem Alltagsleben helfen, zum Beispiel das Risiko beim Autofahren. Solche Risiken gehen viele von uns täglich ein, ohne darüber nachzudenken. Das eingangs erwähnte Risiko von drei Todesfällen pro einer Million Impfungen mit AstraZeneca entspricht etwa dem Risiko, innerhalb eines Jahres durch einen abgelenkten Autofahrer ums Leben zu kommen.
ZEIT ONLINE: Auch wenn das Risiko von Nebenwirkungen nach einer AstraZeneca-Impfung sehr gering ist: Man könnte ja entgegnen, dass es mRNA-Impfstoffe gibt, bei denen das Risiko noch viel geringer ist. Was spricht dagegen, darauf zu warten und sich im Zweifel noch ein, zwei Monate vorsichtig zu verhalten, sodass man sich nicht ansteckt, und dann einen anderen Impfstoff zu nehmen?
Gigerenzer: Zwei Gründe: Solidarität und das Risiko, später geimpft zu werden und dadurch an Covid-19 zu erkranken. Ich spreche jetzt vor allem von Menschen ab 60, für die das Risiko von Nebenwirkungen nach einer AstraZeneca-Impfung extrem gering ist. Auch wenn sie meinen, dass AstraZeneca nur der zweitbeste Impfstoff sei, sollten sie sich damit impfen lassen, um jemand Jüngerem den mRNA-Impfstoff nicht wegzunehmen. Denn noch ist die Priorisierung ja nicht überall aufgehoben. Es gibt derzeit noch nicht genügend Impfstoff, damit sich alle sofort mit einem mRNA-Impfstoff impfen lassen können. Es heißt also nicht: AstraZeneca oder BioNTech, sondern wenn man sich jetzt gegen AstraZeneca entscheidet, bedeutet es, dass man eine gewisse Zeit später geimpft wird. In dieser Zeit gibt es ein Risiko, an Covid-19 zu erkranken.
ZEIT ONLINE: Welche Rolle spielt es, dass Medien breit über mögliche Nebenwirkungen berichten?
Gigerenzer: Manche Medien sind an der Situation nicht ganz unschuldig. Ich würde mir künftig eine andere Berichterstattung wünschen. Statt zu schreiben: Große Aufregung um AstraZeneca wegen neuer Fälle von Thrombosen
sollten Medien versuchen, das Risiko einzuordnen und dem Risiko durch Corona gegenüberzustellen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es eine absolute Sicherheit geben kann. Es ist wichtig, dass wir Menschen selbst anfangen nachzudenken und mit Unsicherheit leben lernen. Zeit Online, Interview: Florian Schumann
Brasilien untersagt Import von Sputnik V
Brasiliens nationale Behörde für Gesundheitsüberwachung (Anvisa) hat sich gegen die Einfuhr des russischen Corona-Impfstoffes Sputnik V ausgesprochen. Es mangele an konsistenten und zuverlässigen Daten
, hieß es am späten Montagabend (Ortszeit) zur Begründung in einer Mitteilung. Die Entscheidung sei nach rund fünfstündigen Beratungen einstimmig gefallen. Anvisa-Direktor Alex Machado Campos betonte allerdings, der Beschluss sei nur eine Momentaufnahme.
Unzulänglichkeiten wurden laut der Mitteilung auf Grundlage der bislang auswertbaren Daten sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Herstellung des Vektorimpfstoffes festgestellt. Dies schließe alle drei Phasen der klinischen Tests des Präparats ein. Außerdem gibt es keine oder nur unzureichende Daten zur Qualitätskontrolle, Sicherheit und Wirksamkeit
, schreibt die Behörde. Bislang hatten 14 Bundesstaaten im größten Land Lateinamerikas angesichts der dramatischen Corona-Lage um eine Einfuhr von Sputnik V gebeten.
Brasilien mit seinen rund 210 Millionen Einwohnern ist einer der Brennpunkte der Corona-Pandemie. Bislang haben sich dort nach Angaben des Gesundheitsministeriums mehr als 14 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert, rund 390.000 Patienten sind im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben.
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte Anfang März ein Prüfverfahren für Sputnik V im Zuge einer sogenannten Rolling Review begonnen. Dabei werden Testergebnisse bereits geprüft, auch wenn noch nicht alle Daten vorliegen und noch kein Zulassungsantrag gestellt wurde. Sputnik ist nach Angaben aus Moskau bereits in 60 Ländern registriert. Auch Deutschland führt Gespräche über mögliche Lieferungen des Impfstoffs.
Zuletzt hatte Indien Sputnik V eine Notzulassung erteilt, nachdem es in absoluten Zahlen Brasilien überholt und somit nach den USA zu dem am meisten von Corona betroffenen Land weltweit geworden war. dpa
Indien meldet mehr als 352.000 Neuinfektionen
Indien meldet mit 352.991 Corona-Neuinfektionen den fünften Tag in Folge einen weltweiten Höchstwert. Zudem steigt die Zahl der Todesfälle in Verbindung mit dem Virus binnen 24 Stunden um von 2812 auf insgesamt 195.123 - so stark wie noch nie in dem südasiatischen Land, wie das Gesundheitsministerium in Neu-Delhi mitteilt.
Mit mehr als 17 Millionen bestätigten Infektionen weist Indien weltweit die zweitmeisten Ansteckungen nach den USA auf. In Indien mit seinen rund 1,35 Milliarden Einwohnern nimmt die zweite Corona-Welle immer größere Ausmaße an. Viele Kliniken sind überlastet und der Sauerstoff zur Behandlung von Covid-19-Patienten wird knapp. Mehrere Länder haben Indien Hilfe angeboten. Reuters
Maas und Merkel sichern Indien Hilfe zu
Deutschland sichert Indien im Kampf gegen die Corona-Pandemie Hilfe zu. Innerhalb der Bundesregierung und im Gespräch mit Unternehmen würden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um schnellstmöglich, etwa mit Sauerstoff und Medikamenten, unterstützen zu können, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post
. Zuvor hatte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Unterstützungsmission angekündigt.
Ich möchte den Menschen in Indien mein Mitgefühl für das schreckliche Leid ausdrücken, das Covid-19 erneut über ihr Land gebracht hat
, erklärte Merkel am Sonntag in Berlin angesichts der Folgen der Virusmutation in dem asiatischen Land: Der Kampf gegen die Pandemie ist unser gemeinsamer Kampf. Deutschland steht Seite an Seite in Solidarität mit Indien.
Maas sagte der Rheinischen Post
: Gerade überrollt die zweite Welle Indien mit bislang ungekannter Kraft. Es war richtig, dass wir schnell gehandelt haben, um den Eintrag der neuen Mutation nach Deutschland zu stoppen.
Genauso wichtig sei es, Indien jetzt nach Kräften zu helfen, die Notlage zu überwinden. epd
Spahn wirbt Pflegekräfte aus dem Ausland an
Trotz der weltweit herrschenden Personalnot in der Pflege hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einem Medienbericht zufolge auch während der Corona-Pandemie weiter Pflegekräfte aus dem Ausland anwerben lassen. Das berichtet das RedaktionsNetzwerk Deutschland
unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion. Danach seien 2020 im Rahmen des sogenannten Triple-Win-Programms
insgesamt 759 Pflegekräfte angeworben worden, darunter 234 aus Vietnam, 210 von den Philippinen, 156 aus Bosnien und Herzegowina, 127 aus Tunesien und 32 aus Serbien. 593 ausländische Pflegekräfte reisten nach der Erledigung der Formalitäten im vergangenen Jahr schließlich nach Deutschland ein. Das sei ein Anstieg um 30 Prozent gegenüber 2019, als 453 Pflegekräfte nach Deutschland kamen. Reuters
Wie ich geimpft werden möchte
Video - so macht impfen Spaß …
Zahl der Neuinfektionen gesunken, Todeszahl gestiegen
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 18.773 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das geht aus Zahlen des RKI von Sonntagmorgen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 04:58 Uhr wiedergeben. Deutschlandweit wurden nach RKI-Angaben innerhalb von 24 Stunden 120 neue Todesfälle verzeichnet. Nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich. Am Sonntag sind die vom RKI gemeldeten Fallzahlen meist niedriger, unter anderem weil am Wochenende weniger getestet wird.
Am Sonntag vor einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 19.185 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 67 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Sonntagmorgen bundesweit bei 165,6. Am Vortag hatte das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 164,4 angegeben, am Sonntag vergangener Woche mit 162,3, vor vier Wochen (28.3.) mit 129,7.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag nach dem RKI-Lagebericht von Samstagnachmittag bei 1,09 (Vortag: 1,08). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 109 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Mann auf Mallorca infiziert mindestens 22 Menschen
Auf Mallorca ist ein Inselbewohner wegen des Vorwurfs der Körperverletzung festgenommen worden, nachdem er trotz Corona-Symptomen zur Arbeit sowie ins Sportstudio gegangen war und mindestens 22 Menschen infiziert haben soll. Wie die spanische Polizei am Samstag mitteilte, gingen die Ermittlungen auf einen Corona-Ausbruch in der Stadt Manacor Ende Januar zurück. Demnach hatte der Mann typische Corona-Symptome, machte einen PCR-Test und ging aber noch vor dem Vorliegen des Ergebnisses zurück zur Arbeit und in sein Sportstudio.
Die Arbeitskollegen berichteten der Polizei, dass der Mann trotz Aufforderung nach Hause zu gehen und obwohl er über 40 Grad Fieber hatte, einfach an seinem Arbeitsplatz geblieben sei. Er habe sogar absichtlich seine Maske herabgezogen, als er hustete, und habe gesagt: Ich werde euch alle mit Corona anstecken.
Nach seinem positiven PCR-Testergebnis seien auch die Kontaktpersonen getestet worden: Am Arbeitsplatz hatte er demnach fünf Kollegen angesteckt, die ihrerseits Familienangehörige infizierten, darunter drei Kleinkinder. Im Sportstudio hatte er laut Polizei drei Menschen angesteckt, die ebenfalls Familienmitglieder ansteckten. Von ihnen musste glücklicherweise niemand ins Krankenhaus. AFP
Neuinfektionen und Inzidenz stagniert, Todeszahl gestiegen
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 23.392 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das geht aus Zahlen des RKI von Samstagmorgen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 05:03 Uhr wiedergeben. Deutschlandweit wurden nach RKI-Angaben innerhalb von 24 Stunden 286 neue Todesfälle verzeichnet. Nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich.
Am Samstag vor einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 23.804 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 219 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Samstagmorgen bundesweit bei 164,4. Am Vortag hatte das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 164,0 angegeben, am Samstag vergangener Woche mit 160,7, vor vier Wochen (27.3.) mit 124,9.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag nach dem RKI-Lagebericht von Freitagabend bei 1,08 (Vortag: 1,01). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 108 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Weltärzte-Chef beunruhigt über indische Virusvariante
Weltärzte-Präsident Frank Ulrich Montgomery befürwortet wegen erster Fälle der indischen Corona-Variante in Deutschland entsprechende Schutzmaßnahmen. Die indische Mutationsvariante des Virus, die besonders ansteckend und besonders gefährlich sein soll, führt uns deutlich vor Augen, wie wichtig internationale Absprachen, konsequente Lockdown-Maßnahmen und Einschränkungen der Mobilität sind
, sagt Montgomery der Rheinischen Post
.
Nur wo Infektionen ablaufen, können auch Mutationen stattfinden. Deswegen ist das deutsche Infektionsschutzgesetz richtig. Deswegen brauchen wir Kontaktbeschränkungen und ein konsequentes, einheitliches Vorgehen
, sagt Montgomery weiter. Verhinderung von Mobilität sei das Schlüsselwort zur Pandemieeingrenzung. Am Freitag nahmen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, Lars Schaade, zur Verbreitung der Virus-Mutation aus Indien Stellung. Die Zahl der bisherigen Nachweise liegt demnach bei 21 Fällen in Deutschland. Reuters
EU-Politiker will alle EU-Flugverbindungen nach Indien aussetzen
EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) fordert die sofortige Einstellung aller Flugverbindungen zwischen Indien und der EU. Der EU-Politiker begründet seinen Vorstoß einem Vorabbericht der Bild
zufolge mit der Gefährlichkeit der in Indien aufgetretenen neuen Doppel-Mutante sowie der deutlichen Zunahme an Infektionen: Die indische Doppelvariante scheint sich schnell auszubreiten und die Situation dort droht außer Kontrolle zu geraten.
Einige Covid-Fälle mit der indischen Mutante seien bereits in Deutschland und der EU aufgetreten. Diesmal müssen die EU-Innenminister schneller und konsequenter handeln und sofort ein vorübergehendes Verbot von Flügen aus Indien und Einreisebeschränkungen verhängen.
Insgesamt müsse die EU aufgrund der Dynamik der Corona-Pandemie besser und schneller im koordinierten Vorgehen werden, mahnte Weber. Er verwies darauf, dass Kanada und das Vereinigte Königreich bereits entsprechende Schritte eingeleitet hätten. Reuters
Dritten Tag in Folge weltweiter Höchstwert bei Neuinfektionen in Indien
Indien meldet den dritten Tag in Folge mit 346.786 Fällen eine neuen globalen Höchstwert bei Neuinfektionen.Die Versorgung der an der Lungenkrankheit Covid-19 erkrankten Menschen mit Sauerstoff ist an vielen Orten kaum möglich. Die Regierung setzt Luftwaffe und Züge zur Verteilung der Sauerstoff-Flaschen ein. Bitte helft uns, Sauerstoff zu bekommen, sonst kommt es hier zu einer Tragödie
, wendet sich der Chef-Minister für die Hauptstadt-Region Delhi, Arvind Kejriwal, an Ministerpräsident Narendra Modi. Reuters
Alles dichtmachen
Berliner Ärzte fordern Ende der Wahlfreiheit beim Impfen
Viele Ältere scheuen den Impfstoff von Astrazeneca, beklagt die Ärzteschaft. Deshalb könnten Jüngere nicht so schnell mit Biontech und Moderna versorgt werden.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und die Ärztekammer in Berlin fordern, ab sofort alle Menschen über 60 Jahren in den Impfzentren nur noch mit dem Impfstoff von Astrazeneca gegen Corona zu impfen.
Die Wahlfreiheit in Berlins Impfzentren muss beendet werden
, erklärten beide ärztlichen Standesvertretungen am Freitag. Nur so können die Menschen unter 60 Jahren, die zum Beispiel aufgrund ihrer schweren Vorerkrankungen eine dringende Impfung benötigen, schneller berücksichtigt werden. Denn sie dürfen aktuell nur mit Biontech und Moderna geimpft werden.
Der Impfstoff von Astrazeneca wird wegen bestimmter Nebenwirkungen nur für Menschen über 60 empfohlen. Dies sorgt bei vielen Impfwilligen für Verunsicherung; auch etliche ältere Menschen wollen sich eher mit den Impfstoffen von Biontech und Moderna impfen lassen als mit dem Vakzin von Astrazeneca.
Hinzu kommt, dass Menschen unter 60, die ihre Erstimpfung mit Astrazeneca hatten, bei der Zweitimpfung ein Präparat der anderen Hersteller erhalten. Daher sind Impfstoffe von Biontech und Moderna tendenziell knapper als der von Astrazeneca.
Impfzentrum in Tempelhof wird auf Biontech umgerüstet
KV und Ärztekammer richteten vor diesem Hintergrund einen Appell an die älteren Menschen: "Wir möchten alle Berlinerinnen und Berliner über 60 Jahren dringend darum bitten, sich mit dem Impfstoff Astrazeneca impfen zu lassen. Bitte vertrauen Sie der Empfehlung der Ständigen Impfkommission, dass dieser Impfstoff unbedenklich bei allen Personen über 60 Jahren geimpft werden kann."Astrazeneca soll künftig nach den Vorgaben des Bundes nur noch von den Hausärzten gespritzt werden. In Berlin schließt deshalb ab dem 21. April das Impfzentrum auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof für zwei Wochen. Dort wurde bisher ausschließlich der Wirkstoff von Astrazeneca verimpft. Da ihn dort mittlerweile nur noch Menschen über 60 Jahre erhalten, lohne sich der Betrieb in dieser Form nicht mehr, erklärte die Gesundheitsverwaltung am Freitag.Während der Pause soll das Zentrum im Tempelhofer Hangar nun umgebaut werden, um künftig die Vakzine von Biontech vergeben zu können. Wegen der Eigenschaften des Produkts sind dazu besondere Kühlanlagen nötig. Tsp, dpa
AfD scheitert mit Eilantrag gegen Corona-Regeln des Landes
Die rheinland-pfälzische AfD-Landtagsfraktion ist mit einem Eilantrag gegen Corona-Regeln des Landes vor dem Verfassungsgerichtshof (VGH) in Koblenz gescheitert. Die Fraktion hatte sich mit ihrem am Donnerstag gestellten Antrag gegen die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen der 18. Corona-Bekämpfungsverordnung des Landes gewandt, wie der VGH Rheinland-Pfalz am Freitag mitteilte.
Angesichts des verfassungsrechtlich verankerten Auftrags zum Schutz von Leib und Leben überwögen die Gründe, die gegen ein vorläufiges Aufheben der Ausgangsbeschränkungen sprächen, erklärte das Gericht. Es wies darauf hin, dass Rheinland-Pfalz unterdessen ohnehin seine Pandemie-Regeln an die neue Bundes-Notbremse angepasst hat. dpa
Stars gegen den Lockdown: Warum die Aktion Alles dichtmachen
eine Verhöhnung der Corona-Toten ist
53 deutsche Stars lästern über die Angst vor Corona. Darunter sind Schauspieler wie Jan Josef Liefers und Heike Makatsch. Die AfD und andere Schwurbler jubeln. Dabei zeigt die ironisch gemeinte Aktion nur eins: Ruhm und Erfolg schützen nicht vor Pech beim Denken.
Der Kultur geht es schlecht. Niemand wird das anzweifeln. Seit gut einem Jahr sind die Theater geschlossen, die Kunst liegt brach, die Hilfen fließen zäh. Es wird niemanden wundern, dass in der Branche Frust gärt und die Verzweiflung wächst. Das gilt für den kleinen Jongleur und die Tänzerin von nebenan. Das gilt aber auch für die Stars der Zunft. 53 deutsche Schauspieler hat die Lage der Nation zu einer Videoaktion mit dem Titel Alles dichtmachen
inspiriert
. Das Ergebnis ist eine Katastrophe für die Solidargemeinschaft Deutschland. Und es ist eine Unverschämtheit.
In 53 kurzen Videos lästern die Damen und Herren zu leiser Klaviermusik über die Angst vor dem Virus. Sie raunen Wirres. Sie machen sich lustig über Menschen, die vor Erschöpfung am Gitterbett ihres Kindes hängen und weinen. Sie mokieren sich voller Häme über jene, die die Maßnahmen gegen Corona möglicherweise auch nicht durchgehend logisch, verständlich, supertoll und wirkungsvoll finden, die aber immerhin bereit sind, ihr Ego für ein paar Monate zurückzustellen.
Es sind nicht irgendwelche Gernegroße
Es sind nicht irgendwelche Gernegroße auf Rampenlichtsuche, die sich da in überraschend schlecht geschriebenen Texten am Corona-Alltag abarbeiten. Es sind Stars der Zunft darunter wie Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Wotan Wilke Möhring, Ulrich Tukur, Heike Makatsch, Meret Becker und Volker Bruch. Sie bedanken sich ironisch dafür, dass in dieser Zeit nur noch einfache Wahrheiten
gälten. Sie erzählen schlicht dummes Zeug (eine eigene Meinung zu haben ist gerade krass unsolidarisch
). Sie ätzen gegen die Medien, sie unterfüttern munter den saublöden Irrtum, es sei unmöglich in diesem Land, eine eigene Meinung zu entwickeln. Kurz: Sie bedienen vollständig und vorsätzlich das Narrativ all der Schwurbler und Verschwörungstheoretiker, die die Tatsache, dass sie ihren Egoismus kurz mal beiseiteschieben sollen, mit einer Grundrechtsverletzung von epischem Ausmaß verwechseln.
Auch Liefers ventiliert die uralte Mär von den gleichgeschalteten Medien, die während der Corona-Zeit nur Einseitiges angeboten hätten. Habt ihr euch rundherum gut informiert gefühlt?
, raunt er in bestem Wutbürgerparlando. Seit über einem Jahr sorgten die Medien dafür, dass der Alarm da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben
. Dazu nur ein Satz: Wer so redet, offenbart lediglich, dass er offenbar seit Monaten darauf verzichtet, auch all die nachdenklichen, selbstkritischen und abwägenden Berichte in klügeren Blättern zur Kenntnis zu nehmen, die es zuhauf gegeben hat.
Können gute Leute derart irren?
Zu besichtigen sind in den 53 Clips all die alten, öden Vorurteile von Diktatur!
-Schreihälsen, die sämtliche Medien pauschal in einen Topf werfen, weil sie es nicht besser wissen. Corona ist eben auch eine Übung in Medienkompetenz. Um nicht zu sagen: in Klugheit.
Können gute Leute derart irren? Können sich verdiente Künstler so dermaßen in wattigen Gedankengebäuden verirren? Es gibt nur zwei Möglichkeiten, warum man als privilegierter Star den Applaus von Schwurblern und Spinnern in Kauf nimmt: Entweder, man ist gelangweilt, naiv und schlecht informiert. Oder man denkt genauso wie sie. Beides wäre verheerend und ist dieser Teilelite der deutschen Schauspielzunft unwürdig. Wer in den letzten Monaten ernsthaft den Eindruck gewonnen hat, es habe keinerlei Medienkritik mehr gegeben und die Berichterstattung sei einer komplett einseitigen – um nicht zu sagen: von der Regierung gesteuerten – Agenda gefolgt, der hat erstens keine Ahnung von den Medienmechanismen der Gegenwart, und er muss sich längst in hennafarbenen Echokammern verlaufen haben, schimpfend auf eine "pöhse" Mainstreamwelt, die er nur noch als Zerrbild wahrnimmt.
Die Aktion ist ein Schlag ins Gesicht der erschöpften Pfleger
Dass derlei Merkwürdigkeiten von gestandenen Heroen der Unterhaltung kommen, ist eine große Enttäuschung. Denn diese Aktion ist ein Schlag ins Gesicht der erschöpften Pfleger und Ärzte, die seit Monaten auf der letzten Rille laufen. Es ist eine Verhöhnung der Hinterbliebenen von mehr als 80.000 Corona-Toten und derer, die auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfen. Es ist eine zynische, kaltherzige Demonstration von Borniertheit aus den klimatisierten Türmen der Elfenbeinkultur, vorgetragen auch von jenen, die durchaus gut bezahlter Arbeit nachgegangen sind in den letzten Monaten.
Das Erschreckende ist: Die Popularität der Aktionsteilnehmer sorgt automatisch für tosenden Applaus von rechts außen. In Deutschland gibt es tatsächlich noch regierungskritische Satire
, staunt Tichys Einblick
. Die AfD schert in den Jubelgesang ein. Die üblichen Verdächtigen verneigen sich in Bewunderung vor den Granden der Kultur, die den Mut
hätten, auch mal etwas gegen die Regierung zu sagen. Man fragt sich ernsthaft, unter welchem Stein diese Jubelperser in den letzten Monaten geschlafen haben.
FCKNZS
(Fuck Nazis) steht anlasslos, einsam und winzig klein am unteren Ende der Website mit den Videos. Es wirkt wie ein typografisches Feigenblättchen. Ganz so, als habe man am Ende doch irgendwie geahnt, wessen Ungeist man mit dieser gratismutigen Aktion beschwören könnte, die wenig mit legitimer Kritik an den Corona-Maßnahmen zu tun hat, sondern vor allem die Legende von der machtgeilen Regierung nährt, für die Corona nur ein Vorwand sei, uns alle zu knechten.
Was für ein kommunikativer Fehlschlag, wenn man sich schnell noch von Nazis distanzieren muss, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Gleich mehrere Videos sind auf dem Youtubekanal #allesdichtmachen bereits nicht mehr zu finden, darunter das von Heike Makatsch.
Niemand hat mich gefragt, ob ich bei #allesdichtmachen mitmachen will
, schrieb Schauspieler Marcus Mittermaier bei Twitter. Gott sei Dank!
Mehr ist dazu nicht zu sagen. Außer vielleicht: Schöne Grüße, ihr 53 Medienmärtyrer, an Nena und den Wendler. RND (Redaktionsnetzwerk Deutschland), ein Kommentar von Imre Grimm.
Gesichtsverlust 3.0
Gesichtserkennungstechnologien werden in unserem Alltag immer präsenter, aber nirgendwo werden sie so vielfältig eingesetzt wie in Xi Jinpings China. Bequem in vielen Alltagssituationen, aber bedrohlich für immer grössere Teile der Bevölkerung, wächst auch in China langsam das Unbehagen.
Noch vor Ausbruch der COVID-Pandemie nahm ein chinesisches Gericht im Oktober 2019 die Klage eines Rechtswissenschaftlers in Hangzhou an. Professor Guo Bing hatte sich geweigert, im Safari-Park der 10-Millionen-Megacity einem neu eingeführten Verfahren zuzustimmen, das bei der Einlasskontrolle Gesichtserkennungssoftware verwendet. Er argumentierte, er habe erhebliche Bedenken sowohl gegen die Zuverlässigkeit des Verfahrens an sich als auch gegen die Speicherung seiner Daten durch einen kommerziellen Betreiber. Zwar wurde die Klage formal wegen Verletzung von Verbraucherschutzrechten eingereicht. Allen Beobachtern war jedoch klar, dass es sich hier um den ersten in der Volksrepublik China bekanntgewordenen Fall handelt, in dem ein Gericht die Verletzung von Datenschutzrechten im persönlichen Bereich zu untersuchen hatte.
Face-Swiping
Wenige Wochen später meldete sich auch Lao Dongyan, eine bislang wenig bekannte Pekinger Rechtsprofessorin in einem Blog zu Wort, in dem sie detailliert ihre Opposition gegen die Einführung von face-swiping
im Pekinger U-Bahn-System erläuterte. Effizienzargumente seien unzureichend, um eine potentiell massenhafte Verletzung von Persönlichkeitsrechten zu rechtfertigen und insbesondere dann gefährlich, wenn sie von Seiten des Staates in Kauf genommen würden. Was mich wirklich besorgt und in Panik versetzt
, schrieb Lao, ist, dass meine Informationen von Behörden missbraucht werden. (…) Das hysterische Streben nach Sicherheit hat der Gesellschaft überhaupt keine Sicherheit gebracht, sondern totale Unterdrückung und Panik.
Das Echo im chinesischen Internet war verhalten, aber doch vernehmbar – spätestens nachdem Professor Lao ihre Bedenken im Frühjahr 2020 auch auf die elektronischen Einlasskontrollen von Wohnsiedlungen ausweitete.
Schon seit Jahren wird Gesichtserkennung in China viel weitreichender eingesetzt als in Europa. Viele Bankautomaten sind mit Gesichtsscannern ausgestattet, ebenso Check-in-Counter an Flughäfen, Türen von Behördengebäuden, Studentenwohnheimen oder privaten Wohnanlagen. Mit Gesichtserkennung in öffentlichen Toiletten wird mancherorts der Toilettenpapierverbrauch kontrolliert. Bereits vor fünf Jahren installierten einige chinesische Grossstädte Gesichtserkennungssysteme, um Rotgänger an Ampeln zu identifizieren und ihre Fotos in bester kulturrevolutionärer Denunziationstradition einer Art Public Shaming
zuzuführen. Über solche Fälle hat Kai Strittmatter in seinem Buch Die Neuerfindung der Diktatur bereits 2018 sehr eindringlich berichtet. Schon wird auch die Aufmerksamkeit von Schulkindern durch Gesichtserkennung überwacht. Die Ergebnisse sind selbstredend Teil der Evaluationen des Lehrpersonals, dessen Unterricht sowieso komplett videoaufgezeichnet wird. Von den tiger mums
und helicopter dads
im wahrscheinlich kompetitivsten Erziehungssystem der Welt sind bislang wenig Widerstände bekannt. Mittlerweile hat die Gesichtserkennung auch die Speziesgrenze überschritten: Chinesische Schweinefarmer nutzen sie nicht nur, um die Tiere elektronisch unterscheiden zu können, sondern auch, um frühzeitig Rückschlüsse auf Erkrankungen, insbesondere auf geschmacksbeeinträchtigende Depressionen
des Borstenviehs ziehen zu können.
Akzeptanz der Überwachung und erste Proteste
Zweifellos geniessen digitale Überwachungsformen in China eine sehr viel höhere Akzeptanz als im eher technikskeptischen Mitteleuropa – eine Reaktion wie jene von Professor Guo hätte man daher kaum erwartet. Wer mit der in China so genannten Schweizermesser-App
WeChat fast alles auf dem Smartphone erledigt – vom Bestellen des Menus im Taxi auf dem Weg zum Restaurant bis hin zur Kaufabwicklung von Luxusimmobilien – wird sich nicht wundern, dass sie bald als Ersatz für den Personalausweis gelten soll. Eine ähnliche Nonchalance kennt man auch aus Osteuropa und Südostasien – beide Regionen neben afrikanischen Staaten heute Grossabnehmer der von ca. 7.400 chinesischen Unternehmen produzierten Gesichtserkennungssysteme. Man darf vermuten, dass die Bereitschaft, sich Formen digitaler Überwachung zu unterwerfen, häufig umgekehrt proportional zu den Korruptionsindizes einzelner Gesellschaften verläuft.
Die Hoffnung einiger Kritiker, dass man durch das Tragen des Nasen-Mundschutzes während der Pandemie den Gesichtserkennungssystemen entgehen könnte, zerschlugen sich übrigens schnell. Schon Mitte Januar 2020 war in China klar, dass die staatlichen Systeme auch mit Maskenträgern keine ernsthaften Probleme haben. Ihre Datenbanken waren schon lange anhand vollbarttragender Moslems in Nordwestchina und Pakistan trainiert worden. Ein Grossteil der Erfolge bei der Eindämmung des Corona-Virus in China, aber auch in den disproportional zur Enge ihrer Beziehungen zur Volksrepublik wenig betroffenen demokratischen Nachbarstaaten wie Taiwan, Südkorea und Vietnam, beruht auf dem konsequenten Einsatz von smarten tracking-Technologien.
Schon erscheinen die ersten Studien in China, bei denen die Erkennungssoftware auch gleich die Wahrscheinlichkeit einer Corona-Infektion des oder der fiebrigen Träger:in hinter dem Mundschutz mitbestimmen soll. Wie stabil angesichts solcher auch positiver Aspekte die Überwachungsskepsis gerade bei jüngeren Generationen in Europa verankert ist, bleibt abzuwarten.
Wie Professor Guo zwischenzeitlich in Interviews klarstellte, waren für seine Sorge ursprünglich gar nicht die Zooscanner ausschlaggebend, sondern mittlerweile verbotene Deepfake
-Apps, die es ermöglichen, elektronisch Gesichtsdaten zu tauschen. Meistens dienen sie dazu, coole Dating-Profile zu erstellen, keineswegs zur Umgehung staatlicher Kontrollen. Andererseits werden sich einige erinnern, wie Tom Cruise in Minority Report bereits 2002 abwegige personalisierte Produkte angeboten bekam, weil er sich von einem schwedisch nuschelnden Guerilla-Ophthalmologen neue Augäpfel hatte einsetzen lassen, um dem staatlichen Irisscan zu entgehen. Bei P.K. Dick (1928–1982), von dem die zugrundeliegende Erzählung von 1956 stammt, sind es noch die Precogs
, hellsehende Mutanten, welche dem Staat Hinweise für die präemptive
Verbrechensbekämpfung liefern. Die Überwachungscomputer heutiger Regimes brauchen keine wundersam mutierte menschliche Voraussicht mehr, solange sie direkt auf massenaggregierte Daten zurückgreifen können.
Zehn Jahre nach der ersten vollständigen Gesichtstransplantation brachte 2020 ein japanisches Unternehmen nun auch naturgetreue
Gesichtsmasken aus dem 3D-Drucker auf den Markt. Diese werden bislang von allen gängigen Erkennungssoftwares als authentisch identifiziert. Werden wir also bald mit Vollgesichtsmasken unserer ärgsten persönlichen Feinde durch die videoüberwachten Städte laufen? Wer wird sich in China den ersten Deepfake-Ausdruck eines hochrangigen Parteikaders bestellen?
F/Racial Recognition und Emotionserkennung
Bereits seit 2015 betreibt China ein Projekt, dessen Ziel die online-Identifikation aller Bürger:innen innerhalb von Sekunden ist. Vorangetrieben wird es u.a. von den FirmenIs'vision in Shanghai und Seetech in Peking. Noch sind die auf 15 Terabyte geschätzten Gesichtsdaten offenbar nicht vollständig, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Den Staat scheint dabei die Vorstellung nicht zu irritieren, dass eine Festplatte dieser Grösse bequem in einer Handtasche transportiert und in unliebsame Hände geraten könnte. Oberste Ziele seien öffentliche Sicherheit, Terrorismus- und Korruptionsbekämpfung.
Zu den Kunden von Is'vision, das bereits seit 2003 den Platz des Himmlischen Friedens
videoüberwacht, gehören nicht nur die Ämter für Öffentliche Sicherheit, sondern auch Grenzbehörden oder Einrichtungen wie der Bahnhof von Ürümqi, der Hauptstadt von Xinjiang. Dort, so wirbt die Firma auf ihrer Homepage, sei Dank ihrer Technologie der Hauptschuldige eines Terroranschlags der Turkestan Islamic Party
am letzten Tag der üppig medialisierten Besuchsreise Xi Jinpings im April 2014 identifiziert worden, bei der dieser das Uigurische Autonome Gebiet
mit seinen 25.8 Mio. Einwohnern zur Frontlinie der Terrorismusbekämpfung
erklärt hatte. Die Einrichtung der Berufsbildungszentren
, also jener Internierungslager, in denen heute nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen rund eine Millionen Angehörige v.a. moslemischer Minderheiten umerzogen
werden, geht mittelbar auf diesen Anschlag zurück. Dasselbe gilt für die Verabschiedung der Verordnung zur Beseitigung des Extremismus in der Autonomen Region Xinjiang
, die mittlerweile durch die geleakten China Cables
im Wortlaut bekannt und deren düstere Konsequenzen durch tausende Dokumente aus lokalen Polizei-Institutionen bestätigt worden sind.
Sowohl für die Mitglieder von LGBTQ+ -Gruppen in China als auch für die muslimischen und buddhistischen Bevölkerungsgruppen in Xinjiang oder Tibet dürfte Spielberg's Filmtitel Minority Report heute jedenfalls einen ganz anderen Klang haben als vor dem Amtsantritt von Xi Jinping. Dasselbe gilt zweifellos auch für Zwangsarbeiter aus den Minderheitengebieten, die an die Zulieferer internationaler Unternehmen von Adidas bis Zegna im chinesischen Kernland verkauft worden sind.
Beunruhigend ist auch, dass in China derzeit nicht nur fahrerlose Taxis an den Start gehen, sondern womöglich bald auch richterlose Gerichte, denen die bei weitem grösste Datenbank von digitalisierten Gerichtsurteilen der Welt zur Verfügung steht. Die auf der algorithmischen Auswertung solcher Daten und also auch auf dem deep learning
aller Vorurteile basierenden Programme beginnen bereits aufgrund von Informationen zur Gesichts- und Körpersprachenerkennung verfahrensentscheidenden Input an die Justizbeamten zu liefern. Wem wächst – rein statistisch gesehen – in Ürümqi ein terroristischer Bart? Wer schlendert in Shanghai mit einem homosexuellen Blick den Bund entlang? Wie patriotisch war das Kinn bei der Fahnenhissungszeremonie in Kashgar in die Höhe gereckt, wie suizidal die Kopfbewegung eines Lagerinsassen? Nur noch wenig entgeht dem Projekt Sharp Eyes
des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit.
Und im Westen
?
Doch wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Auch die EU hat in ihrem Projekt iBorderCtrl
seit 2018 allerlei Technologien entwickeln lassen, die Menschen im Buschwerk erspähen, Risikoprofile von Reisedokumenten erstellen und, natürlich, Gesichter erkennen. Das Automatic Deception Detection System
wurde z.B. darin trainiert, Lügenmimiken
bei der Beantwortung der von Avataren am Grenzübergang gestellten Fragen zu melden. Pilotsysteme wurden an Aussengrenzenposten in Ungarn, Griechenland und Lettland erfolgreich getestet
, führten jedoch aufgrund von Fehlerraten von bis zu 20% zu nach wie vor hängigen Protestverfahren wegen Verletzung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung.
In den USA wurde der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie in San Francisco im Mai 2019, in Portland im September 2020 grundsätzlich verboten – letzteres in Reaktion auf ihren Einsatz während der Black Lives Matter-Demonstrationen. Für Schlagzeilen sorgten auch die Nachrichten über Clearview AI, jene Firma, deren Datenbank von rund drei Milliarden aus sozialen Medien gekaperten Bildern mittlerweile von tausenden amerikanischen Strafverfolgungsbehörden genutzt wird. Die Firma verfügt damit über etwa siebenmal so viele Gesichtsdaten wie das FBI – das Ende der Privatsphäre, wie wir sie kannten
titelte die New York Times. Die Beziehungen des australischen Firmengründers (Cam-)Hoan Ton-that in die rechte Politszene der USA sind wohldokumentiert, der Einsatz der Datenbank in Kanada seit kurzem rechtlich untersagt. Als nun die Untersuchungsbehörden bei der Identifikation der Kapitol-Stürmer vom 6. Januar 2021 massenhaft Clearview-Daten verwendeten, freute sich nicht nur Ton-that – auch in China war die Häme gross. Wieder einmal hätten die USA gezeigt, dass sie mit zweierlei Mass messen
, stichelte das China Jugend-Netzwerk
. Mit dem Menschenrechtshut auf dem Kopf
habe man chinesische Gesichtserkennungsfirmen auf die staatliche Überwachungsliste gesetzt, während Clearview sogar von US-amerikanischen Social-Media-Giganten wie Twitter, Facebook und Youtube kritisiert worden sei. In Krisenzeiten verlasse sich die scheinheilige
US-Justiz dann aber doch auf das vielgescholtene Gesichtserkennungs-Unternehmen!
Falsche Kontinuitäten
Dass die
chinesische Gesellschaft im Gegensatz zur europäischen Schuldkultur
durch Schamkultur
charakterisiert sei, in der die Angst vor Gesichtsverlust
(shī miànzi 失面子, diū liǎn 丢臉) ein besonders tief verankertes Phänomen darstelle, ist ein in- und ausserhalb Chinas wohlgepflegtes Klischee. Es hat meist mehr mit kulturellen Selbstabgrenzungen oder europäischen Projektionen als mit der Realität traditioneller Rechts- und Moralauffassungen in China zu tun. Auch die gelegentlich ventilierte Idee, wonach die Akzeptanz des sogenannten Sozialpunktesystems
in China durch buddhistische Vorstellungen über die Anhäufung positiven und negativen Karmas
geprägt sei, vermag in Bezug auf eine der säkularsten Gesellschaften der Welt kaum zu überzeugen. Stets genügt ein Blick in die demokratische Gesellschaft Taiwans oder auf die letzten Wahlergebnisse in Hong Kong vor Einzug des Sicherheitsgesetzes, um sich klarzumachen, dass kulturalistische
Argumente dieser Art nicht verfangen. Die Möglichkeit, eine stabile Mentalität
der Meidung von Gesichtsverlust entlang von Nationengrenzen oder Kulturräumen zu diagnostizieren, wird auch durch die experimentelle Psychologie nicht bestätigt.
Zwar wurde die Rede von einer spezifisch chinesischen Angst vor dem Gesichtsverlust
von den chinesischen Reformern zu Beginn des 20. Jahrhunderts eifrig geführt, meistens jedoch unter Rückgriff auf englischsprachige Kolonialliteratur des 19. Jahrhunderts. Intellektuellen dieser Zeit galt der Reflex der Gesichtswahrung noch als Inbegriff der Rückständigkeit der traditionellen chinesischen Gesellschaft, so dass etwa Lin Yutang (1895–1976), ein zweimal für den Nobelpreis nominierter Schriftsteller, 1935 schrieb: Erst wenn in den Ministerien das Gesicht verloren geht und Regierung mittels ‚Gesicht' durch ‚Regierung' durch das Recht abgelöst wird, dann werden wir eine wahre Republik haben.
Wenn es auch schwerfällt, das kommunistische China als Rechtsstaat zu bezeichnen, so spielte nach 1949 das Verständnis von Gesichtsverlust
als Merkmal einer korrupten Beamtenmonarchie keine Rolle mehr.
Noch bis vor kurzem scherten sich auch die Bewohner des überwachungskapitalistischen Einparteienstaates im 21. Jahrhundert wenig um die neuen Spielarten des Gesichtsverlusts an neugierige Maschinen. Doch das ändert sich nun. In einer 2020 anonym durchgeführten Umfrage gaben bereits 60% der Befragten an, sie seien über den ausufernden Einsatz von Gesichtserkennungssystemen besorgt. Nicht weniger als 30% behaupteten sogar, ihre Gesichtsdaten seien bereits auf dem Schwarzmarkt verkauft worden. Am stärksten kritisiert wird Gesichtserkennung zur Erfassung des Kaufverhaltens in Einkaufszentren (42%), gefolgt von Aufmerksamkeitskontrolle bei Studierenden (28 %) und ihrer Verwendung bei der Vorbereitung von Schönheits-OPs, Persönlichkeitsprofilen und Gesundheitseinschätzungen (19%).
Sehr viel empfänglicher sind die Befragten für Einsatzgebiete im Bereich öffentliche Sicherheit und bei Verkehrsdelikten. Dieser Grundstimmung entspricht, dass in China im Corona-Jahr 2020 einerseits ohne viel Widerstand neue Verwendungsbereiche der Gesichtserkennung in der Lockdown-compliance etabliert wurden. Andererseits gab es auch viel Beifall für Internetclips von Personen, die sich den Überwachungskameras durch Tragen von Motorradhelmen zu entziehen versuchten.
Wachsendes Unbehagen, neue Allianzen
Auch im Fall von Professor Guo kam es zu Bewegungen. Rund ein Jahr nach der Einreichung seiner Klage wurde vom Volksgerichtshof Hangzhou am 20. November 2020 beschieden, dass der Zoo eine Schadensersatzzahlung zu leisten und die Löschung der Gesichtsdaten zu gewährleisten habe. Da sich der Urteilsspruch nur auf seinen eigenen Fall bezog, zog Professor Guo die Anzeige an eine höhere Instanz weiter. Parallel zu diesem unerwarteten Urteilsspruch hatten sich weitere Entwicklungen abgezeichnet, die v.a. durch den kommerziellen Missbrauch von Gesichtserkennungssystemen ausgelöst wurden. Hierzu gehörten z.B. die Verwendung von Gesichtsdaten durch Maklerfirmen zur Einschätzung des Kaufinteresses an Immobilien. Andere betrafen Marketingfirmen, die Gefühlsregungen potentieller Kunden beim Betrachten von Plakat- und Videowerbung analysierten. Diverse südchinesische Metropolen untersagten in der Folge die Sammlung von Gesichtsdaten durch Immobilienfirmen. Hangzhou, Professor Guos Heimatstadt, hat im Oktober letzten Jahres das Recht auf Verweigerung der Zurverfügungstellung biometrischer Daten zum Betreten von Wohnkomplexen bestätigt. Und Tianjin, die elftgrösste Stadt der Welt, hat am 1. Dezember 2020 jegliche privatwirtschaftliche Sammlung biometrischer Daten ohne Einwilligung der Erfassten verboten. Dass sich die auch in der ostchinesischen Hafenmetropole dem Uighuren-Tracking
ausgesetzten Zwangsarbeiter dort nun sicherer fühlen, darf gleichwohl bezweifelt werden.
Unbeeindruckt von der Kritik an den gut dokumentierten rassistischen Fehlleistungen biometrischer Erkennungssysteme verläuft ein epistemischer Bruch. Noch rasanter als im Westen
rückt er in China von der Einzigartigkeit individuellen Verhaltens ab und bewegt sich immer tiefer in massendatengestützte Wahrscheinlichkeitsmodelle. Durch sie werden Räume eröffnet, in denen der Algorithmus verspricht, letztlich mehr über das Individuum, dessen Verhalten, Emotionen und Vorlieben zu wissen als das Individuum selbst. Dass das Unbehagen an der physischen Identifizierbarkeit des Einzelnen vor diesem Hintergrund auch in der Han-chinesischen Mehrheit in China wächst, ist unübersehbar. Ebenso unübersehbar wie die noch klar unterscheidbaren Ost-West-Asymmetrien der Akteure: In China ist es vorrangig der Datenhunger des Staates, der Angst und Bange werden lässt; im Westen
jener der Technologiefirmen und Marketingabteilungen. Besorgte und Geschädigte aller Länder und Systeme wären gut beraten, hier kluge Allianzen zu schmieden! Geschichte der Gegenwart, Wolfgang Behr
RKI meldet 29.518 Neuinfektionen - Inzidenz bei 161,1
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 29.518 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das geht aus Zahlen des RKI von Donnerstagmorgen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 05.05 Uhr wiedergeben. In der Zahl der gemeldeten Neuinfektionen könnten Nachmeldungen aus Nordrhein-Westfalen vom Vortag enthalten sein. Eine größere Zahl von Meldungen der NRW-Gesundheitsämter waren zuvor aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht vollständig übermittelt worden. Deutschlandweit wurden nach RKI-Angaben innerhalb von 24 Stunden 259 neue Todesfälle verzeichnet. Nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich.
Am Donnerstag vor einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 29.426 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 293 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Donnerstagmorgen bundesweit bei 161,1. Am Vortag hatte das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 160,1 angegeben. Bisher kann laut RKI anhand der Sieben-Tage-Inzidenz der vergangenen Tage noch nicht abgeschätzt werden, ob sich der ansteigende Trend der vergangenen Woche fortsetzt.
Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 3.217.710 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit etwa 2.845.300 an. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 80.893.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag nach dem RKI-Lagebericht von Mittwochabend bei 0,94 (Vortag: 0,95). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 94 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
RKI: Grippewelle ausgeblieben - Novum mindestens seit 1992
Mit bisher nur 519 im Labor bestätigten Fällen geht die wohl schwächste Grippe-Saison seit Jahrzehnten in Deutschland dem Ende entgegen. Nach Definition der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) am Robert Koch-Institut (RKI) seien die Kriterien für den Beginn einer Grippewelle nicht erfüllt worden, teilte eine RKI-Sprecherin auf Anfrage mit. Das heiße: Es hat in dieser Saison überhaupt keine Grippewelle gegeben.
Dies sei ein Novum seit Beginn der Grippeüberwachung durch die 1992 gegründete Arbeitsgemeinschaft. Auch die meisten anderen Länder der Nordhalbkugel seien von der Welle verschont geblieben.
In ihrem am Mittwochabend veröffentlichten Wochenbericht schreibt die AGI, im Vorjahr um diese Zeit seien mehr als 184 .000 labordiagnostisch bestätigte Infektionen gemeldet gewesen. Die Zirkulation von Influenzaviren stagniert in der Saison 2020/21 auf einem extrem niedrigen Niveau.
Die Meldezahlen bilden nur einen Teil des tatsächlichen Geschehens ab. Die AGI überwacht die Saison auch noch anhand weiterer Indikatoren.
Gemeldet wurden laut dem Bericht bisher für diese Saison insgesamt 13 laborbestätigte Todesfälle im Zusammenhang mit der Grippe. In den Saisons zuvor waren es meist je einige Hundert, in der schweren Welle 2017/18 knapp 1700. Nach RKI-Schätzungen liegen die tatsächlichen Zahlen aber deutlich höher: Für 2017/18 zum Beispiel wurde angenommen, dass 25.000 Menschen starben. Die Schwere der Grippewelle variiert normalerweise von Jahr zu Jahr.
Als Begründung für das Ausbleiben der Infektionswelle gelten Corona-Maßnahmen mit Mindestabständen, Hygiene, Masken, Empfehlungen zum Lüften von Räumen, Homeoffice-Regelungen und zeitweisen Schulschließungen, wie das RKI bestätigte. Da diese Maßnahmen laut RKI mehr oder weniger in allen Ländern weltweit gegen die Corona-Pandemie genutzt wurden
, hätten Grippeviren weltweit und auch schon im Sommer 2020 auf der Südhalbkugel kaum noch messbar zirkuliert.
Und noch etwas hat sich in der Pandemie geändert: Das Interesse an der Grippe-Schutzimpfung war insbesondere zu Beginn der ersten und zweiten Corona-Welle größer als normalerweise. Von März bis Dezember 2020 sind nach Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) rund 3,5 Millionen mehr solcher Impfungen vorgenommen worden als im Vorjahreszeitraum. Es waren auch mehr Impfdosen freigegeben worden als in den Jahren zuvor: 25 Millionen. Der Bund hatte zusätzliche Dosen beschafft, um eine weitere Belastung des Gesundheitswesens in der Corona-Krise zu vermeiden. dpa
Größter Ausbruch außerhalb Brasiliens: Die Mutantenhochburg
Rund um den kanadischen Skiort Whistler hat sich die aggressive Coronavirus-Variante P1 ausgebreitet. Behörden versuchen vergeblich, den Ausbruch einzudämmen, er wird so zur Gefahr fürs ganze Land.
Wer sich jüngst mit der Coronasituation in Kanada befasst hat, fühlte sich zwangsläufig an den Beginn der Pandemie in Europa erinnert, als Urlauber das Virus aus Ischgl in zahlreiche Länder schleppten. Schauplatz eines heftigen Ausbruchs in dem nordamerikanischen Land ist ausgerechnet das dort wohl bekannteste Skigebiet: Whistler in der Provinz British Columbia.
Dort hat sich die Coronavirus-Mutante P1, die zunächst in Brasilien aufgetreten war, bereits vor Wochen stark ausgebreitet. Sie ist deutlich ansteckender als das Ursprungsvirus und noch mal aggressiver als die inzwischen in Deutschland vorherrschende Form B.1.1.7, die zunächst in Großbritannien dokumentiert wurde.
Ende März endete die Skisaison in Whistler vorzeitig. Aufhalten ließ sich P1 da kaum noch. Der jüngste Situationsbericht aus der Provinz British Columbia zeigt, dass dort bis zum 27. März mindestens 872 Infektionen mit P1 stattgefunden hatten – so viele, wie bislang nirgends sonst außerhalb Brasiliens registriert wurden. Fast ein Viertel der Fälle entfiel auf Whistler.
Durchgemachte Infektion bietet weniger Schutz
Die Virusvariante P1 ist auch deshalb so problematisch, weil sie die Immunantwort auf eine durchgemachte Infektion mit früheren Varianten sowie einen Impfschutz teils umgehen kann. Im brasilianischen Manaus, wo bereits ein großer Teil der Bevölkerung in der ersten Pandemiewelle infiziert war, konnte sich der Erreger so erneut massenhaft ausbreiten, die Gesundheitsversorgung brach zusammen.
Wie das Virus von Südamerika nach Whistler kam, sei noch unklar, schrieb der Guardian
am Sonntag. Keiner der anfangs 84 in dem Ort Infizierten habe von Reisen außerhalb des Landes berichtet. Betroffen waren vor allem junge Menschen, die im Resort arbeiten.
Seit Januar haben Behörden versucht, drei unterschiedliche Ausbrüche einzudämmen – vergeblich. Das wundert kaum, denn die Bedingungen, unter denen viele Betroffene in Whistler leben, bieten perfekte Voraussetzungen für die Virusausbreitung.
Zusammenleben in winzigen Apartments
Die Leute kommen einfach von überall her – das macht diesen Ort zu dem, was er ist
, erklärte ein Mitarbeiter des Resorts laut dem Zeitungsbericht. Inzwischen kursiert die Vermutung, dass auch rund zwei Dutzend Infektionsfälle beim Eishockeyproficlub Canucks in Vancouver auf Ausbrüche in Whistler zurückgehen.
Die Mieten in Whistler sind extrem hoch. Mitarbeiter des Ski-Resorts wohnen deshalb oft in großen Wohngemeinschaften in beengten Unterkünften und teilen sich Bad und Küche. Sich dort zu isolieren, ist oft nur schwer möglich – erst recht im Zusammenhang mit einer sehr ansteckenden Virusvariante.
In Whistler soll nun verstärkt geimpft werden. Bislang hat das jedoch kaum geholfen, den Ausbruch unter Kontrolle zu bringen. Erschwerend hinzu kommt, dass British Columbia offenbar ein Stück weit vor den neuen Varianten kapituliert hat und Proben seltener auf neue Mutanten testen will. Man behandle nun einfach jeden positiven Fall, als sei er auf eine hochansteckende Variante zurückzuführen, hieß es.
Behörden sollen sich darauf konzentrieren, Fälle von Reinfektionen zu identifizieren, und solche, bei denen bereits Geimpfte erneut erkranken. Fachleute sind allerdings skeptisch, ob das der richtige Weg ist.
Ich habe Sorge, dass uns wichtige Informationen fehlen werden, wenn sie das Sequenzieren stoppen
, sagte der Epidemiologe Eric Feigl-Ding laut Guardian
. Auch könne Wissen über neue Varianten zu spät bekannt werden.
So sei es Ende vergangenen Jahres nur möglich gewesen, die Lage richtig einzuschätzen, weil Großbritannien und Dänemark viel sequenziert hatten. Dabei war aufgefallen, dass die Corona-Fallzahlen insgesamt zwar sanken, gleichzeitig aber immer mehr Fälle mit der Mutante B.1.1.7 auftraten, was insgesamt wieder zu einem Anstieg führte. Inzwischen bestimmt B.1.1.7 auch das Pandemiegeschehen in Deutschland. Tgs. jme
Indien meldet fast 300.000 Neuinfektionen
Die indischen Behörden haben binnen 24 Stunden mehr als 2.000 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus verzeichnet. Zudem wurden 295.000 Neuinfektionen innerhalb eines Tages gemeldet, wie das Gesundheitsministerium am Mittwoch mitteilte. Mehrere Staaten haben Reisewarnungen für Indien ausgegeben - die USA selbst für gegen das Virus geimpfte Menschen - oder Flüge gestrichen.
Indien befinde sich erneut in einem großen Kampf
, sagte Regierungschef Narendra Modi am Dienstagabend in einer Ansprache an die rund 1,3 Milliarden Bürger seines Landes. Vor wenigen Wochen sei die Situation noch unter Kontrolle
gewesen, die neue Welle sei aber wie ein Sturm
gekommen.
Religiöse Zusammenkünfte, politische und sportliche Veranstaltungen sowie ein Mangel an Corona-Medikamenten und Sauerstoff hatten die Situation in den vergangenen Wochen verschärft. Seit dem Beginn der Pandemie hat Indien 15,6 Millionen Corona-Infektionen verzeichnet und ist damit nach den USA das am zweitschwersten von der Pandemie betroffene Land der Welt. {Quelle: AFP
FDP unterstützt wohl Verfassungsklage gegen Infektionsschutzgesetz
Vor der Debatte über die Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag bekräftigt die FDP ihre Kritik. Die geplante Ausgangssperre sei eine verfassungsrechtlich mehr als problematische Maßnahme
, sagt Generalsekretär Volker Wissing im Deutschlandfunk. Sie stelle einen sehr schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte dar. Das Gesetz ist unverhältnismäßig und aus meiner Einschätzung deshalb verfassungswidrig und wird sicherlich vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen werden.
Die FDP werde mit hoher Wahrscheinlichkeit
eine solche Klage unterstützen. Mit der AfD werde seine Partei aber nicht zusammenarbeiten, das kann ich ausschließen
. Reuters
Corona-Pandemie:
Biontech oder AstraZeneca? mRNA- oder Vektor-Impfstoff?
Die Antwort scheint für viele klar. Den mRNA-Vakzinen steht eine große Zukunft bevor. Doch was unterscheidet eigentlich die beiden Arten von Impfstoffen? Und was passiert dabei im Körper?
Bill Gates lag daneben. Noch im Herbst vergangenen Jahres hielt der Milliardär und Philanthrop nicht allzu viel von mRNA-Impfstoffen. Zu unerprobt seien die Vakzine. Im Kampf gegen Corona setzte Gates, dessen Stiftung weltweit Krankheiten bekämpft, lieber auf bewährtere Technologien wie Vektor-Impfstoffe. Und auch Angela Merkel und Olaf Scholz setzen auf einen Vektor-Impfstoff: Am Freitag wurde bekannt, dass sich beide mit dem Vakzin von AstraZeneca haben impfen lassen.
Es waren auch bisher eher unbekannte Unternehmen, die an den mRNA-Impfstoffen arbeiteten: Biontech und Curevac aus Deutschland, Moderna aus den USA. Die Vektor-Vakzine stammten dagegen von bewährten Konzernen, der britisch-schwedischen AstraZeneca und dem US-Unternehmen Johnson & Johnson. Auch der russische Sputnik-Impfstoff basiert auf der Vektortechnologie.
Einige Pandemie-Monate später ergibt sich ein ganz anderes Bild. mRNA-Impfstoffe, insbesondere Biontech, erfreuen sich großer Beliebtheit und gelten als Goldstandard bei der Bekämpfung des Virus. Die EU hat in der vergangenen Woche klargemacht, sich bei ihren Einkäufen künftig vor allem auf mRNA-Vakzine zu konzentrieren. Biontech und Moderna waren zudem die ersten, die ihre Impfstoffe auf den Markt brachten, Curevac soll in einigen Wochen folgen.
Die Vektor-Impfstoffe dagegen haben in der Gunst deutlich verloren. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über Lieferprobleme und Thrombosen-Nebenwirkungen bei AstraZeneca und Johnson & Johnson diskutiert wird. Vektor-Impfstoffe scheinen nur noch zweite Wahl zu sein. In vielen Impfzentren werden die entsprechenden Dosen von AstraZeneca verschmäht. Zu Recht? Und was unterscheidet eigentlich die beiden Arten von Impfstoffen?
Mediziner sind sich weitgehend einig, dass sowohl mRNA-Moleküle als auch die Vektoren gute, wirksame Mittel im Kampf gegen die Pandemie sind. Womöglich derzeit mit leichten Vorteilen für die mRNA-Fraktion.
Den Körper auf die Erreger trainieren
Die Ziel ist bei beiden Impfstoff-Klassen dasselbe: Über die Spritze wird jeweils die Erbinformation des Sars-Cov-2-Erregers in den Körper eingeschleust. So ist der Körper dann bestens vorbereitet, falls der Corona-Erreger dann tatsächlich auftaucht – und kann den Eindringling entsprechend bekämpfen. Der Körper löst eine Immunantwort aus.
Was mRNA und Vektor-Impfstoffe unterscheidet, ist die Art des Transports: Bei der mRNA wird über Nukleinsäure (RNA), die im Körper auch natürlich vorkommt, ein genetischer Bauplan transportiert, mit dessen Hilfe die Zellen des Körpers das bekannte Corona-Stachelprotein selbst herstellen. Darauf reagiert der Körper dann entsprechend und organisiert seine Abwehrkräfte.
Bei den Vektor-Impfstoffen dagegen bauen die Forscher das Genmaterial des Coronavirus in ein harmloses, zuvor unschädlich gemachtes Virus ein. Das Virus bringt den Körper dazu, Antikörper zu bilden. Um im Falle eines Falles eindringende Erreger abwehren zu können.
Beide Technologien lassen sich als Plattformen nutzen: Der Impfstoff muss also nicht für jede Virusart oder Mutation völlig neu konzipiert werden, sondern kann auf vorhandenen Erfahrungen aufbauen. Das beschleunigt dann die Herstellung.
Erfahrungen mit Ebola
Mit Vektor-Impfstoffen gab es bereits vor Corona Erfahrungen. So basiert ein Vakzin gegen Ebola auf genau dieser Technologie. mRNA-Impfstoffe waren dagegen bislang nahezu unbekannt. Geforscht wurde zwar seit den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts – unter anderem von der ungarischen Biochemikerin Katalin Kariko, die inzwischen für Biontech arbeitet und in den USA forscht. Doch bis zur Produktreife dauerte es dann doch mehrere Jahrzehnte. Bis zu den Corona-Impfstoffen von Biontech und Moderna gab es kein einziges mRNA-Präparat auf dem Markt. Entsprechend gab es auch keine Langzeituntersuchungen. Aufgrund ihrer Beschaffenheit müssen mRNA-Präparate zudem kühl gelagert werden, was in vielen Entwicklungsländern zum Problem werden kann.
Die Vektor-Impfstoffe sind dagegen zwar besser untersucht, haben aber einen anderen Nachteil: Bei Menschen, die dem Trägervirus zuvor schon durch eine andere Infektion ausgesetzt waren und bei denen damit bereits eine Immunantwort erfolgte, kann sich die Wirkung der Impfung abschwächen.
Nebenwirkung: Hirnvenenthrombosen
Zudem wurden die Vektor-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson kürzlich mehrfach in Verbindung mit Hirnvenenthrombosen und Blutplättchen-Mangel gebracht – einer zuweilen tödlichen Kombination.
Zwar fanden Forscher der Universität Oxford kürzlich heraus, das Hirnvenenthrombosen bei mRNA-Impfstoffen in etwa gleicher Zahl vorkommen wie bei Vektor-Impfstoffen – in vier beziehungsweise fünf Fällen pro eine Million Erstimpfungen. Allerdings ist der Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) bei mRNA-Impfstoffen bislang so nicht zu beobachten. Kommt es – in seltenen Fällen – sowohl zu Hinrnvenenthrombosen als auch zu einem Mangel an Blutplättchen, kann dies zuweilen tödlich enden. Wie der Mechanismus genau funktioniert, darüber rätseln die Forscher noch.
Laut dem für die Sicherheit von Impfstoffen zuständigen Paul-Ehrlich-Institut gab es in Deutschland bisher 89 Fälle von Thrombosen nach einer Biontech/Pfizer-Impfung. In keinem dieser Fälle jedoch wurde ein Mangel an Blutplättchen beobachtet. Ebensowenig bei Moderna. Beim AstraZeneca-Vakzin trat hingegen die Kombination von Thrombosen und Blutplättchen-Mangel 27 Mal auf – in 23 Fällen handelte es sich um eine gefährliche Hirnvenenthrombose. Acht Betroffene starben – fünf Frauen und drei Männer.
Pfizer sieht dramatisches Potenzial
Solche wissenschaftlichen Daten favorisieren damit leicht die mRNA-Impfstoffe gegenüber den Vektor-Impfstoffen. Eine Technologie, die bis vor etwa anderthalb Jahren so gut wie unbekannt war. Nun könnte den mRNA-Impfstoffen eine große Zukunft bevorstehen – auch im Kampf gegen andere Krankheiten. So testet Biontech etwa Krebs-Impfstoffe auf Basis von mRNA. Pfizer-Chef Albert Bourla erkennt in der Technologie ein dramatisches Potenzial
. Pfizer sei zuversichtlich, nun auch alleine mRNA-Vakzine entwickeln zu können – womöglich auch ohne den bisherigen Partner Biontech.
Auch der Biotech-Unternehmer und Curevac-Aufsichtsrat Friedrich von Bohlen prophezeit der mRNA noch eine große Zukunft: Ich wäre nicht überrascht, wenn in dreißig Jahren mRNA-basierte Arzneimittel und Impfstoffe die am weitesten verbreitete Therapieform sein werden.
Wahrscheinlich sieht auch Bill Gates die mRNA-Impfstoffe mittlerweile in besserem Licht. WirtschaftsWoche, von Jürgen Salz
Lehrerverband für Schulschließungen bereits ab Inzidenz von 100
Der deutsche Lehrerverband fordert, die geplante Corona-Notbremse des Bundes noch einmal nachzuschärfen und Schüler früher in den Distanzunterricht zu schicken als bisher vorgesehen. Es sei zwar ein Fortschritt, dass der maßgebliche Inzidenzwert für Schulschließungen von 200 auf 165 gesenkt worden sei, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Doch auch eine Inzidenz von 165 ist noch deutlich zu hoch.
Meidinger betonte, er habe kein Verständnis dafür, warum man bei Schulen einen anderen, gröberen Maßstab anlege als in anderen Bereichen der Gesellschaft. Man dürfe nicht vergessen, dass die bundesweite Inzidenz in der Altersgruppe zwischen 10 und 19 Jahren bereits jetzt deutlich höher liege. Um eine Ausbreitung des Virus in den Schulen wirksam zu stoppen, muss der Präsenzunterricht bereits ab einer Inzidenz von 100 beendet werden
, forderte Meidinger. dpa
Produktion von Johnson & Johnson-Impfstoff in US-Werk nach Panne gestoppt
Nach einer Panne bei der Herstellung des Corona-Impfstoffs von Johnson & Johnson hat die US-Arzneimittelbehörde FDA einen Produktionsstopp in dem betroffenen Werk in den USA gefordert. Die Firma Emergent BioSolutions, die das Werk in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland betreibt, erklärte am Montag in einer Mitteilung an die US-Börsenaufsicht SEC, die FDA habe verlangt, die Produktion bis zum Abschluss einer laufenden Untersuchung auszusetzen.
Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson hatte Ende März bestätigt, dass eine Charge seines Impfstoffs in der Produktionsstätte in Baltimore nicht den Qualitätsanforderungen
entsprochen habe. Johnson & Johnson nannte selbst keine Zahlen. Laut der New York Times
waren 15 Millionen Impfdosen unbrauchbar. Johnson & Johnson kündigte trotz der Panne an, im April 24 Millionen zusätzliche Dosen zu liefern.
EMA gibt neue Risikobewertung von Johnson & Johnson-Vakzin bekannt
Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) gibt am Dienstag (17 Uhr) ihre aktualisierte Einschätzung zur Sicherheit des Corona-Impfstoffs von Johnson & Johnson bekannt. Vergangene Woche waren die Impfungen mit dem Vakzin in den USA nach vereinzelten Fällen schwerer Blutgerinnsel vorläufig gestoppt worden. Auch die Auslieferung des Impfstoffs nach Europa wurde verschoben.
Das Corona-Vakzin des US-Herstellers ist in der EU bereits zugelassen, wurde aber bislang nicht verabreicht. In den vergangenen Wochen hatten bereits Thrombosefälle beim Corona-Impfstoff des Pharmaunternehmens Astrazeneca in Europa für Schlagzeilen gesorgt. Die in Amsterdam ansässige EMA hielt aber an ihrer grundsätzlichen positiven Risikobewertung des britisch-schwedischen Unternehmens fest. AFP
Corona-Studie aus Israel:
Geimpfte infizieren sich häufiger mit Südafrika-Variante
Eine Studie aus Israel lässt vermuten, dass Corona-Impfstoffe nicht mehr richtig gegen die südafrikanische Variante B.1.351 wirken. Greift der Mechanismus der Antigenerbsünde
?
Tel Aviv – Schützen die vorhandenen Impfstoffe auch vor einer Infektion mit Virusmutanten? Für die britische Variante B.1.1.7, die in vielen Ländern und auch in Deutschland den Wildtypus
von Sars-CoV-2 fast komplett verdrängt hat, scheint das zu gelten; mit allenfalls kleinen Einbußen bei der Wirksamkeit. Anders sieht es bei der erstmals in Südafrika aufgetauchten Variante B.1.351 aus.
Dazu kommen schlechte Nachrichten aus Israel: Laut einer aktuellen Studie der Universität Tel Aviv und der Clalit Healthcare Organisation – der größten Krankenkasse in Israel – haben sich Geimpfte achtmal so häufig wie Ungeimpfte mit der südafrikanischen Variante angesteckt. Allerdings handelt es sich insgesamt um nur sehr geringe Zahlen, da dieser Virusstamm in Israel kaum verbreitet ist, 90 Prozent der Infektionen gehen dort auf die britische Variante zurück. Die Studie wurde bislang nur preprint auf medRxiV veröffentlicht und noch nicht begutachtet.
Impfschutz von mRNA-Vakzinen bei südafrikanischer Corona-Variante nicht immer wirksam
In Israel haben 4,9 Millionen Menschen – rund 53 Prozent der Bevölkerung – bereits beide Impfdosen erhalten. Dort werden ausschließlich mRNA-Vakzine gespritzt, der größte Teil stammt von Biontech/Pfizer, ein kleinerer von Moderna. Das Forschungsteam hatte für seine Studie die Proben von 150 Menschen untersucht, die positiv auf das Coronavirus getestet worden und teils asymptomatisch infiziert, teils aber auch erkrankt waren, obwohl sie entweder bereits die erste Impfung oder sogar beide Impfungen bekommen hatten.
Basierend auf dem Bild in der Gesamtbevölkerung hätten wir erwartet, einen Fall einer Infektion mit der südafrikanischen Variante zu finden, aber wir sahen acht
, zitiert die Times of Israel
die Studienleiterin Adi Stern: Dieses Ergebnis machte mich nicht glücklich.
Im Vergleich mit dem originalen Virusstamm und der britischen Variante sei die südafrikanische Variante dazu in der Lage, den Impfschutz zu durchbrechen. Die Studie sei sehr wichtig
, erklärte Ran Balicer, Forschungsdirektor der Clalit Healthcare Organisation, weil es die erste sei, die auf Daten aus der realen Welt basiere.
Bereits Ende März hatten Wissenschaftler:innen der Ben-Gurion-Universität des Negev bei Laborversuchen festgestellt, dass der Impfstoff von Biontech-Pfizer nicht in der Lage war, die südafrikanische Variante vollständig zu neutralisieren und auch weniger effektiv gegen Stämme wirkte, die Eigenschaften sowohl der britischen als auch der südafrikanischen Variante trugen.
Corona-Studie mit Real-World-Daten
schneidet schlechter ab als Laborversuch
Dieses Forschungsteam hatte für seine Studie mit den Proben von Menschen, die eine natürliche Infektion überstanden hatten, sowie mit Proben von komplett und mit der ersten Dosis Geimpften gearbeitet. Dieses Material wurde in der Petrischale sogenannten Corona-Pseudoviren ausgesetzt. Damals sah das Ergebnis so aus, dass es eine reduzierte, aber immer noch vorhandene Wirksamkeit gegen die südafrikanische Variante gab. Diese fiel höher aus als nach einer überstandenen Infektion mit dem Wildtypus
von Sars-CoV-2.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie mit Real-World-Daten
muten im Vergleich dazu schlechter an. Ran Balicer von der Clalit Health Organisation betont deshalb, es sei wichtig, wachsam zu bleiben. Das schließe ein, weiter in geschlossenen Räumen Masken zu tragen und Social Distancing zu praktizieren. Notwendig sei auch ein epidemiologisches Monitoring und das systematische Sequenzieren des Virusmaterials in Corona-positiven Proben.
Bislang ist die südafrikanische Variante in Israel selten. Studienleiterin Adi Stern geht davon aus, dass sie für nur etwa ein Prozent der Infektionen verantwortlich ist. Andere Mutanten wurden bei der Studie nicht gefunden. Die Forscher:innen vermuten, dass die Bedingungen in Israel günstiger für die britische als die südafrikanische Variante sind.
Astrazeneca-Impfstoff schützt kaum noch vor südafrikanischer Corona-Variante
Bereits vor Wochen hatte eine Studie aus Südafrika ergeben, dass auch das Vakzin von Astrazeneca, das als Vektorimpfstoff auf einer anderen Technologie, basiert, kaum noch vor der südafrikanischen Variante schützt. Die Impfungen mit dem Vakzin waren deshalb in Südafrika gestoppt worden.
Am beunruhigendsten an der Studie aus Israel klingt die Tatsache, dass sich Geimpfte häufiger als Ungeimpfte mit der südafrikanischen Variante infizierten – auch wenn es insgesamt nur acht Fälle gab. Die Studie macht zudem keine Aussage darüber, ob und wie schwer die mit B.1.351 infizierten Geimpften an Covid-19 erkrankt waren. Könnte hier möglicherweise die sogenannte Antigenerbsünde
zum Tragen kommen? Es gibt bereits vereinzelte wissenschaftliche Arbeiten, die sich im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 dieser Theorie widmen. Dabei ist zu betonen, dass es sich bei der Antigenerbsünde um eine Theorie handelt, nicht um eine nachgewiesene Tatsache.
Corona-Impfung: Greift die Antigenerbsünde? Immunsystem auf alte Version fixiert
Die Annahme: Das Immunsystem kann, wenn es schon einmal mit einem Virus infiziert war und dann mit einer neuen Variante konfrontiert wird, dazu tendieren, Antikörper nur gegen solche Strukturen zu bilden, wie es sie vom ursprünglichen Erreger kennt. Das Immunsystem würde dieser Theorie nach stets Antikörper-Versionen gegen dieses beim ersten Kontakt kennengelernte Antigen bilden und wäre nicht mehr richtig dazu in der Lage, sich umzustellen. Das Prinzip ließe sich auch auf eine Impfung übertragen. Diese könnte sich dann im schlimmsten Fall nachteilig auswirken, wenn man einer neuen Variante eines Virus ausgesetzt ist, weil das Immunsystem auf eine alte Version des Antigens fixiert ist. Im Fall von Sars-CoV-2 handelt es sich bei dieser Zielstruktur um das Spike-Protein, sämtliche zugelassenen Impfstoffe orientieren sich an der originalen Version dieses Proteins.
Nun treten die Mutationen der neuen Virusvarianten aber ausgerechnet an diesem Spike-Protein auf, bei der südafrikanischen Variante in noch massiverem Umfang als bei der britischen. Im britischen Wissenschaftsmagazin The Conversation
schreibt der US-amerikanische Immunologie Matthew Woodruff von der Emory University in Atlanta über dieses Problem. Er sei besorgt, dass Impfstoff-Updates, die an die neue Virusstämme angepasst würden, bei Menschen weniger wirken könnten, die bereits eine Impfung mit den ersten Vakzinen erhalten haben. Das Immungedächtnis könne in diesem Fall das Entstehen einer guten Immunantwort auf die angepassten Vakzine stören. Die Wissenschaftswelt müsste sich mit diesem entstehenden Problem beschäftigen und an komplexen
, Impfstoffen arbeiten, die gegen viele Virusstämme wirken. An solchen Vakzinen wird bereits im Fall der Influenza geforscht. Das Wissen daraus, so der US-Immunologe, müsse sofort auf Sars-CoV-2 übertragen werden. Fankfurter Rundschau, Pamela Dörhöfer
LKA: Mehr als 10.000 Betrugsfälle mit Corona-Hilfen
In weit mehr als 10.000 Fällen sollen Betrüger im Zusammenhang mit Corona-Hilfen allein in Berlin hohe Geldbeträge erhalten haben. Dem Landeskriminalamt (LKA) Berlin sind bisher weit über 10 000 Fälle des Betrugsverdachts im Zusammenhang mit Anträgen auf Corona-Hilfen bekannt
, heißt es in einer am Montag veröffentlichten Antwort des Senats auf eine AfD-Anfrage.
Angesichts dieser hohen Zahl von mutmaßlichen Betrügern kommt das LKA offenbar mit der Bearbeitung kaum hinterher. Derzeit würden 2946 Betrugsfälle von Corona-Hilfen bearbeitet, hieß es mit Stand Ende März. Davon seien 1946 Fälle abgeschlossen und an die Staatsanwaltschaft übergeben. Eine Schadenssumme wurde nicht genannt.
Den Angaben zufolge laufen Ermittlungen zu diversen Betrugsstraftaten
. Einzelne Täter, aber auch bandenmäßig organisierte und teilweise mit Finanzagenten arbeitende Gruppierungen beantragten teils unter Vorspiegelung nicht existenter Unternehmen oder nicht vorhandener Notlagen unrechtmäßig Gelder bei der Investitionsbank Berlin (IBB)
. Die Zahl der Anzeigen, die meist von Banken gestellt würden, steige weiter. dpa
RKI-Präsident Wieler:
Menschheit muss sich auf ein Leben mit Corona einstellen
Die Menschheit muss sich nach Ansicht des Präsidenten des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, auf ein dauerhaftes Leben mit Corona einstellen. Ein Virus, das eine Menge Tierarten infizieren kann, das lässt sich nicht ausrotten
, sagte Wieler am Montag anlässlich des 127. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Stuttgart. Generell müsse man Tierhaltung und Tierhandel in den Griff kriegen, sagte der Tierarzt mit Blick auf die Ausbreitung von Krankheiten. Gerade der illegale Tierhandel sei ein Problem.
Wieler warnte auch vor den Folgen des Klimawandels. Schäden wie Hitzestress, Probleme mit psychosozialer Gesundheit, Hautkrebs nähmen schon jetzt zu, führte er aus. Aber auch von Tieren wie etwa Mücken und Zecken übertragene Krankheiten würden in Folge von veränderten Biotopen und weniger Artenvielfalt häufiger. Probleme erwarte er zudem, wenn der Klimawandel die Versorgung mit Trinkwasser erschwere. Auch eine verminderte Qualität von Badegewässern führte Wieler als Beispiel an. Dies führe etwa zu Magen-Darm-Problemen. Tgs.
Schweden: Hunderte Dosen Astrazeneca landen offenbar täglich im Müll
In der Region Stockholm müssen nach Angaben eines Chefarztes jeden Tag Hunderte Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs weggeworfen werden, weil die Leute sich weigern, damit geimpft zu werden. In einem Interview des schwedischen Fernsehens SVT sagte Johan Styrud vom Stockholmer Ärzteverband am Montag, es gelinge nicht, schnell genug andere Impfwillige zu finden. Wenn der Impfstoff nicht innerhalb weniger Stunden verabreicht werde, müsse er weggeschmissen werden, so Styrud.
Nachdem in Zusammenhang mit dem Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers Astrazeneca einige Fälle von Blutgerinnsel aufgetreten sind, wird der Wirkstoff in Schweden nur noch an die über 65-Jährigen verabreicht.
Dem Bericht zufolge sagen einige Patienten ihren Termin ab, wenn sie erfahren, dass sie mit dem Astrazeneca-Mittel geimpft werden sollen. Andere würden an der Tür der Impfzentren wieder kehrtmachen. Styrud betonte, dass der Nutzen der Impfung sehr viel größer sei als das Risiko von Komplikationen. dpa
Frankreich verhängt für mehrere Länder Pflichtquarantäne
Frankreich verschärft wegen der Corona-Pandemie die Einreise aus Brasilien, Chile, Argentinien und Südafrika. Angesichts der Besorgnis über Covid-19-Varianten soll ab dem 24. April eine zehntägige Pflichtquarantäne für Einreisende aus diesen Ländern gelten. Die Maßnahme trifft auch für Flugreisende aus dem französischen Überseedepartement Guyana zu.
Frankreich will bis dahin ein System schaffen, das die Überprüfung des Aufenthaltsortes und die entsprechenden Quarantäneanforderungen erlaubt. Des Weiteren muss ein negativer PCR-Test nachgewiesen werden, der nicht älter als 36 Stunden sein darf.
Für Brasilien hat Frankreich zudem die Anfang letzter Woche verhängte Aussetzung aller Flüge in das lateinamerikanische Land bis einschließlich 23. April verlängert. Die Maßnahme wurde wegen der als P1 bekannten brasilianischen Variante angeordnet, die besonders virulent sein soll und für einen starken Anstieg der Coronavirus-Todesfälle in Brasilien im März verantwortlich gemacht wird. dpa
Kassenärzte erwarten Aufhebung der Impf-Priorisierung im Mai
Die Kassenärzte erwarten, dass im Mai die bisherigen Impf-Priorisierungen aufgehoben werden können. Wenn die Lieferungen wie zugesagt zunähmen, erhielten die Praxen im Mai deutlich mehr als jene 2,25 Millionen Dosen, die jede Woche an die Impfzentren gingen, sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
.
Im Mai sind neben den Hausärzten sukzessive auch die Fachärzte mit an Bord, und wir werden immer mehr gesunde Menschen und andere Personen außerhalb der derzeit berechtigten Gruppen impfen
. Weiter sagte er: Ich rechne damit, dass im Mai auch die Priorisierungsvorschriften sukzessive fallen und von dann an jeder Erwachsene eine Impfung erhalten kann.
dpa
Gottesdienst für die Corona-Toten in der Gedächtniskirche
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat die Gesellschaft zu einem Moment des Innehaltens inmitten der Corona-Pandemie aufgerufen. Krankheit, Sterben und Tod lassen sich in diesem langen Jahr nicht wegdrücken, sie schneiden tief ein in das Leben vieler Menschen
, sagte der Bischof von Limburg am Sonntag in einem ökumenischen Gottesdienst in Berlin für die Verstorbenen in der Pandemie. Tod und Sterben sind uns näher gerückt als zuvor.
Es fehle so viel, sagte Bätzing weiter: Besuche im Krankenhaus, letzte Aussprachen, Trost in der Angst, die vertraute Hand, das Verweilen mit den Verstorbenen, letzte Worte, die Liebe, Schmerz, Trauer und Verzeihen ausdrücken. Sterben an einer ansteckenden Krankheit lässt das alles nicht zu - nicht einmal ein Begräbnis, an dem viele teilnehmen, diesen Menschen würdigen und den Angehörigen beistehen.
Verpasste Augenblicke seien verpasste Chancen. Sie sind einmalig, da gibt es kein zweites Mal
, sagte der Bischof. Was hier alles fehlt, was einem an Nähe und Zuneigung geraubt wird durch die Pandemie, das verwundet die Seele.
Wie ein Trauma legt sich die Krisenerfahrung der Pandemiezeit auf unsere Seele und schreit nach Heilung
, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, in dem ökumenischen Gottesdienst. Für die Verarbeitung werden wir viel Zeit brauchen, erst recht unsere Kinder, unsere Heranwachsenden, für die diese Krise die Ausdehnung einer gefühlten Ewigkeit hat.
Bätzing und Bedford-Strohm nahmen Bezug zur Geschichte der zwei nach Emmaus gehenden Jünger, die über den Verlust des am Kreuz gestorbenen Jesus trauerten. Diese Emmaus-Geschichte mache Mut, sagte Bätzing: Unsere Toten finden ihren Weg ins Leben an der Hand des auferstandenen Jesus. Und auch die Trauernden werden gut begleitet ihren Weg zu neuer Lebensfreude hoffentlich finden dürfen. Und wir - miteinander und in Verantwortung füreinander - finden heraus aus dieser Pandemie. Denn Gott geht mit uns.
dpa/epd
Fallzahlen steigen weiter an;
Schweden hat höchste Inzidenz Europas
Einst war Schweden für seinen Sonderweg berühmt. Nun kämpft das Land wie viele andere in Europa gegen eine dritte Infektionswelle. Die Inzidenz liegt mittlerweile fast dreimal so hoch wie in Deutschland.
Im vergangenen Jahr wurde lange über den schwedischen Sonderweg in der Pandemie diskutiert: Das skandinavische Land hatte zunächst auf strikte Lockdowns wie in anderen Ländern verzichtet. Nach und nach wurden aber auch dort die Corona-Maßnahmen hochgefahren. Dennoch ist Schweden mittlerweile in Europa trauriger Spitzenreiter bei den Neuinfektionen pro Einwohner.
Zuletzt steht die Sieben-Tage-Inzidenz laut den von ntv.de ausgewerteten Daten bei rund 404. Das ist zwei- bis dreimal so hoch wie in Deutschland, wo der Wert aktuell bei rund 153 liegt. Die Sieben-Tage-Inzidenz beschreibt die gemeldeten Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen. Ebenfalls hohe Werte weisen Frankreich (396), Polen (377) und Ungarn (372) auf. Noch höher als in Schweden ist die Inzidenz im EU-Land Zypern (436), das geografisch in Asien liegt. Die ebenfalls größtenteils in Asien liegende Türkei weist eine Inzidenz von 460 auf.
Seit Anfang Februar ziehen die Fallzahlen in Schweden immer weiter an. Auch die Zahl der Covid-19-Intensivpatienten legte laut dem schwedischen Intensivpflegeregister am Montag auf mittlerweile 393 zu - das ist höher als der Höchststand zur Spitze der zweiten Welle im Januar, allerdings niedriger als der absolute Höchstwert von 558 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen im Frühjahr 2020.
Zahl der Todesfälle auf niedrigem Niveau
Allerdings ist die Zahl der Todesfälle bisher nicht im Gleichschritt zu den Neuinfektionen und Intensivpatienten gestiegen. In den vergangenen sieben Tagen lag die Zahl der täglich gemeldeten Todesfälle im Schnitt bei etwa 18, wie aus einer Datenanalyse von Our World in Data hervorgeht. Zur Hochphase Ende Januar hatte der Wert mehrere Tage über 120 gelegen. Die Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten führt die vergleichsweise niedrigen Todesfallzahlen auf die bereits fortgeschrittene Impfkampagne unter Risikopersonen, besonders den Bewohnern von Pflegeheimen, zurück, berichtet der Guardian
.Die mittlerweile auch in Schweden geltenden Corona-Maßnahmen wurden zuletzt Ende März verlängert. Die Entwicklung gehe in die falsche Richtung, weshalb die Maßnahmen noch eine Weile beibehalten werden müssten, hatte Sozialministerin Lena Hallengren das begründet. Zu den bestehenden Maßnahmen zählen Beschränkungen für Restaurants, Kneipen und Cafés. Die Lokale müssen etwa weiter um 20.30 Uhr schließen, dürfen danach aber Essen und Getränke zum Mitnehmen anbieten. Die Beschränkungen der Besucher- und Kundenanzahl in Einkaufspassagen, Geschäften und Fitnessstudios gelten ebenfalls länger. Laut der Gesundheitsbehörde sollen die Maßnahmen vorläufig bis zum 3. Mai gelten. ntv.de, kst
Farbanschlag auf Auto von Karl Lauterbach
Auf das Auto des SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach haben Unbekannte am Freitag in Köln einen Farbanschlag verübt. Das bestätigte am Samstag ein Polizeisprecher. Die Unbekannten hätten in der Nacht einen Farbeimer über das Auto gekippt, auch die Scheiben seien verschmutzt, er könne den Wagen nicht mehr fahren, schreibt Lauterbach. Aber wir werden nie aufgeben
, heißt es in der Mitteilung. Der SPD-Politiker und Arzt zählt zu den exponiertesten Persönlichkeiten in der Debatte um die Maßnahmen gegen das Coronavirus. dpa
Luca-App: CCC fordert Bundesnotbremse
Zweifelhaftes Geschäftsmodell, mangelhafte Software, Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe: Der Chaos Computer Club (CCC) fordert das sofortige Ende der staatlichen Alimentierung von Smudos Steuer-Millionengrab Luca-App
.
In den vergangenen Wochen wurden eklatante Mängel in Spezifikation, Implementierung und korrekter Lizenzierung der Luca-App aufgedeckt. Die nicht abreißende Serie von Sicherheitsproblemen und die unbeholfenen Reaktionen des Herstellers zeugen von einem grundlegenden Mangel an Kompetenz und Sorgfalt.
Dennoch verschwenden immer mehr Länder ohne korrektes Ausschreibungsverfahren Steuergelder auf das digitale Heilsversprechen. Mecklenburg-Vorpommern will die Installation sogar zur Voraussetzung der Teilhabe am öffentlichen Leben machen.
Der CCC fordert ein umgehendes Moratorium, eine Überprüfung der Vergabepraktiken durch den Bundesrechnungshof und ein sofortiges Ende des App-Zwangs. Für den Umgang mit hochsensiblen Gesundheits- und Bewegungsdaten verbietet sich der ländersubventionierte Roll-Out ungeprüfter Software von selbst.
Investor Smudo auf Talkshow-Tour
Eine mehrmonatige Marketing-Kampagne des Rappers Smudo hat es ermöglicht: Trotz eklatanter Mängel haben verschiedene Bundesländer bisher mehr als 20 Millionen Euro an Steuergeldern für Lizenzen zur Nutzung der Luca-App investiert. Dabei erfüllt die App keinen einzigen der zehn Prüfsteine des CCCs zur Beurteilung von Contact Tracing
-Apps.
Staatlich subventioniertes Geschäftsmodell
Obwohl Steuergelder großzügig eingesetzt werden, verbleiben Daten, App und Infrastruktur selbstverständlich in den Händen der privatwirtschaftlichen Betreiber. Dabei gelten die teuren Lizenzen nur für ein Jahr – genug Zeit, um die Luca-App zum de-facto-Standard für Einlass-Systeme zu machen. Mecklenburg-Vorpommern hat die Nutzung bereits offiziell im Rahmen der Infektionsschutzverordnung verpflichtend angeordnet.
Für die Zeit nach dem steuerlichen Geldregen haben die Eigentümer schon heute ungenierte Pläne zur weiteren Kommerzialisierung der Kontaktverfolgung: Neben der Anbindung in Ticketing-Systeme hofft man auf breite Verbindung mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen. Die Marke luca
wurde mit unternehmerischer Weitsicht unter anderem für Zutrittskontrolle, Besuchermanagement, gedruckte Eintrittskarten, sowie für die Reservierung von Tickets für Veranstaltungen, insbesondere für Kultur- und Sportveranstaltungen, politische Veranstaltungen, Veranstaltungen für Bildungs- und Fortbildungszwecke und für wissenschaftliche Tagungen
eingetragen.
Fragwürdige Vergabepraxis
Als Spitzenreiter hat das Bundesland Bayern allein 5,5 Mio. Euro für eine Einjahreslizenz ausgegeben. Andere Länder wie Baden-Württemberg (3,7 Mio. Euro), Niedersachsen (3,0 Mio. Euro) und Berlin (1,2 Mio. Euro) haben die Lizenzen unter Umgehung der Ausschreibungspflicht erstanden. Der regierende Oberbürgermeister von Berlin Müller rühmt sich sogar damit, die Lizenz ohne technische Prüfung erstanden zu haben. Er habe noch nicht einmal mit Smudo gesprochen und offenbarte damit wohl unbewusst den Hauptgrund seiner Spendierlaune. Kurz nach dem Spontankauf warnte die Berliner Datenschutzbeauftragte vor beträchtlichen Risiken
bei der Luca-App.
Alternativen geflissentlich ignoriert
Dabei ist Luca nicht alternativlos: Mehr als dreißig Konkurrentinnen lobbyieren im Bündnis Wir für Digitalisierung
seit Wochen erfolglos gegen die Werbemacht des Stuttgarter Rappers Smudo an. Der Luca-App mangelt es nicht an Konkurrenzprodukten, die mindestens genauso schlecht sind
, stellte Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs, fest.
Die großzügige Verschwendung von Steuergeldern wird umso unverständlicher, weil die Landesregierungen damit in Konkurrenz zur dezentralen, datensparsamen und quelloffenen Corona-Warn-App gehen, die mit dem nächsten Update eine vergleichbare Funktionalität erhalten soll. Die vom Bund finanzierte Corona-Warn-App hat bereits eine breite Nutzungsbasis, wurde aber nach einem erfolgreichen Start mehrere Monate lang nur stiefmütterlich weiterentwickelt. Dieses Versäumnis soll nun die privatwirtschaftliche Luca-App monetarisieren.
Zweifelhafter Nutzen
Der Nutzen der App bleibt dabei fragwürdig und ihre Anwendungsmöglichkeiten begrenzt. Beispiele im 20 Hektar großen Osnabrücker Zoo und verschiedenen IKEA-Filialen erheitern seit Tagen das Netz: Ein sinnvoller Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung lässt sich auch mit viel Kreativität nicht konstruieren.
Als besonderes Leistungsmerkmal wird die Anbindung an Gesundheitsämter betont. Die Gesundheitsämter sind bisher jedoch weder durch besonders schnelle Kontaktverfolgung noch durch besonderes Interesse an Besuchslisten aufgefallen: Regelmäßig sind diese zu umfangreich und zu ungenau, um relevante Kontakte zu identifizieren.
Impfungen und effektive Seuchenschutzmaßnahmen sind die einzige sinnvolle Möglichkeit, der Pandemie Einhalt zu gebieten. Es würde mich nicht wundern, wenn das digitale Heilsversprechen Luca-App bald zum Sündenbock für das fortwährende Versagen der Bundes- und Landesregierungen wird
, spekulierte Neumann.
Betreiber greifen in zentralen Datenbestand ein
Ein Team aus international renommierten Privacy- und Security-Forscherinnen warnte schon früh in einer achtzehnseitigen vorläufigen Analyse
vor verschiedensten Missbrauchspotenzialen des zentralen Ansatzes.
Das zentralisierte Luca-System speichert alle Daten bei den Betreibern und ermöglicht dadurch ein Monitoring sämtlicher Check-in-Vorgänge in Echtzeit. Das gilt auch für jene Check-ins, die in der App als privat
gekennzeichnet sind. Die Betreiber scheuen auch nicht davor zurück, in diese Treffen aktiv einzugreifen und sie beispielsweise zu löschen.
Handwerkliche Mängel und Schwachstellen
Die bisher gefundenen Schwachstellen und Peinlichkeiten der Luca-App sind ein bunter Strauß der Inkompetenz:
Bei der Registrierung soll die Telefonnummer per SMS validiert
werden. Millionen Euro müssen verschiedene Bundesländer für den Versand aufbringen. Eine handwerklich fehlerhafte Implementierung macht die Validierung jedoch unwirksam. Die Folge: Das massenhafte Erstellen von Fake-Accounts ist ebenso einfach wie deren Check-in an beliebigen Orten. Es droht nicht weniger als der Kollaps des kompletten Luca-Systems.
Die für Menschen ohne Smartphone zu hunderttausenden angeschafften Luca-Schlüsselanhänger verraten bei jedem Scan die vollständige zentral gespeicherte Location-Historie. Wer den QR-Code scannt, kann nicht nur künftig unter Ihrem Namen einchecken, sondern auch einsehen, wo Sie bisher so waren
, bestätigte Linus Neumann die heute von Bianca Kastl und Tobias Ravenstein veröffentlichte Schwachstelle Lucatrack
. Die Schwachstelle ist offensichtlich und unnötig. Sie zeugt von einem fundamentalen Unverständnis grundlegender Prinzipien der IT-Sicherheit. Hier wurde – mal wieder – mit der heißen Nadel gestrickt, statt eine wohlüberlegte Lösung zu bauen
, so Neumann weiter.
Entgegen den Versprechungen des Sicherheitskonzepts ist das Luca-Backend potenziell jederzeit in der Lage, einzelne Geräte eindeutig zu identifizieren und ihnen alle Check-ins zuzuordnen.
Als Musikant schimpft Smudo gern auf die Umsonst-Gesellschaft
und die Verletzung von Urheberrechten. Für die Luca-App wurden jedoch fremde Software-Komponenten unter dreister Missachtung der Lizenzbedingungen verwendet. Ein bedauerlicher Fehler
, der professionellen Programmierern einfach nicht passiert.
Bis heute ist nur ein Teil des Quellcodes des Gesamtsystems öffentlich. Inwieweit dieser Teil überhaupt noch mit der produktiven Umgebung übereinstimmt, ist unklar.
Die App erfüllt Mindeststandards der Barrierefreiheit nicht. Der App-Zwang stellt eine besonders schwere Form der Diskriminierung dar.
CCC fordert sofortigen Stopp und lückenlose Aufklärung
Die zwielichtige Vergabepraxis zeugt bestenfalls von der Strahlkraft des Rappers Smudo, der bisher nicht als Programmierer oder Datenschützer aufgefallen war: Dem Investor der culture4life GmbH, die die Luca-App in Windeseile aus dem Boden gestampft hat, ist es binnen Monaten gelungen, Millionen für ein unreifes und untaugliches Produkt einzuwerben. Dabei vergisst Investor Smudo gern zu erwähnen, dass er mit über 22% am Unternehmen beteiligt ist, also nicht ohne beträchtlichen Eigennutz für die Luca-App wirbt.
Die Luca-App ist nicht der einzige Fall, bei dem COVID-Glücksritter weit über ein angemessenes Niveau hinaus Kapital aus der Pandemie schlagen
, sagte Linus Neumann. Die Maskenaffäre wurde gerade erst erfolgreich unter den Teppich gekehrt. Um einem weiteren Vertrauensverlust in die Politik Einhalt zu gebieten, muss nun lückenlos aufgeklärt werden, wie es zu der zweifelhaften Vergabe kam
, so Neumann weiter. Chaos Coputer Club, 2021-04-13 21:04:42, linus
Pfizer-Chef:
Wahrscheinlich dritte und jährliche Impfdosis notwendig
Im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie könnte nach Einschätzung von Pfizer-Chef Albert Bourla eine dritte Spritze als Auffrischung und anschließend eine jährliche Impfung notwendig werden. Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass es die Notwendigkeit einer dritten Dosis geben wird, irgendwo zwischen sechs und zwölf Monaten, und danach eine jährliche Neu-Impfung, aber all das muss noch bestätigt werden
, sagte der Vorstandsvorsitzende des US-Pharmakonzerns dem US-Sender CNBC in einem am Donnerstag veröffentlichten, aber bereits Anfang April geführten Interview. Dabei spielten auch die Varianten von SARS-CoV-2 eine große Rolle.
Andere Wissenschaftlerinnen und Pharma-Vertreter hatten sich bereits ähnlich geäußert. Pfizer und sein deutscher Partner Biontech sowie andere Hersteller untersuchen derzeit bereits die Wirkung von möglichen Auffrischungen ihrer Corona-Impfstoffe. Web.de
RKI registriert 25.831 Neuinfektionen und 247 Todesfälle
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 25.831 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 247 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen von Freitagmorgen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 05.03 Uhr wiedergeben, nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich.
In seinem aktuellen Lagebericht von Donnerstagabend schreibt das RKI: Nach einem vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen über die Osterfeiertage setzt sich der starke Anstieg der Fallzahlen fort.
Besonders stark seien sie in den jüngeren Altersgruppen gestiegen.
Am Freitag vor einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 25.464 Neuinfektionen und 296 neue Todesfälle verzeichnet. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Donnerstagmorgen bundesweit bei 160,1. Am Vortag hatte das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 160,1 angegeben, vor vier Wochen noch mit 95,6.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag nach dem RKI-Lagebericht von Donnerstagabend bei 1,18 (Vortag: 1,11). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 118 weitere Menschen anstecken. Der 7-Tage-R-Wert liegt über 1. Dies bedeutet weiterhin eine deutliche Zunahme der Fallzahlen
, hieß es im Lagebericht. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Präsident der Intensivmediziner warnt vor dramatischer Lage
– etwa in Berlin
Angesichts der sich weiter zuspitzenden Corona-Situation haben die Intensivmediziner vor einer dramatischen Lage
in deutschen Krankenhäusern gewarnt. Wir haben zwar noch einige Betten in einigen Regionen frei, aber es gibt Ballungsgebiete wie Köln, Bremen und Berlin, wo es richtig knapp wird
, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, im Podcast Leben in Zeiten von Corona
der Zeitung Mannheimer Morgen
.
Von den 30.000 am Donnerstag gemeldeten Infizierten würden in spätestens vierzehn Tagen rund 300 bis 600 schwer erkranken und müssten auf Intensivstationen behandelt werden, warnte Marx. Jeden Zweiten, den wir beatmen müssen, können wir nicht zurück ins Leben bringen.
Er appellierte an die Politik, so schnell wie möglich die bundesweite Corona-Notbremse zu verabschieden. Wir haben keine Zeit mehr, es geht um jeden Tag, es geht schlichtweg um Menschenleben
, warnte er. AFP
Biontech-Impfstoff schützt offenbar weniger gut vor Mutante
Israel gehört zu den Impfweltmeistern. Nun zeigt sich dort: Die aus Südafrika bekannte Variante des Coronavirus kann offenbar den Schutz der Biontech-Vakzine in seltenen Fällen aushebeln.
Der Coronaimpfstoff von Biontech/Pfizer schützt einer israelischen Studie zufolge weniger gut vor der aus Südafrika bekannten Virusmutante als vor anderen Varianten. Die südafrikanische Variante ist in gewissem Umfang in der Lage, die Schutzwirkung des Impfstoffs zu durchbrechen
, sagte Co-Studienautor Adi Stern von der Universität Tel Aviv. Ob die Impfung den Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit der Variante abmildert, lässt sich bisher jedoch nicht sagen.
Für die Studie untersuchten Forschende 400 Probanden, die sich mit dem Coronavirus infiziert hatten, obwohl sie mindestens die erste Dosis des Biontech-Impfstoffs bekommen hatten. Sie verglichen die Daten mit 400 weiteren Infizierten, die nicht geimpft worden waren. Normalerweise wäre zu erwarten gewesen, dass der Anteil der aus Südafrika bekannten Variante B.1.351 in beiden Gruppen gleich hoch sein müsste. In Israel macht sie derzeit weniger als ein Prozent der Infektionen aus.
Variante B.1.351 verbreitet sich vor allem unter Geimpften
Bei der Auswertung zeigte sich jedoch: Unter den Geimpften ging ein deutlich größerer Teil der Infektionen auf B.1.351 zurück, so berichten Forscher der Universität Tel Aviv und der größten israelischen Krankenkasse Clalit. Der Effekt zeigte sich auch, wenn die Probanden zwei Spritzen des Impfstoffs bekommen hatten und damit eigentlich als gegen Infektionen geschützt gelten. Bei ihnen lag der Anteil der Variante B.1.351 achtmal höher als bei Infizierten, die nicht geimpft worden waren.
Das bedeutet, dass der Pfizer/Biontech-Impfstoff, obwohl er hochwirksam ist, wahrscheinlich nicht das gleiche Maß an Schutz gegen die aus Südafrika bekannte Coronavirusvariante bietet
, teilten die Autoren der Studie am Sonntag mit. Insgesamt zeigt sich der Impfstoff in Israel jedoch weiterhin als hochwirksam.
Im März hatte eine Datenauswertung zur Corona-Impfkampagne in Israel ergeben, dass der Impfstoff zwei Wochen nach Verabreichung der zweiten Dosis zu 97 Prozent vor symptomatischen Covid-19-Erkrankungen schützt. Infektionen ohne Symptome werden demnach zu 94 Prozent verhindert.
Nach Angaben von Co-Autor Stern wurde in der aktuellen Studie zudem nicht überprüft, ob die vollständig geimpften Probanden auch einen schweren Krankheitsverlauf hatten. Die Zahl der Geimpften, die sich in Israel mit B.1.351 infizierten, sei so gering, dass eine Aussage über den Krankheitsverlauf statistisch nicht signifikant sei.
Im Februar hatten schon zwei Studien, die die Impfstoffhersteller Biontech/Pfizer und Moderna im New England Journal of Medicine
publiziert hatten, eine geringere Schutzwirkung der Impfstoffe gegen die Mutante B.1.351 gezeigt. Die Zahl der gebildeten Antikörper war demnach geringer als bei anderen Virusvarianten. Die israelische Studie, die nun von Fachkollegen begutachtet wird, ist die erste Studie zur aus Südafrika bekannten Variante aus der praktischen Anwendung der Vakzine.
Impfstoffe können angepasst werden
Komplett wirkungslos dürfte der Biontech-Impfstoff jedoch nicht werden. Der Impfstoff lässt sich an neue Varianten anpassen. Die europäische Arzneimittelbehörde Ema hat bereits angekündigt, neue Formen der Vakzine könnten deutlich schneller zugelassen werden als der Vorgänger.
In Israel wurden bereits mehr als die Hälfte der 9,3 Millionen Einwohner zweimal mit der Biontech/Pfizer-Vakzine geimpft. Den Erfolg der israelischen Impfkampagne sichert ein Abkommen mit Pfizer. Dabei verpflichtete sich Israel, umfassende Daten über die Wirksamkeit des Impfstoffs zu liefern – gegen eine bevorzugte Belieferung.
Israel hat wegen seiner erfolgreichen Impfkampagne viele Coronarestriktionen bereits aufgehoben. Andere Regeln wie die Maskenpflicht an öffentlichen Orten gelten weiter. Viele Orte stehen nur Menschen offen, die ihre Coronaimpfung mit einem grünen Pass nachweisen können.
Der an der Studie beteiligte Wissenschaftler Ran Balicer sagte, mit einer Kombination aus Impfungen, Maskenpflicht und weiteren Maßnahmen seien die Chancen am besten, eine Ausbreitung von Virusvarianten wie B.1.351 zu verhindern. Regierungen weltweit müssten sicherstellen, dass wir nicht eine Schwelle überschreiten, ab der diese Varianten in die Lage versetzt würden, sich massiv auszubreiten
, mahnte Balicer. Tgs, koe/AFP
Die Folgen der Astra-Zeneca-Verweigerung
Der Wirkstoff von Astra-Zeneca ist so unbeliebt, dass viele Hessen ihrem Impftermin fernbleiben. Angeblich verfällt aber deswegen keine Dosis. Ministerpräsident Bouffier ist wegen der fehlenden Rücksichtnahme besorgt. Die Zahlen sind erschreckend: Gesundheitsämter in Hessen berichten von bis zu 50 Prozent geplatzten Impfterminen. Zusagen, auf die viele so dringend warten, gelten manchen offenbar nichts mehr, wenn sie einer Corona-Immunisierung mit dem Wirkstoff von Astra-Zeneca entgegenblicken.
Das Problem kennt auch der Leiter des Frankfurter Impfzentrums, Benedikt Hart. In der Festhalle, wo zurzeit jeden Tag etwa 1000 Impfungen mit Astra-Zeneca eingeplant sind, fielen 250 bis 400 Termine aus, sagt er. Einige äußerten erst auf den letzten Metern Sonderwünsche, nach einem Aufklärungsgespräch mit einem Arzt, berichtet Hart. Sie brächten umfangreiche Unterlagen mit, um zu belegen, dass sie einen mRNA-Impfstoff benötigten. Aber da haben wir keinen Spielraum
, sagt der Leiter des DRK-Impfzentrums. Wird ihnen der Wechsel zu den Wirkstoffen von Biontech oder Moderna verweigert, verzichteten sie ganz auf den Termin: Das ist sehr schade, denn jede Impfung bringt uns als Gesellschaft weiter.
Doch die allermeisten stellen sich gar nicht dem Gespräch, sie sagen ihren Impftermin nicht einmal ab. Muss der Impfstoff dann entsorgt werden? Benedikt Hart beruhigt: Wir ziehen die Spritzen ja immer ganz kurzfristig, just in time, auf.
Aus einer Ampulle Astra-Zeneca würden zehn Dosen entnommen. Abends zähle man dann ganz genau ab.
Wenn dann beispielsweise noch zwei Impflinge da wären, würden unter den zahlreichen Mitarbeitern in der Festhalle noch acht herausgesucht, die ebenfalls impfberechtigt seien, aber noch keinen Schutz gegen das Coronavirus haben. Das Gesundheitsamt Frankfurt arbeitet derzeit an einer Nachrückerliste, damit in naher Zukunft auch Externe mit einer Impfberechtigung in solchen Fällen einspringen können. Die vielen hundert Impfungen mit dem Astra-Zeneca-Wirkstoff, die jeden Tag ausfallen, würden dann wieder ans Land Hessen als verfügbar gemeldet und neu vergeben, erläutert der Leiter des Impfzentrums.
Unzuverlässige Impfkandidaten
Doch Hart vermutet, dass es auch Doppelbuchungen sind, die zu den verpassten Terminen führen. Wer kurzfristig einen Impftermin bei seinem Hausarzt bekomme, habe seine Registrierung beim Land Hessen vielleicht gedanklich schon ad acta gelegt. Ich möchte die Bürger darum bitten, dass sie ihre Termine bei der Hotline des Landes rechtzeitig stornieren, wenn sie stattdessen zum Hausarzt gehen
, appelliert Hart. Dann könne man die Termine zügig neu vergeben.
Lag die Termintreue in den ersten Wochen des Impfens noch bei fast 100 Prozent, haben sich nun die Städte und Kreise überraschend schnell mit der Unzuverlässigkeit der Impfkandidaten arrangiert. Sie haben vielfach schon Nachrückerlisten angelegt, um schnell auf Ersatzkandidaten zugreifen zu können, so im Landkreis Darmstadt-Dieburg, im Main-Taunus-Kreis, in Darmstadt und Gießen.Dort kann sich aber nicht jeder registrieren, der sich gerne impfen lassen möchte, sondern nur jene, die zu den ersten beiden Priorisierungsgruppen des Landes Hessen gehören. Im Main-Taunus-Kreis, wo die sogenannte No-Show-Rate bei etwa 30 Prozent liege, werde außerdem bewusst überbucht, heißt es. Auf Anweisung des Landes
würden auch 30 Prozent mehr Termine für Astra-Zeneca vergeben als Impfstoff vorhanden sei. Das Innenministerium, das für die Verteilung an die Impfzentren zuständig ist, hatte sich auf Nachfrage nicht dazu geäußert, ob es eine solche Anweisung gebe.Er könne verstehen, wenn Menschen verunsichert seien, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Montagabend. Dass fest vereinbarte Impftermine nicht wahrgenommen würden, muss einen ja besorgen
. Das Oberziel sei schließlich, dass wir so schnell wie möglich weite Teile der Bevölkerung impfen
. Der Ministerpräsident kündigte an, das Thema mit den kommunalen Spitzenverbänden zu besprechen. FAZ
Warum Innenräume noch immer Covid-Hotspots sind
Das Risiko einer Infektion mit Covid-19 steigt rasant an, wenn sich Viruspartikel in Gebäuden anhäufen. Wie allerdings besser belüftet werden kann, bleibt unklar.
Wenn Lidia Morawska unterwegs ist, hat sie immer einen Apparat von der Größe eines Schuhs bei sich. Dieses kleine CO2-Messgerät liefert einige ernüchternde Einsichten über die Restaurants und Büros, die sie besucht. Draußen misst es Kohlendioxidkonzentrationen von etwas über 400 ppm (parts per million; Teile pro Million). Drinnen sieht die Sache ganz anders aus.
Selbst in einem augenscheinlich geräumigen Restaurant mit hohen Decken schießt die Konzentration auf bis zu 2000 ppm – ein Zeichen dafür, dass der Raum schlecht belüftet ist und ein Risiko für Covid-19-Infektionen darstellt. Wie sehr der Schein trügen kann, überrascht auch Morawska immer wieder. Die meisten Leute haben keine Ahnung davon
, sagt die Physikprofessorin, die an der Queensland University of Technology im australischen Brisbane Aerosole erforscht.
In den meisten Cafés und Kindergärten der Welt sieht die Lage ähnlich aus, zeigen Messungen von Kolleginnen und Kollegen, die mit solchen Geräten unterwegs waren. Für die Eindämmung der Corona-Pandemie sind das schlechte Nachrichten. Monatelang haben die Gesundheitsexperten darauf hingewiesen, dass schlecht belüftete Innenräume zu Infektionshotspots werden können. Am 1. März veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation WHO dann die lang erwarteten Richtlinien für eine verbesserte Innenraumbelüftung. Das Dokument, an dem Morawska mitgearbeitet hat, gibt Maßnahmen und Zielwerte vor, wie sich Innenräume besser belüften und dadurch sicherer machen lassen.
Wie tödlich ist das Coronavirus? Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt? Wie kann ich mich vor Sars-CoV-2 schützen? Diese Fragen und mehr beantworten wir in unserer FAQ. Mehr zum Thema lesen Sie auf unserer Schwerpunktseite Ein neues Coronavirus verändert die Welt
. Die weltweite Berichterstattung von Scientific American
, Spektrum der Wissenschaft
und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.
Philomena Bluyssen gehen diese Vorschläge nicht weit genug. Die Bauingenieurin an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden kritisiert, dass viele Regierungen weder konkrete Maßnahmen noch Finanzierungsmöglichkeiten geliefert hätten, um Menschen in Innenräumen zu schützen. Große Teile der Bevölkerung, von Schulkindern über Büroangestellte bis hin zu Strafgefangenen, riskierten dadurch eine Infektion mit dem Coronavirus. Die WHO-Richtlinien seien nur das Mindestmaß dessen, was getan werden müsse, sagt Bluyssen.
Wir hätten viele Menschen retten können, wenn die Übertragung auf dem Luftweg früher anerkannt worden wäre
(Yuguo Li)
Wie lüftet man richtig?
Andere Experten zweifeln dagegen am Sinn weitergehender Empfehlungen. Das Problem ist so komplex, dass man es nicht mit ein paar einfachen Ratschlägen lösen kann
, erklärt Ehsan Mousavi. Der Bauingenieur von der Clemson University in South Carolina beschäftigt sich mit der Luftqualität und Lüftung in Krankenhäusern. Wie man ein Zimmer richtig lüftet, um es sicher zu machen, das sei schlicht noch nicht genau bekannt.
Zwei Monate nachdem die WHO Covid-19 zur globalen Gesundheitskrise erklärt hatte, veröffentlichte sie am 28. März 2020 über Twitter und Facebook eine Nachricht: Fakt: #COVID19 ist NICHT durch Luft übertragbar.
Gegenteilige Behauptungen wurden als Falschinformationen abgestempelt. Kurz darauf zeigten wissenschaftliche Belege, dass das Virus sehr wohl auf dem Luftweg übertragbar ist. Die WHO wurde von vielen Seiten kritisiert.
Drei Monate später aktualisierte die WHO ihre Hinweise zur Übertragung von Sars-CoV-2 und warnte vor überfüllten, schlecht belüfteten Räumen: Das Virus könne dort bei längerem Aufenthalt durchaus über die Luft übertragen werden. Viel zu lange habe dieser Sinneswandel gebraucht, kritisiert Yuguo Li, Umweltingenieur von der University of Hong Kong: Wir hätten viele Menschen retten können, wenn die Übertragung auf dem Luftweg früher anerkannt worden wäre.
Demgegenüber wendet die WHO ein, bereits frühzeitig auf den Nutzen von guter Raumlüftung hingewiesen zu haben.
Wenn wir nur halb so viel Geld in die Belüftung investiert hätten wie in die Oberflächendesinfektion, wäre das schon enorm
(Jose-Luis Jimenez)
WHO unterschätzte die Rolle von Aerosolen
Einigen Forschern und Forscherinnen, wie dem Umweltepidemiologen Joseph Allen von der T.H. Chan School of Public Health der Harvard University, geht das Update der WHO noch nicht weit genug. Infektionen finden hauptsächlich auf dem Luftweg statt
, sagt Allen. Deswegen seien Klimaanlagen und Luftreinigungsgeräte in Gebäuden eine sinnvolle Maßnahme.
Die WHO und andere Gesundheitsbehörden hätten falsche Schwerpunkte gesetzt, findet auch der Atmosphärenchemiker Jose-Luis Jimenez von der University of Colorado in Boulder. Die WHO solle einmal schreiben: Fakt: Es verbreitet sich über die Luft. Wir atmen es ein.
Dann würden vielleicht auch nationale Behörden Notiz nehmen. In Australien oder den Niederlanden fehle beispielsweise immer noch der Hinweis auf die Bedeutung der Luftübertragung in den öffentlichen Stellungnahmen, moniert Jimenez.
Die Sorge über die dürftige Luftqualität in Innenräumen erreichte Anfang 2021 einen Höhepunkt: In einem offenen Brief forderten Hunderte von Menschen die Regierungen von Kanada, den USA, Australien, Kolumbien und Großbritannien unter anderem dazu auf, etwas gegen schlechte Belüftung zu unternehmen.
Immer noch würden Regierungen und Unternehmen Millionen für Oberflächendesinfektion ausgeben, sagt der Chemiker Jimenez. Dabei dürfte es nur selten vorkommen, dass sich Menschen über eine kontaminierte Oberflächen anstecken. Wenn wir nur halb so viel Geld in die Belüftung investiert hätten, wäre das schon enorm.
Ausnahmen sind selten. Im Oktober 2020 hat Deutschland 500 Millionen Euro in die Verbesserung der Belüftung öffentlicher Gebäude wie Schulen, Museen und Ämter investiert. Geschäfte in Deutschland sowie in Südkorea können zudem staatliche Mittel beantragen, um mobile Luftreinigungsfilter anzuschaffen. In den USA dagegen wurde die staatliche Finanzierung zur Verbesserung der Luftqualität bislang auf den Gesundheitssektor begrenzt. Seit dem Inkrafttreten des American Rescue Plan Act am 11. März 2021 sind zumindest auch für Schulen finanzielle Mittel vorgesehen.
Bedrohung im Haus
Innenräume können zur Gefahr werden, weil ausgeatmete Viren sich hier ansammeln und Menschen sich ohne direkten Kontakt zu einer infizierten Person anstecken können. Dies geschah vor einem Jahr auch auf einer Party am Saint Patrick's Day: Zwölf Menschen steckten sich in einer Bar in Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam an. Nur vier von ihnen hatten dabei engen Kontakt zu einer infizierten Person gehabt. Ausbrüche in Fitnessstudios in Chicago und auf Hawaii kamen ebenfalls zu Stande, obwohl die Besucher Abstand hielten und die Teilnehmerzahl der Sportkurse begrenzt war.
Wenn nun gemäß der WHO-Empfehlung von überfüllten und schlecht belüfteten Räumen die Rede sei, würden viele Menschen an stickige Bars denken, sagt Morawska. In Wirklichkeit kann aber jeder Ort überfüllt und schlecht belüftet sein.
So wie ihr eigenes kleines Büro an der Queensland University, wenn ein Besucher vorbeischaue und die Tür geschlossen sei.
Auch deshalb plädieren Fachleute wie Jimenez für die Nutzung von günstigen CO2-Messgeräten, die eine Ahnung davon vermitteln, ob ein Raum ausreichend durchlüftet ist. Kohlendioxid werde genauso wie Viruspartikel ausgeatmet. Bei geringer Belüftung sammle es sich zusammen mit dem Virus an, so Jimenez. Zusammen mit seinem Koautoren Zhe Peng hat Jimenez herausgefunden, dass das Risiko, sich mit Sars-CoV-2 zu infizieren, steigt, je höher die CO2-Konzentration drinnen ist. Die Ergebnisse sind noch nicht in einem Fachmagazin veröffentlicht.
In Taiwan, Norwegen und Portugal ist die CO2-Konzentration in Räumen per Gesetz auf 1000 ppm limitiert. Studien aus Kalifornien und Madrid zeigen, dass dieser Wert in Klassenzimmern jedoch regelmäßig überschritten wird. Wo die Werte hoch sind, fällt es den Menschen schwer, sich zu konzentrieren, außerdem gibt es mehr Krankheitstage.
Ein CO2-Grenzwert liefert Anhaltspunkte
Klare CO2-Limits könnten laut Jimenez dazu beitragen, dass eine ausreichende Belüftung zur Reduktion des Infektionsrisikos sichergestellt ist. In seiner Arbeit schlägt er einen generellen Grenzwert von 700 ppm vor. Niedrigere Werte sollten zudem in Fitnessstudios und anderen Räumen gelten, in denen Menschen größere Mengen Luft ein- und ausatmen.
Nicht alle Fachleute halten CO2-Messungen jedoch für die beste Lösung. Zwischen CO2 und Viren besteht kein Zusammenhang
, sagt Christian Kähler. Der Physiker beschäftigt sich mit der Produktion und Dynamik von Aerosolen an der Universität der Bundeswehr München. Wenn die CO2-Werte niedrig sind, könne ein falsches Gefühl von Sicherheit entstehen, sagt Kähler.
Doch aus Sicht von Jimenez sollen die Messungen eben nur eine schnelle Einschätzung ermöglichen, worin ihm im August 2020 die REHVA, der europäische Zusammenschluss der Beheizungs-, Belüftungs- und Klimaanlagenverbände, zustimmte. Die Experten des REHVA empfahlen, CO2-Messgeräte in Gebäuden einzurichten, in denen eine schlechte Belüftung zu erwarten ist.
Ende 2020 gingen Lehrkräfte im kanadischen Montreal mit CO2-Messwerten an die Presse, die sie heimlich in ihren Klassenräumen erhoben hatten. Die Regierung im Bundesstaat Quebec veröffentlicht seitdem online, welche CO2-Konzentrationen in den öffentlichen Schulen vorherrschen. Angestrebt werden Konzentrationen unter 1000 ppm. Bislang sind solche Aktionen jedoch die Ausnahme.
Keine festgelegten Standards
Konkrete Zielwerte und Maßnahmen zur Belüftung anzugeben, ist derzeit schwierig. Noch ist nicht bekannt, wie stark ein Raum gelüftet werden muss, um die Ansteckungsraten mit dem Virus effektiv zu senken. In Experimenten gezielt den Grad der Belüftung zu variieren, um dann auf die Ansteckungsrate zu schauen, sei jedoch unethisch, weil es Menschen in Gefahr bringe, sagt der Bauingenieur Mousavi.
Zudem weiß niemand genau, wie viele Viruspartikel eingeatmet werden müssen, damit es zu einer Ansteckung kommt. Jimenez und sein Team haben das durch indirekte Analysen herauszufinden versucht: Dazu untersuchten sie rückwirkend eine Chorprobe in Skagit Valley im US-Bundesstaat Washington, bei der höchstwahrscheinlich ein infizierter Mensch 52 der 60 Sängerinnen und Sänger angesteckt hat.
Auf dieser Grundlage entwickelten Jimenez und Peng im Juni 2020 ein Programm, das das Infektionsrisiko in Innenräumen anhand der Raumgröße, der Anzahl der Menschen darin und ihrer jeweiligen Tätigkeit – ob sie also singen, Sport treiben oder ruhig sitzen – bestimmen kann. Der Onlinerechner ist allerdings noch nicht durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Fach begutachtet worden.
Krankenhäusern und Arztpraxen empfiehlt die WHO, mindestens sechs- bis zwölfmal pro Stunde die Raumluft komplett auszutauschen, andere Einrichtungen kämen auch mit weniger aus. Laut den Heizungs-, Kühlungs- und Lüftungsfachleuten der American Society of Heating, Refrigerating and Air-Conditioning Engineers (ASHRAE) soll man zu Hause mindestens einmal alle drei Stunden, im Büro dreimal in der Stunde und in Schulen zumindest sechsmal in der Stunde die Raumluft komplett ersetzen.
Fenster zu öffnen, bringt oft wenig
Laut Liangzhu (Leon) Wang, einem Maschinenbauingenieur an der Concordia University in Montreal, würden aber selbst diese Mindeststandards nur selten eingehalten. Auch Expertinnen und Experten sind sich uneinig darüber, wie oft gelüftet werden muss, um das Infektionsrisiko mit Sars-CoV-2 zu verringern. Während Allen empfiehlt, in Schulen vier- bis sechsmal pro Stunde die Luft auszutauschen, sollten laut Kähler mindestens sechs Luftwechsel pro Stunde stattfinden. Diese können sowohl durch konventionelles Lüften als auch mittels Luftfilter und Reinigungsgeräten durchgeführt werden.
Das Team um Wang hat sich in einer bislang unveröffentlichten Studie damit beschäftigt, wie Schulen belüftet sein müssen, um ein Infektionsrisiko zu reduzieren. Dazu untersuchten die Forscher drei Schulen in Montreal. Sie fanden heraus, dass in einem Klassenraum mit 20 Kindern und einer Lehrkraft trotz geöffneter Fenster nicht einmal die Hälfte der Luft pro Stunde ausgetauscht werde. In ähnlichen Räumen mit Lüftungsanlage wurde die Raumluft immerhin zweimal pro Stunde komplett ausgetauscht. Auch diese Rate reiche nicht aus, um der Pandemie Einhalt zu gebieten. Laut Wang müsse die Luft in Innenräumen mindestens drei- bis achtmal pro Stunde ausgetauscht werden. Erst dann würde ein infizierter Mensch weniger als einen anderen Menschen anstecken, der R-Wert also unter 1 sinken.
In einer anderen Studie zeigten Wang und sein Team, dass die Ansteckungsgefahr um bis zu ein Drittel sinkt, wenn man die Frischluftzufuhr verdoppelt. Das gelte etwa für belebte Restaurants. In großen Gebäuden wie Lagerhallen mit wenigen Menschen darin sei der Effekt allerdings kaum vorhanden. Noch effektiver ist es allerdings, drinnen eine Maske zu tragen: Dann sinkt das Risiko einer Infektion um mehr als 60 Prozent, denn die Masken würden das Virus an seinem Ursprung stoppen, erklärt Wang.
Klimaanlagen könnten helfen – theoretisch
Regelmäßig das Fenster aufzumachen, wie es viele Gesundheitsbehörden empfehlen, sei zwar besser als nichts, meint der Münchner Forscher Kähler, allerdings würde dabei kaum Luft ausgetauscht, vor allem wenn der Durchzug fehlt. Und selbst wenn man mit zwei Fenstern einen Durchzug herstellen kann, müssten diese den Großteil der Zeit offen bleiben, um ähnlich effektiv wie eine Klimaanlage zu sein, ergaben Messungen von Kählers Team in einem Hörsaal. Nur: Wenn es draußen heiß ist oder zu kalt, würde sich ohnehin kaum jemand daran halten, sagt Kähler.
Klimaanlagen scheinen der bessere Weg zu sein: Sie ziehen unbelastete Luft von draußen ein und entfernen die möglicherweise kontaminierte Luft von innen. Im April 2020 empfahlen die amerikanischen Verbände ASHRAE und REHVA deshalb, über Klimaanlagen so viel Luft von draußen nach drinnen zu pumpen wie möglich. In Deutschland aber haben nur wenige Gebäude solche Geräte, die ausschließlich Frischluft in die Räume leiten, sagt Kähler. Die meisten Anlagen weltweit lassen eher die Raumluft zirkulieren und mischen nur rund ein Fünftel der Luft von außen bei, um Energie zu sparen.
Tatsächlich belasten Klimageräte die Umwelt erheblich, sagt Li. Dafür sind sie oft laut und sorgen für Zugluft, wenn sie stark hochgedreht werden.
Statt die Anlagen während der Pandemie aufzurüsten, sollten die Menschen sich dort aufhalten, wo es wenige andere gibt, und ihr Verhalten anpassen. Nicht rufen, nicht singen und nicht rennen
, ist Lis Ratschlag. Mobile Luftreinigungsgeräte wären eine Energie sparende Alternative, sagt Kähler. Sie könnten Viren herausfiltern und seien leicht aufzustellen.
Reine Luft in der nächsten Pandemie
Bluyssens Team hat Luftreiniger getestet und festgestellt, dass die mobilen Geräte die Viren teilweise besser herausfiltern als fest verbaute Klimaanlagen. Aber selbst auf niedrigster Stufe produzierten sie mehr Lärm und Zugluft als empfohlen. Wir müssen nach einfachen, bezahlbaren Lösungen suchen
, sagt Bluyssen. Ihre Gruppe forscht etwa an einem Sitz, der die ausgeatmete Luft absaugt, filtert und reinigt.
Mousavi sieht das Problem darin, dass die Maschinen, die derzeit genutzt werden, nicht genügend verstanden seien. Die Empfehlungen von Behörden wie der WHO sollten aber auf klaren wissenschaftlichen Erkenntnissen fußen.
Vielleicht kommen diese Erkenntnisse der Menschheit ja erst bei der nächsten Pandemie zugute. Und selbst wenn es keinen großen Krankheitsausbruch gibt, sind gute Belüftungsstrategien wertvoll. Die Luft in Innenräumen war ganz schön lange ganz schön schlecht
, sagt Bluyssen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, die Luftqualität nicht nur für den Pandemiefall, sondern für die gesamte Zukunft zu verbessern.
Spectrum der Wissenschaft
RKI meldet mehr als 29.400 Neuinfektionen – Inzidenz steigt auf 160
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 29.426 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 293 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen von Donnerstagmorgen hervor, die den Stand des RKI-Dashboards von 05.03 Uhr wiedergeben, nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich.
In seinem aktuellen Lagebericht von Mittwochabend schreibt das RKI: Nach einem vorübergehenden Rückgang der Fallzahlen über die Osterfeiertage setzt sich der starke Anstieg der Fallzahlen fort.
Rund um die Osterfeiertage war laut RKI weniger getestet und gemeldet worden. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 20.407 Neuinfektionen und 306 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Donnerstagmorgen bundesweit bei 160,1. Am Vortag gab das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 153,2 an, vor vier Wochen lag sie bei 90,4.
Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 3.073.442 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit etwa 2.736.100 an. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 79.381.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag nach dem RKI-Lagebericht von Mittwochabend bei 1,11 (Vortag: 1,08). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 111 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Lauterbach kritisiert Notbremse als nicht ausreichend
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk die geplante Bundesnotbremse als notwendig begrüßt, gleichzeitig davor gewarnt, dass sie nicht ausreichen könnte. Zwar würden Ausgangsbeschränkungen und die Testung in den Betrieben dazu beitragen, das Infektionsgeschehen abzubremsen. Aber die Schritte reichen nicht, um den R-Wert unter 1 zu senken
, sagte er.
Lauterbach ist entgegen anderslautender Äußerungen von Aerosolforschern überzeugt davon, dass Ausgangssperren einen Effekt haben. Das hätte unter anderem eine Studie der Universität Oxford gezeigt. Dort sei gezeigt worden, dass sich mit diesem Instrument der R-Wert um 10 bis 20 Prozent senken lässt.
Trotz des Impfstopps in den USA und des verzögerten Marktstarts in Europa geht Lauterbach davon aus, dass das Johnson & Johnson-Präparat gegen das Coronavirus bald in Deutschland eingesetzt wird. Ich glaube nicht, dass es ein permanenter Rückschlag ist, die Sinusvenenthrombosen waren auch bei Johnson & Johnson zu erwarten
, sagte er weiter im Deutschlandfunk.
Die Komplikationen seien aber so rar, dass der Impfstoff nach einiger Zeit wieder verimpft wird, in den Vereinigten Staaten, und der Impfstart in Europa dann auch beginnen wird
, sagte Lauterbach. Man wird wahrscheinlich auch hier wieder darüber nachdenken müssen, ob man den Impfstoff bei den über 60-Jährigen spezifisch einsetzt
.
Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson hatte am Dienstag wegen Berichten über sogenannte Sinusvenenthrombosen nach der Impfung den Marktstart seines Präparats in Europa aufgeschoben. Zuvor hatten Behörden in den USA ein vorübergehendes Aussetzen der Impfungen empfohlen, nachdem im Land sechs Fälle der Hirnvenenthrombosen erfasst worden waren. Quelle: Benjamin Reuter, dpa
Zahl neuer Azubis bricht stark ein
Im Corona-Jahr 2020 haben so wenige Menschen in Deutschland eine Ausbildung begonnen wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge brach nach vorläufigen Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um 9,4 Prozent auf 465.200 ein, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Als Grund nannten die Statistiker den Effekt der Corona-Krise auf den Ausbildungsmarkt.
Zwar seien die Ausbildungszahlen seit Jahren tendenziell rückläufig, hieß es von den Experten. Der aktuelle Einbruch ist in seiner Höhe aber bislang einzigartig.
Am stärksten davon betroffen waren die Bereiche Industrie und Handel (-11,9 Prozent) und das Handwerk (-6,6 Prozent). Lediglich die Landwirtschaft konnte einen leichten Zuwachs an neuen Azubis verzeichnen.
Der Rückgang ist stärker als 2009, als die Gesamtzahl der Neuverträge im Zuge der Finanzkrise um 7,6 Prozent geschrumpft war. Außerdem zählten die Statistiker seit 1991, als erstmals die Daten von West- und Ostdeutschland zusammengeführt wurden, keinen niedrigeren Stand an neuen Lehrverträgen. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, zeigte sich angesichts der Zahlen besorgt: Azubis, die jetzt nicht ausgebildet werden, fehlen in der Zukunft als Fachkräfte
, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. dpa
Experten: Impfstoff-Typ könnte Ursache für Nebenwirkungen sein
Die seltenen schweren Nebenwirkungen nach der Impfung mit den Präparaten von Astrazeneca und Johnson & Johnson hängen deutschen Experten zufolge möglicherweise mit dem speziellen Typ dieser Impfstoffe zusammen. Die Tatsache, dass beide Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip beruhen und die gleichen Probleme verursachen, spricht meines Erachtens eher dafür, dass der Vektor selbst die Ursache ist
, sagte Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings sei das zum gegenwärtigen Zeitpunkt spekulativ.
Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson hatte am Dienstag wegen Berichten über sogenannte Sinusvenenthrombosen nach der Impfung den Marktstart seines Präparats in Europa aufgeschoben. Zuvor hatten Behörden in den USA ein vorübergehendes Aussetzen der Impfungen empfohlen, nachdem im Land sechs Fälle der Hirnvenenthrombosen erfasst worden waren.
Erst im März hatte Deutschland Impfungen mit dem Produkt des Herstellers Astrazeneca vorübergehend ausgesetzt. Auch andere europäische Länder stoppten die Impfungen zeitweise. Hintergrund war ebenfalls eine auffällige Häufung der speziellen Thrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) nach Impfungen mit dem Präparat. Inzwischen wird der Einsatz von Astrazeneca hierzulande nur bei Menschen ab 60 Jahren empfohlen.
In beiden Präparaten wird ein an sich harmloses Adenovirus als sogenannter Vektor genutzt, um Erbinformationen des Coronavirus in den Körper zu schleusen. Es sei theoretisch auch denkbar, dass das Spike-Protein des Virus, das in allen verfügbaren Impfstoffen dem Immunsystem zur Bildung von Abwehrstoffen präsentiert wird, die Nebenwirkungen verursacht, erklärte Oldenburg.
Auch Clemens Wendtner vermutet, dass bei beiden Impfstoffen ein ähnlicher Mechanismus den Nebenwirkungen zugrunde liegt. Wir haben im Fall von Johnson & Johnson die gleichen Nebenwirkungen, die auch bei Astrazeneca aufgetaucht sind
, sagt Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing. Da stellt sich die Frage, ob es hier einen Klasseneffekt gibt, also die Adenoviren, die als Vektoren genutzt werden, die Probleme auslösen.
dpa
Sputnik soll Impfdebakel lindern – ein Skandal
Warum bewerben Söder, Spahn & Co den russischen Impfstoff so auffallend? Möglich, dass die EMA-Zulassung nie kommen wird. Wegen ernster Einwände.
Haben Wladimir Putins Agenten Zugang zu Markus Söder, Jens Spahn und Harry Glawe, dem Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, und ihnen etwas ins Getränk gemischt? Sie fantasieren vom russischen Impfstoff Sputnik V als Lösung der deutschen Corona-Probleme, wollen Vorverträge über Massenlieferungen abschließen und zum Teil jetzt schon Steuergelder dafür locker machen – obwohl seit Wochen die Zweifel wachsen, ob das Vakzin hier jemals als Impfstoff zugelassen wird.
Sputnik wird immer mehr zu einem skandalumwitterten Impfstoff. Ihn zur Hoffnung für Deutschland hoch zu reden, ist nicht nur fahrlässig. Allmählich wird das zu einem politischen Skandal.
Die Chancen auf einen positiven Ausgang des Zulassungsverfahrens sinken. Die Warnungen betreffen unter anderem den Verdacht, dass Russland der zuständigen europäischen Arzneimittelbehörde EMA fragwürdige Unterlagen eingereicht habe. Die EMA prüft nun, ob die von Russland behaupteten Testreihen den ethischen und wissenschaftlichen Standards der EU entsprechen.
Die Slowakei klagt: Wir erhalten nicht den zugesagten Stoff
Auf das Ansinnen der EMA, die Kliniken und Labors zu besuchen, in denen die Daten angeblich erhoben wurden, reagiert Moskau hinhaltend. EMA-Direktorin Emer Cooke warnt: Sputnik werde kein schneller Heilsbringer.
Zum Hype um Sputnik hatte die Fachzeitschrift Lancet
beigetragen. Anfang Februar veröffentlichte sie eine Studie über eine mehr als 90-prozentige Wirksamkeit des Impfstoffs. Die Slowakei, die Sputnik bestellt hatte, ohne auf die EMA-Zulassung zu warten, beschwert sich nun, dass die gelieferten Dosen nicht mit der für Lancet
verwendeten Probe übereinstimmen.Argentiniens Präsident Alberto Fernandez wurde mit Sputnik geimpft – und ist dennoch an Corona erkrankt.
Moskauer Vermarktungsmodell
Nach allem Anschein betreibt der Russian Direct Investment Fund (RDIF), der den Impfstoff international vermarktet, ein doppeltes Spiel. Er hat keine international vertrauenerweckende Zulassung für das Vakzin. Er ist auch nicht in der Lage, die Millionen Dosen, deren Lieferung er in Verhandlungen in Aussicht stellt, selbst zu produzieren.
Aber er kennt die Nöte europäischer Politiker, die ihren Bürgern erklären sollen, warum nicht mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Und nutzt das aus, um mehrere Ziele zugleich zu erreichen.
Der RDIF sucht Produktionsstätten in der EU, darunter in Italien und in Illertissen, Bayern. Er ahnt, dass er keine EMA-Zulassung bekommt, möchte dieses fehlende Gütesiegel aber durch Made in Germany
kompensieren. Und wenn er dann auch noch darauf verweisen könnte, dass EU-Länder wie Österreich, Italien, Ungarn, die Slowakei oder gar Deutschland angeblich erfolgreich mit Sputnik impfen oder das zumindest vorhaben, könnte der Rubel rollen.
Auch Spahn erwog eine nationale Zulassung
Doch dafür brauchen die Russen zumindest nationale Zulassungen in der EU. Ungarn hat es vorgemacht. Die Slowakei folgte zunächst, verweigert nun aber die nationale Zulassung. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz versucht sich ebenfalls mit Sputnik-Erfolgen zu schmücken – mit dem Ergebnis, dass österreichische Medien nun besonders genau hinschauen bei den Einwänden gegen den russischen Impfstoff.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte sich zwischenzeitlich überreden lassen, einen nationalen Alleingang ohne EMA-Zulassung in Erwägung zu ziehen. Davon ist er inzwischen abgerückt. Er verhandelt aber weiter über Sputnik.
Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hatte dem Tagesspiegel im März auf Anfrage mitgeteilt: Es wird keine Zulassung speziell in Deutschland geben.
Es bekräftigte diese Festlegung nun erneut.
Auf eine rasche Sputnik-Massenproduktion an europäischen Pharmastandorten braucht auch niemand zu hoffen. Laut Pharma-Insidern sind vier bis sechs Monate nötig, um sie anlaufen zu lassen. Selbst wenn Söder dabei bleibt, die Herstellung in Illertissen zu unterstützen und mit Vorverträgen über Massenlieferungen zu verbinden, würde wohl frühestens nach den Sommerferien Zählbares herauskommen.
Söder und Spahn sollten ihr Vorgehen erklären
Und das Haupthindernis bleibt erstmal. Die EMA-Zulassung kommt nicht so schnell, womöglich nie. Eine nationale deutsche Zulassung an der EMA vorbei wird es auch nicht geben.
Söder, Spahn & Co haben einiges zu erklären: Warum wollen sie dennoch schon jetzt Lieferverträge für Sputnik schließen? Warum riskieren sie deutsche Steuergelder? Und wie wollen sie deutsche Sputnik-Nutzer gegen potenziellen Impfstoffbetrug absichern? Tgs, ein Kommentar von Christoph von Marschall
Über-60-Jährige verweigern Astrazeneca:
Ihr könnt euch den Impfstoff nicht aussuchen!
Die Zeit des Zusammenhalts ist vorbei. Das zeigt sich auch daran, dass viele Ältere den für sie freigegebenen Impfstoff nicht wollen. Kann sich noch wer an die Lobgesänge auf den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft erinnern? An die gegenseitige Rücksichtnahme in einer absoluten Ausnahmesituation, die jeder so hoffentlich nur einmal in seinem Leben erlebt. An Solidarität, Verständnis und Achtsamkeit? Das ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her. Lang, lang her. Der Glaube, dass hier wirklich etwas bewegt werden kann, wenn es ernst wird, der ist inzwischen verlorengegangen.Die Situation kann noch so schlimm sein, die Wissenschaftler, Virologen, Ärzte – also alle, die sich auskennen mit dem Coronavirus und seinen Folgen – können noch so laut rufen. Ihre Schreie verstummen fast in dem Gebrüll von politischen Wahlkämpfern und von wirtschaftlichen Einzelinteresslern. Von den Egoisten, denen inzwischen alles egal ist und die muntere Kontaktpflege in alle Richtungen betreiben, mal ganz zu schweigen.Ein kurzer Blick auf die Fakten: In Berlin ist inzwischen ein Drittel der Patienten auf den Intensivstationen zwischen 35 und 59 Jahre jung. Erschreckend, oder? Für viele offenbar noch nicht erschreckend genug. Aber gerade weil die Politik nicht schnell genug reagiert, kommt es auf individuelle Vorsicht und Rücksichtnahme an. Blöd nur, dass gegenseitiges Verständnis wohl nicht mehr zu erwarten ist. Zum Beispiel beim Impfen.Da weigern sich Tausende über 60-Jährige, sich mit dem Mittel von Astrazeneca impfen zu lassen – trotz eines aller verfügbaren Daten zufolge sehr geringen Risikos und obwohl die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu versterben, um ein Vielvielvielfaches größer ist.
Dass der Impfstoff für diese Gruppe in Deutschland zunächst nicht freigegeben war, lag lediglich an fehlenden Daten, nicht an möglichen Nebenwirkungen. Genau umgekehrt ist es in der anderen Altersgruppe: Es liegen inzwischen Daten vor, die nahelegen, dass bei Jüngeren sehr selten Komplikationen in Zusammenhang mit der Impfung auftreten könnten.
Politiker wie Winfried Kretschmann, der sich nach Freigabe mit öffentlich mit dem Präparat von Astrazeneca impfen ließ, haben das begriffen und wollten Vorbild sein. Oder auch Moderator Günter Jauch, der sagt: Ich lasse mich auf jeden Fall impfen. Und egal mit welchem Impfstoff.
Andere bleiben stur, ja eigensinnig.
Die Jüngeren müssen länger und länger warten
Statt sich mit einem leistungsstarken Impfstoff sofort zu schützen, warten viele Ältere jenseits aller Logik offenbar lieber länger auf die Präparate von Biontech oder Moderna und werden das Impftempo in Deutschland so weiter und weiter verzögern. Von den vorhandenen Astrazeneca-Dosen sind derzeit nur rund 62 Prozent auch verimpft - zum Vergleich: bei Biontech sind es fast 90 Prozent.
Durch dieses Zögern und Zaudern wird Deutschland darüber hinaus auch länger benötigen, um alle Willigen zu impfen und diese Pandemie zu beenden. Aber auch das scheint einigen angesichts ihres eigenen Impfschutzes egal zu sein. Umso schlimmer, wenn auch die Regierung und zuständige Behörden nicht alles unternehmen und etwa darauf verzichten, zunächst alle Menschen mit einer Erstimpfung grundzuimmunisieren.
Für alle unter 60-Jährigen, für die Astrazeneca derzeit nicht empfohlen wird, ist das zum Schreien. Denn sie warten dementsprechend noch länger auf die für sie zugelassenen Vakzine – oder müssen darauf hoffen, einen Arzt zu finden, der sie auf eigenes Risiko damit impft.
Natürlich ist es richtig, dass alle Geimpften so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren dürfen. Gleichzeitig sollten Ältere aber nicht verhindern, dass schnellstmöglich alle wieder diese Normalität geschenkt bekommen. Dann wäre es klüger, die Priorisierung der Impfungen aufzuweichen.
Oder den Menschen nicht mehr die Möglichkeit zu geben, Einfluss auf die Wahl des Impfstoffs zu nehmen. In Berlin kann sich jeder mit der Wahl des entsprechenden Impfzentrums seinen Lieblingsstoff aussuchen. Warum? Falls es gar nicht anders geht: Soll sich halt hinten anstellen, wer den Astrazenaca-Impfstoff trotz Freigabe nicht haben will. Die Schlange der Harrenden, Wartenden ist lang.
Sonst fragen die Jüngeren vielleicht nicht ganz zu Unrecht, ob Solidarität vielleicht nur in eine Richtung geht. Ein Jahr lang haben sich die vernünftigen Menschen extrem eingeschränkt, um vor allem die Älteren vor dieser unbekannten, unkalkulierbaren Krankheit zu schützen. Haben auf vieles verzichtet, was ein junges Leben lebenswert macht. Jetzt verzichten viele weiterhin auf ihr gewohntes Leben, nur wahrscheinlich aus anderen Gründen: Weil sie Angst haben, selbst Opfer zu werden.
Auf andere verlassen können sie sich längst nicht mehr, zu gefährlich. Wer sich wirklich schützen will, dem bleibt quasi nur noch übrig, zu Hause zu bleiben und zu warten. Bis er oder sie selbst ausreichend geschützt, Herdenimmunität erreicht und der Spuk vorbei ist. Tgs. eEin Aufschrei von Katrin Schulze
Frankreich unterbricht wegen Corona Flugverbindungen mit Brasilien
Frankreich setzt in der Corona-Krise sämtliche Flugverbindungen mit dem besonders betroffenen Brasilien aus. Das kündigte Regierungschef Jean Castex am Dienstag in Paris in der Nationalversammlung an, dem Unterhaus des Parlaments.
Wir stellen fest, dass sich die Lage verschlimmert
, sagte Castex. Und wir haben entschieden, bis zu einer neuen Entscheidung alle Flüge zwischen Brasilien und Frankreich auszusetzen.
Brasilien gehört weltweit zu den Ländern, die besonders von der Covid-19-Pandemie betroffen sind. cb/DP/fba
Wirksamkeit des Russland-Vakzins:
Wissenschaftler zweifeln Sputnik-Daten an
Seit Russland seinen Corona-Impfstoff Sputnik V auffallend eilig in den Markt gebracht hat, werden immer wieder Zweifel am Vorgehen der Verantwortlichen laut. Diese könnten zusätzlichen Schub erhalten: Medizinforscher finden viele Auffälligkeiten in den Daten zur Sputnik-Wirksamkeit. Obwohl eine Massenlieferung an den europäischen Markt erst im dritten Quartal zu erwarten wäre, setzen auch in Deutschland immer mehr Politiker auf den russischen Impfstoff Sputnik V. Dabei hat das Vakzin, das wie Astrazeneca ein Vektorimpfstoff ist, weiterhin keine Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA. Die EMA hatte Anfang März ein rollendes Zulassungsverfahren für Sputnik V gestartet. Doch um bei der EU-Kommission eine Zulassung für den europäischen Markt zu beantragen, liegen der EMA nach eigenen Angaben noch immer nicht genug Daten vor. Möglich auch, dass die vorliegenden Daten aus Russland Fragen aufwerfen. Fragen hat auch ein ganzes Bündnis kritischer Wissenschaftler, die sich mit ihren Sorgen an die Öffentlichkeit gewandt haben.
In einem bereits am Dienstag von der britischen medizinischen Fachzeitschrift The BMJ
veröffentlichten Brief stellen die Wissenschaftler Florian Naudet, Enrico Bucci und weitere Forscher Auffälligkeiten in den Wirksamkeitsnachweisen der russischen Wissenschaftler fest. Es handelt sich bei den Kritikern nicht um Impfstoffforscher, sondern um Mediziner mit verschiedenen Schwerpunktthemen, die sich kritisch mit den vorgelegten Datensätzen zu den verschiedenen Testphasen auseinandergesetzt haben. Im Zentrum steht die Analyse statistischer Auffälligkeiten und die Nachvollziehbarkeit von aus den Daten gezogenen Schlüssen.
Verdacht schon in Testphasen I und II
Die Auffälligkeiten sind demnach zahlreich, wobei sich diese Feststellung ausschließlich auf die aus Russland bereitgestellten Analysen bezieht. Die vollständigen Datensätze zu den verschiedenen Testphasen des am staatlichen Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelten Impfstoffs sind bislang nicht veröffentlicht worden; nur deren Auswertung. Da stellen Naudet und seine Mitstreiter immer wieder Werte fest, die nicht mit den Erfahrungen und Wahrscheinlichkeiten eines normalen Feldversuchs mit einem Medikament in Übereinstimmung zu bringen seien.
Erste Zweifel hatte das Forscher-Kollektiv bereits im vergangenen September geäußert, als es um die Ergebnisse der Testphasen I und II mit vergleichsweise kleinen Probanden-Gruppen ging. So wiesen damals etwa neun Probanden, die eine bestimmte Version des Impfstoffs verabreicht bekamen, nach 21 und 28 Tagen jeweils den exakt selben Antikörper-Wert auf. Das Gleiche geschah angeblich bei sieben von neun Probanden einer anderen Wirkstoff-Version. In weiteren voneinander getrennten Beobachtungen wiederholen sich die angeblich gemessenen Werte ebenfalls.
Noch unwahrscheinlicher sind demnach die Daten zur Zellproliferation, bei der es um die Vermehrung neuer Zellen geht. Dass die im September vorgelegten Daten erneut sich wiederholende Muster bei unterschiedlichen Probanden, Wirkstoffvarianten und Zeitpunkten aufzeigen, passt den kritischen Wissenschaftlern zufolge nicht zur natürlichen Zellvermehrung. Auch die Werte zur Antikörperbildung gegen die im Impfstoff enthaltenen Adenoviren wiesen demnach sich wiederholende Muster auf, obwohl sie bei unterschiedlichen Probanden mit unterschiedlichen Wirkstoffvarianten festgestellt worden sein sollen. Schon damals forderten die Wissenschaftler vergeblich umfassendere Daten aus Russland.
Unwahrscheinliche hohe Homogenität
Ein in der Fachzeitschrift Lancet
erschienener Artikel zur dritten Testphase von Sputnik V hatte dem Impfstoff Anfang Februar internationale Anerkennung verschafft und auch das Vertrauen der russischen Bevölkerung in den eigenen Impfstoff gestärkt. Doch erneut kommen Naudet, Bucci und ihre Kollegen zu dem Schluss, dass die Daten auffällig seien. Allerdings betreffen diesmal die sich wiederholenden Wertemuster die Wirksamkeit des Impfstoffes über alle Altersgruppen hinweg.
Weitere Auffälligkeiten betreffen die generelle Wirksamkeit des Impfstoffs. Der Hersteller hatte im Winter drei Pressemitteilungen zu Zwischenauswertungen der dritten Testphase veröffentlicht: am 11. November, am 24. November und am 14. Dezember. In allen drei Pressemitteilungen sowie in der Lancet
-Auswertung liegt die Wirksamkeit von Sputnik V bei 91 und 92 Prozent. Der Anteil an Erkrankten in den Gruppen der Geimpften und der Kontrollgruppe fällt zur Überraschung von Naudet und Kollegen immer gleich aus - und das bei einer fünfstelligen Zahl an Studienteilnehmern.
So kommen Naudet und seine Mitstreiter zu dem Schluss: Die ungewöhnliche und unwahrscheinliche hohe Homogenität der Impfstoffwirksamkeit über Altersschichten und verschiedene Zwischenanalysen hinweg gibt Anlass zu Bedenken hinsichtlich der berichteten Daten.
Am 12. März haben Naudet und Co. ihre Bedenken der EMA mitgeteilt und auch Lancet
plant Naudet zufolge eine Veröffentlichung dieser Bedenken - allerdings unter Ausklammerung der Pressemitteilungen, weil die auch nicht Thema im ersten Lancet
-Artikel zur Phase-III-Studie waren.
Kampf um die Öffentlichkeit
Was die Kritik für die weitere Anwendung von Sputnik V in der EU bedeutet, ist unklar. Die Slowakei, die das Mittel auf eigene Faust verspritzt, veröffentlichte Beschwerden über die gelieferten Dosen. Sie seien nicht in allen Details identisch mit den zuvor in der Fachzeitschrift Lancet
beschriebenen Dosen. Das Handelsblatt
zitiert Milan Nic von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik damit, dass Ungarn, das als erstes EU-Land eine Notzulassung für Sputnik V erteilt hatte, seine Dosen nicht komplett verimpft habe. Die Ungarn sind vorsichtig mit diesem Impfstoff und genauso vorsichtig sind sie mit ihrer Kritik daran
, sagte Nic demnach.
Für Aufsehen sorgt auch ein Artikel der Financial Times
, wonach Teilnehmer der Sputnik-Studie teilweise unter Druck gesetzt worden sein sollen. Jeder kritische Bericht ist von Bedeutung, schließlich ist der Impfstoff längst ein diplomatischer Hebel des Kreml - zum Verdruss mancher Europäer. Auf dem eigens aufgesetzten Twitter-Kanal warfen die Sputnik-Hersteller der Financial Times
Fake News vor. Auf die Kritik von Naudet und Kollegen reagierte der Account bislang nicht. ntv.de
2,5 Millionen Dosen für Bayern Söder bestellt Sputnik V auf eigene Faust
Wegen fehlender Impfdosen kommt die Impfkampagne nur schleppend voran. CSU-Chef Söder hat davon offenbar die Nase voll und schließt kurzerhand einen Vorvertrag mit einem Sputnik-V-Produzenten. Sobald das russische Vakzin in der EU zugelassen ist, können Millionen Bayern damit geimpft werden.
Bayern sichert sich noch vor einer möglichen EU-Zulassung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V Millionen Dosen des Mittels. Der Freistaat werde heute einen Vorvertrag mit einer Produktionsfirma im schwäbischen Illertissen unterzeichnen, kündigte Ministerpräsident Markus Söder nach der Sitzung des Kabinetts an. Nach der Zulassung soll der Freistaat 2,5 Millionen Impfdosen erhalten.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) prüft derzeit den Antrag auf Zulassung von Sputnik V in der EU. Im April werden Experten der EMA in Russland zur Begutachtung der Produktion und Lagerung des Impfstoffs erwartet. Russland gab das Mittel bereits Mitte August 2020 als weltweit ersten Corona-Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung frei. Mittlerweile haben in der medizinischen Fachpresse publizierte Daten dem Mittel hohe Wirksamkeit bescheinigt.
Der Impfstoff könnte im Laufe des Jahres in dem Werk in Illertissen produziert werden, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Eine entsprechende Absichtserklärung für die Produktion und den Import sei unterzeichnet. Es handelt sich um einen hochwirksamen Impfstoff
, betonte Holetschek.
Söder legt beschämende Trantütigkeit der Bundesregierung offen
Zustimmung kam vom stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki. Die Initiative bringe endlich mehr Schwung in die deutsche Impfstoff-Beschaffungspolitik, sagte Kubicki. Söder legt damit die beschämende Trantütigkeit des Impfstoff-Managements der Bundesregierung offen.
Er könne verstehen, dass der CSU-Mann sich auch nicht mehr den Takt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihren mangelnden Beschaffungsqualitäten vorgeben lassen wolle. Kubicki ging davon aus, dass dieser Vorstoß den Anlass gibt, jetzt endlich im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz sämtliche Möglichkeiten auszuloten, um schnell ausreichend Impfstoffdosen zu beschaffen
.
Linksfraktions-Chef Dietmar Bartsch kritisierte die Pläne des Freistaats hingegen scharf und forderte die Bundesregierung zum Eingreifen auf. Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung beim Impfen, aber keine bayerische Kraftmeierei
, sagte Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. ntv.de, hny/dpa
RKI meldet insgesamt mehr als 3 Millionen Infektionen
Die Zahl der insgesamt in Deutschland gemeldeten Corona-Infektionen ist auf über drei Millionen gestiegen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Montag haben sich nachweislich 3.011.513 Menschen in Deutschland mit dem Virus infiziert. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte deutlich höher liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die erste bestätigte Infektion wurde am 27. Januar 2020 bekannt gegeben. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit etwa 2 683 900 an. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 78 452.
Binnen eines Tages wurden 13.245 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 99 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen des RKI von Montaggmorgen hervor. Am Montag sind die vom RKI gemeldeten Fallzahlen meist niedriger, unter anderem weil am Wochenende weniger getestet wird. Zudem könnten die Zahlen wegen der Schulferien noch nicht vergleichbar mit früheren Werten sein. RKI-Präsident Lothar Wieler rechnete ab Mitte dieser Woche wieder mit verlässlicheren Daten zur Pandemie. Vor einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 8497 Neuinfektionen und 50 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Montagmorgen bundesweit bei 136,4. Die Daten geben den Stand des RKI-Dashboards von 05.07 Uhr wieder, nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich.
Am Vortag gab das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 129,2 an, vor einer Woche lag sie bei 128. Der Inzidenzwert ist momentan noch mit Vorsicht zu genießen und dürfte wegen weniger Tests und Meldungen über Ostern zu niedrig ausfallen. Das RKI erwartet, dass der Wert im Laufe der kommenden Woche wieder belastbar sein wird.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Sonntag bei 1,08 (Vortag: 1,02). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 108 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert sei weiter gestiegen, schreibt das RKI. Die in den Tagen nach Ostern beobachtete Absenkung des Werts könnte an der vorübergehend geringeren Testzahl gelegen haben. Auch der R-Wert kann nach RKI-Angaben erst in einigen Tagen wieder aussagekräftig bewertet werden. dpa
Seltene Gefäßkrankheit:
EMA untersucht Verbindung von Astra-Zeneca-Vakzin mit Clarkson-Syndrom
Nach der Impfung mit dem Impfstoff von Astra-Zeneca wurden fünf Fälle der seltenen Gefäßerkrankung gemeldet. Außerdem seien auch beim Vakzin von Johnson & Johnson Thrombose-Fälle aufgetreten. Die EU-Arzneimittelbehörde untersucht einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Corona-Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers Astra-Zeneca und dem Kapillarlecksyndrom, wie sie am Freitag in Amsterdam mitteilte. Es gehe um fünf Fälle der auch als Clarkson-Syndrom bekannten Gefäßerkrankung. Bei dem nur sehr selten auftretenden Leiden ist die Durchlässigkeit der Kapillargefäße zu hoch, so dass Plasma austritt und es zu Ödemen und einem Abfall des Blutdrucks kommt.
Die Behörde prüft außerdem Fälle von Thrombosen nach einer Impfung mit dem Vakzin des Herstellers Johnson & Johnson. Vier ernsthafte Fälle von Blutgerinnseln seien nach einer Impfung aufgetreten, teilte die EMA am Freitag in Amsterdam mit. Eine Person sei gestorben. Einer der Verdachtsfälle sei während der klinischen Studien aufgetreten. Die Behörde betonte, dass ein Zusammenhang mit dem Impfstoff des amerikanischen Herstellers noch nicht festgestellt worden sei.
Die EMA hatte am Mittwoch bei einer erneuten Prüfung von seltenen Thrombosen-Fällen nach der Impfung mit dem Präparat von Astra-Zeneca festgestellt, dass es einen Zusammenhang gebe. Die Häufigkeit gemeldeter Zwischenfälle mit Blutgerinnseln im Gehirn treten nach EMA-Angaben mit ungefähr 1 je 100.000 auf. Die EMA gab weiter uneingeschränkt grünes Licht für eine Verwendung. Der Nutzen des Wirkstoffes sei höher zu bewerten als die Risiken, erklärte die Arzneimittelbehörde. Frankfurter Allgemeine Zeitung
Studie: Südafrikanische Variante kann Biontech-Impfstoff durchbrechen
Die zuerst in Südafrika entdeckte Coronavirus-Variante kann vorläufigen Ergebnissen einer israelischen Studie zufolge den Schutz der Impfung von Biontech und Pfizer durchbrechen. Die Wissenschaftler der Universität Tel Aviv und des Gesundheitsdienstleisters Clalit verglichen 400 Personen, die geimpft und danach positiv auf das Virus getestet wurden, mit einer gleich großen Gruppe Infizierter, die nicht geimpft waren. Bei den Geimpften trat die südafrikanische Variante überproportional oft auf. Reuters
Auslastung aller Intensivbetten erreicht höchsten Wert seit Pandemie-Beginn
Deutschland hat am Samstag den Höhepunkt der Auslastung aller Intensivbetten seit Beginn der Corona-Pandemie erreicht. Das teilt Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, via Twitter mit. Es stehe immer weniger Personal zur Verfügung. Selbst wenn es zu einem harten Lockdown kommt, steigen die Zahlen weiter für 10-14 Tage
, so Karagiannidis. Es müsse jetzt was passieren.
Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, hat sich hinter Pläne für bundesweit einheitliche Regelungen im Kampf gegen das Coronavirus gestellt. Wir sind offen für die Gesetzesänderung, wir finden schon lange, dass bestimmte Beschränkungen und auch Instrumente in ein Bundesgesetz gehören. Zum Beispiel die Ausgangsbeschränkungen
, sagte die SPD-Politikerin am Samstag den Sendern RTL und ntv.
Schwesig fordert aber zugleich mehr Unterstützung vom Bund, zum Beispiel für die Gastronomie. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfe nicht nur vorschreiben, was verboten sei, sondern müsse auch sagen, wie sie helfe. Und wenn die Bundeskanzlerin in ein Bundesgesetz festschreiben will, dass über einem Inzidenzwert 100 bestimmte Bereiche geschlossen sind, wie zum Beispiel die Gastronomie, dann muss sie auch die Bereiche entschädigen. Die Überbrückungshilfen reichen nicht mehr aus!
dpa
Sachsen setzt sich über Stiko und Spahn hinweg – und erklärt warum
Die Stiko will den Abstand zwischen den Impfungen nicht weiter verlängern. Eine Länder-Umfrage ergibt: Sachsen beachtet die Empfehlungen längst nicht mehr.
Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hatte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vor wenigen Tagen gefordert, den Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung nicht nur beim Impfstoff von Astrazeneca, sondern auch bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna auf zwölf Wochen zu strecken.
So könnten bis Juli 60 Millionen Erstimpfungen stattfinden und unzählige Infizierte und Todesfälle in der Corona-Pandemie vermieden werden, argumentierte Lauterbach. Derzeit liegen rund 4,6 Millionen Impfstoff-Dosen auf Lager – so viele wie noch nie.
Der Ball liegt jetzt bei der Stiko
, sagte Lauterbach. Auf Anfrage des Tagesspiegels hat die Ständige Impfkommission des Robert Koch-Instituts (RKI) sich klar positioniert.
Die Stiko beziehe sich explizit
auf die von der Zulassung der Impfstoffe abgedeckten Zeiträume, so eine RKI-Sprecherin: Unter Berücksichtigung der Zulassungen und der vorliegenden Wirksamkeitsdaten empfiehlt die Stiko für die mRNA-Impfstoffe einen Abstand zwischen den beiden Impfungen von sechs Wochen.
Die mRNA-Impfstoffe sind die von Biontech und Moderna.
Die Empfehlung der Stiko war erst vor wenigen Wochen geändert worden. Zuvor wurden zwischen Erst- und Zweitimpfungen bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna drei Wochen empfohlen und beim Impfstoff von Astrazeneca sechs Wochen.
Anfragen des Tagesspiegels in einzelnen Landesministerien haben ergeben, dass diese Empfehlung auch bis auf eine Ausnahme umgesetzt wird.
In Sachsen nämlich liegen auf Anraten der Sächsischen Impfkommission (Siko) drei Wochen zwischen Erst- und Zweitimpfungen beim Impfstoff von Biontech, vier Wochen beim Impfstoff von Moderna und zwölf Wochen beim Impfstoff von Astrazeneca. Und das schon seit Beginn der Impfungen.
Das heißt: Zunächst wurde die Empfehlung der Stiko für den Astrazeneca-Impfstoff nicht beachtet, nun setzt sich Sachsen über die Empfehlung des Bundes für die mRNA-Impfstoffe hinweg.
In Sachsen werde die Zweitimpfung bei Biontech bewusst früher als theoretisch möglich verimpft, teilte das Sozialministerium Sachsen dem Tagesspiegel mit. Der Grund: Die Zweitimpfung bedeutet maximalen Schutz vor schwerer Erkrankung, Tod und der Übertragung der Viren. Ausbrüche in Heimen nach der Erstimpfung geben uns recht.
Die Sächsische Impfkommission verweise auf wissenschaftliche Daten aus anderen Ländern, die aus epidemiologischer Sicht klar dafür sprächen, schnell für eine komplette Immunisierung zu sorgen, so das Ministerium.
Das Land widersetzt sich so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der in einem Brief an die Gesundheitsminister der Länder gefordert hatte, die Zweitimpfungen zurückzustellen. Die aktuelle Impfquote in Sachsen betrage bei der Zweitimpfung 6,7 Prozent und liege damit auf dem Spitzenplatz im Vergleich zu den anderen Bundesländern, so das Sozialministerium Sachsen.
Als einziges angefragtes Bundesland teilt Sachsen auch mit, dass die Überlegungen von Lauterbach zumindest Gegenstand der Beratungen der Sächsischen Impfkommission
seien. Alle anderen verwiesen auf die Empfehlungen der Stiko.
Das Sozialministerium in Baden-Württemberg teilte mit, dass es das Terminvergabesystem des Bundes, von der Kassenärztlichen Vereinigung, nutzt. Dort würden immer die neuen Abstände eingestellt und vom Land entsprechend umgesetzt.
Mit den Impfstoff-Reserven gehe das Land so um wie vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorgeschrieben. Das bedeute: Es würden nicht mehr wie vorher 25 Prozent der Impfstoffe von Biontech, 50 Prozent der Impfstoffe von Moderna und nichts des Impfstoffs von Astrazeneca für Zweitimpfungen zurückgestellt. Neuerdings würde auf Rückstellungen verzichtet – mit einer kleinen Ausnahme.
Da die Lieferungen von Moderna mit großen Zeitabständen und in relativ kleinen Mengen mit Schwankungen kämen, seien die Impfzentren gebeten worden, von diesem Impfstoff eine Reserve von 25 Prozent jeder Lieferung als Sicherheit für ausstehende Zweitimpfungen zurückzuhalten, teilte das Ministerium mit.
Auch das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen hält sich an die Empfehlung der Stiko. Grundsätzlich würden keine Impfdosen grundlos zurückgehalten, heißt es seitens des Ministeriums.
Ende letzter Woche habe das Land NRW so gut wie keinen Impfstoff von Moderna und Astrazeneca mehr vorrätig gehabt. Und auch bei Biontech bauen wir gerade die Rücklagen für die Zweitimpfungen massiv ab, nachdem sich die Lieferzusagen und auch die tatsächlichen Lieferungen als recht stabil erwiesen haben
, so das NRW-Gesundheitsministerium.
Das Gesundheitsministerium in Thüringen teilte mit, dass die aktuellen Empfehlungen der Stiko umgesetzt würden. Thüringen hat derzeit die bundesweit höchste Sieben-Tage-Inzidenz mit rund 220 Fällen pro 100.000 Einwohner.
Die konkrete Frist zwischen Erst- und Zweitimpfung werde so gewählt, dass so schnell wie möglich so viel wie möglich Impfungen erfolgen können, heißt es aus dem Ministerium. Von den gelieferten Impfstoffen würde nur ein sehr kleiner Anteil in Thüringen für Zweitimpfungen zurückgestellt, um im Notfall auf Lieferausfälle oder -kürzungen reagieren zu können.
Zuvor hatte bereits Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek in der Augsburger Allgemeinen
gesagt, dass sein Bundesland die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission umsetze und mit dem größeren Impfabstand auch weitgehend auf Zurückstellung von Impfdosen für die Zweitimpfung verzichte. Während vom Astrazeneca-Impfstoff nichts mehr zurückgestellt werde, seien es beim Biontech-Impfstoff noch 10.000 Dosen pro Lieferung. Tgs, Christopher Stolz
Stadtrat in Plauen: CDU stimmt mit AfD und Neonazi-Partei gegen Demokratieprojekt
Der Runde Tisch in Plauen setzt sich seit Jahren für Toleranz ein. Die CDU hat dem Projekt nun im Bündnis mit Rechtsextremisten die Gelder entzogen – das hat auch mit einem zwei Jahre alten Peniswitz zu tun.
In Plauen hat ein rechts-rechtsextremes Bündnis dafür gesorgt, dass ein Demokratieprojekt künftig keine Fördergelder mehr erhält. 8000 Euro waren bisher für das Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage
reserviert, nun soll es in diesem und im kommenden Jahr keine Gelder aus dem Haushalt der Stadt erhalten. Das hat die CDU im Stadtrat mit Stimmen der AfD und der Neonazi-Kleinstpartei III. Weg
erwirkt. Das Geld soll nun für andere Demokratie bildende Projekte
ausgegeben werden.
Zur Auseinandersetzung kam es bereits am Dienstagabend bei der Haushaltssitzung des Plauener Stadtrats. Nachdem Kritik am Schulterschluss der CDU mit rechtsextremen Akteuren von AfD und III. Weg
laut wurde, rechtfertigte die Partei ihr Vorgehen am Donnerstagabend in einer auf Facebook veröffentlichten Stellungnahme: Es gebe keinen Monopolanspruch auf Demokratie, sie gehört allen demokratischen Kräften
, so die Plauener CDU über ihre Bündnispartner.
Dahinter steckt eine Lokalposse
Hinter der Streichung der Gelder steckt ein längerer lokaler Streit. Das Bündnis für Demokratie wurde 2012 als Runder Tisch gegen rechtsextreme Propaganda und Aufmärsche gegründet, die evangelische Kirche übernahm damals die Moderation. Neben vielen Vereinen und lokalen Initiativen saß die CDU mit am Tisch – wie auch die Satirepartei Die Partei
. Die sorgte aber vor zwei Jahren mit einem gegen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer gerichteten Wahlplakat für Verstimmung.
Der sächsische CDU-Chef wurde auf dem Plakat mit einem Riesenpenis abgebildet, Aus langer Tradition
stand daneben. Die Vorsitzende des Demokratiebündnisses, Ulrike Liebscher von den Grünen, teilte das Plakat auch noch auf ihrem privaten Facebook-Account. Die Plauener CDU sah einen Affront und ließ ihre Mitarbeit beim Bündnis ruhen, sie wirft Liebscher ehr- und religionsverletzendes Verhalten
vor. Anfang 2021 folgte auch der Rückzug der Kirche vom Bündnisvorsitz.
Die CDU nahm das in der aktuellen Haushaltsdebatte zum Anlass, dem Demokratiebündnis die künftigen Gelder zu entziehen und die Finanzen umzuwidmen. AfD und III. Weg
sprangen dankbar mit auf. Die drei Parteien kommen im Stadtrat auf 21 Abgeordnete der insgesamt 42 Mitglieder.
Sollen wir uns als konservative Partei verleugnen?
Abgelehnt wurde ein Gegenantrag von SPD, Grünen und der Initiative Plauen, die zusammen auf elf Stimmen kommen. Sie hatten gefordert, die 8000 Euro für einen neuen Träger zu reservieren, weil es einer kontinuierlichen Förderung
von zivilgesellschaftlicher Arbeit zum Schutz der Demokratie bedürfe.
Die CDU war am Freitag nicht für ein Statement erreichbar. Dass seine Partei eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten in Kauf genommen habe, weist Fraktionschef Jörg Schmidt allerdings via Facebook zurück: Sollen wir uns als konservative Partei verleugnen, nur weil es dem politischen Gegner von links gefällt?
Demnach lege seine Partei großen Wert auf Demokratiebildung. Die Gelder würden nun unter anderem verwendet, um Schulbesuche in KZ-Gedenkstätten und dem Grenzmuseum Mödlareuth zu ermöglichen. Uns zu unterstellen, wir hätten bewusst gemeinsame Sache mit rechtsaußen gemacht, ist eine Lüge.
Die CDU muss sich daher zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, gemeinsame Sache mit Demokratiefeinden zu machen
- (Henning Homann, SPD-Generalsekretär in Sachsen).
Die Gegenseite sieht das anders. Der Generalsekretär der SPD Sachsen, Henning Homann, bezeichnete das Manöver der CDU als ungeheuerlichen Vorgang
. Damit ohrfeigt sie die vielen Bürgerinnen und Bürger in Plauen und im gesamten Vogtlandkreis, die sich seit Jahren engagiert gegen das unsägliche Wirken von Neonazis und anderen Demokratiefeinden einsetzen.
Dass AfD und III. Weg
den Konservativen ihre Stimmen schenken würden, sei absehbar gewesen, so Homann. Die CDU muss sich daher zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, gemeinsame Sache mit Demokratiefeinden zu machen.
Die einen wurden rechter, die anderen linker
Auch beim Bündnis selbst ist man entsetzt. Dass man für die Fortführung der Finanzierung keine Mehrheit bekommt, sei erwartbar gewesen, sagt die Vorsitzende Ulrike Liebscher dem SPIEGEL. Aber die Art und Weise, wie einzelne Abgeordnete die jahrelange Arbeit des Demokratiebündnisses plötzlich schlechtgeredet hätten, sei sehr verletzend und despektierlich
gewesen. Die Wortmeldungen der CDU-Räte hätten im Wording den Einlassungen vom ›III. Weg‹ in nichts nachgestanden
.
Liebscher zufolge gab es in den vergangenen Jahren zwar die eine oder andere heiße Diskussion
über den richtigen Umgang mit Rechtsextremismus, aber am Ende habe immer ein Kompromiss gestanden. Streitigkeiten seien normal, wenn verschiedenste Akteure beisammensitzen, bei uns saßen die unterschiedlichsten Persönlichkeiten am Tisch
. Erst mit dem Erstarken der AfD und dem Aufkommen von Pegida sei es unversöhnlicher geworden. Die CDU in Plauen habe sich weiter nach rechts entwickelt, andere Akteure sicher auch weiter nach links, sagt Liebscher.
Ich hab' mich da danebenbenommen
Die Behauptung der CDU, die Kirche habe ihre Trägerschaft nach dem Streit um das Penis-Plakat aufgegeben, weist die Vorsitzende allerdings als falsch zurück. Vielmehr sei das Nichtengagement der CDU selbst der Grund gewesen. Ich hab' mich da danebenbenommen
, sagt Liebscher über das Posten des Plakats damals. Sie habe sich aber entschuldigt. Dass die CDU es zum Anlass nimmt, eine Debatte über angeblichen Linksextremismus zu beginnen, sei unverhältnismäßig. In Plauen gibt es keine Antifa, aber den ›III. Weg‹!
Die Kirche selbst hatte Anfang des Jahres laut der Freien Presse
aus Chemnitz ihren Rückzug mit Differenzen im Bündnis erklärt. Es fehle demnach bei einigen wiederholt ein erkennbarer Wille zur Gemeinsamkeit
. Schmerzhaft habe man erleben müssen, dass verschiedene Akteure ihre Mitarbeit aufkündigten und der Runde Tisch zunehmend in Misskredit gebracht wurde
.
Liebscher will nun trotzdem weitermachen. Die verbliebenen Akteure des Demokratiebündnisses würden sich um andere Fördergelder bemühen. Etwas Gutes, so Liebscher, habe die Haushaltsdebatte immerhin gebracht: Wir erfahren gerade sehr viel Solidarität und Anerkennung für unsere Arbeit
, auch die ersten Spenden seien bereits eingelaufen. Spiegel, Politik, von Marc Röhlig
Spahn:
Wir dürfen nicht warten, bis die Kliniken überlastet sind
Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler haben in einer Pressekonferenz über die aktuelle Pandemie-Lage berichtet.
Spahn begann mit den aktuellen Zahlen und nannte über 25.000 neue Fälle. Das sind viel zu viele.
Er verwies auch auf die niedrigeren Zahlen durch Ostern, wo weniger Leute
zum Arzt gegangen sein dürften. Wir sollten unser Handeln nicht von den aktuellen Zahlen leiten lassen.
Auch die hohen Intensivzahlen alarmieren ihn. Die Intensivmediziner schlagen zurecht Alarm. Wir dürfen nicht warten, bis die Kliniken überlastet sind.
Keine Frage der Betten, sondern des Personals
Es sei keine Frage der Betten ist, sondern eine des Personals
. Zudem müsse man auch außerhalb der Stationen schauen, wo ebenfalls viele Corona-Patienten liegen und dort isoliert werden müssten. Das sei eine extreme Belastung für die Pflegekräfte, Ärzte und weitere Kräfte. Man dürfe diese Menschen nicht verschleißen. Es dürfe keine Stimmung aufkommen, dass Deutschland nach der Pandemie erst recht Personalprobleme hat
.
Wir haben so viele Pflegekräfte wie nirgends auf der Welt, aber eine Intensivpflegeausbildung geht nicht einfach in sechs Monaten. Das kann man nicht einfach mal in zwölf Monaten erhöhen.
Man könne Maßnahmen um Notbehelfe treffen, aber das helfe nur bedingt.
Ich verstehe die Logik dahinter nicht. Wollen wir es wirklich austesten, was passiert, wenn zehntausende Menschen in Intensivbetten liegen und leiden. Jeder Zweite, der beatmet wird, verstirbt.
Spahn äußerte sich verwundert über die Aussagen einiger Politiker zur Einschätzung der Pandemie. Ich empfehle uns allen, den Parteienstreit - Wahljahr hin oder her - herunterzufahren und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Bekämpfung der Pandemie
, sagte Spahn.
Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Es braucht einen Lockdown, um die aktuelle Welle zu brechen.
Die sozialen Kontakte müssten eingeschränkt werden, notfalls auch mit nächtlichen Ausgangssperren. Als Säulen nennt er zudem eine Reduktion von privaten Kontakten, die Testung in Betrieben sowie die zweimalige Testung und Schulen und Kitas.
Die Hausärzte bat Spahn um Geduld. Man könne den Praxen gegenwärtig nicht sagen, wie viel Impfstoff sie in zwei Wochen geliefert bekommen, sagte Spahn. Die Patienten bat er, nicht von sich aus wegen Terminen bei den Ärzten nachzufragen. Es sei verabredet, dass die Praxen Kontakt aufnähmen.
Spahn bittet Hausärzte um Geduld
In den ersten zwei Wochen würden die Arztpraxen mit dem Impfstoff von Biontech beliefert, bekräftigte Spahn. Ab Mitte April gebe es etwa zur Hälfte Biontech und zur Hälfte Astrazeneca, später auch den Impfstoff von Johnson & Johnson. Biontech liefere bisher sehr verlässlich und auf den Wochentag genau. Das habe man bei den anderen Herstellern noch nicht erreicht, hier sei teils nur die Lieferwoche bekannt, nicht aber der Tag.
Die Impfzentren seien sehr effizient, aber die Planung sei etwas diffiziler. Bei Fällen wie Astrazeneca sei es nicht so leicht, die Maschinerie sofort zu stoppen und umzustellen. Das dauert schon ein paar Tage.
Den aktuellen Impfrekord wolle er als Basis nutzen, aber man müsse das beibehalten.
Er betont: Beim Bund liegen keine Dosen ungenutzt herum, schon gar nicht Millionen.
Es gebe keine Lagerhaltung des Bundes, sondern man liefere an Länder und Großhändler sofort aus. Tgs
Reisekonzern Tui braucht noch mehr Geld
Der Reisekonzern Tui will sich nach seiner Rettung durch den Staat in der Corona-Krise noch mehr Geld von Anlegern besorgen. Das Unternehmen wolle bei Investoren eine Wandelanleihe im Umfang von rund 350 Millionen Euro platzieren, teilte Tui in Hannover mit. Möglicherweise werde das Volumen auf 400 Millionen erhöht. An der Börse kamen die Nachrichten schlecht an: Der Kurs der Tui-Aktie sackte zwischenzeitlich um fast sieben Prozent ab.
Der Einbruch der Reisenachfrage in der Pandemie hatte Tui in Existenznot gebracht. Der Staat und private Kapitalgeber retteten den Konzern mit Finanzspritzen. Vor einer zusätzlichen Kapitalerhöhung um 500 Millionen Euro im Januar 2021 summierte sich die Unterstützung aus drei Rettungspaketen mit Darlehen, Garantien, Anleihen und Vermögenseinlagen bereits auf 4,8 Milliarden Euro. Zudem darf der Bund bis zu ein Viertel der Tui-Anteile übernehmen.
Nach Angaben von Tui wollen Vorstand und Aufsichtsrat mit der Wandelanleihe die Liquidität des Konzerns erhöhen, weil die Corona-Krise mit internationalen Reisebeschränkungen weiter anhält. Später wolle der Konzern das Geld zur Rückzahlung anderer Verbindlichkeiten einsetzen. dpa
Altmaier will Coronahilfen für Firmen bis Jahresende verlängern
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, die Überbrückungshilfe III für Firmen bis zum Jahresende zu verlängern. Es gebe dazu Gespräche in der Regierung, sagte Altmaier am Freitag in Berlin. Die Überbrückungshilfe III ist bisher bis Mitte des Jahres befristet.
Es werde auch bei einem zu Ende gehenden Lockdown einige Monate dauern, bis sich das wirtschaftliche Leben normalisiert habe, sagte Altmaier. Deshalb sollte die Überbrückungshilfe III verlängert werden. Er strebe an, dazu noch vor der Sommerpause Klarheit zu erzielen. Firmen, die in der Corona-Krise besonders belastet sind, bekommen Zuschüsse.
Altmaier sprach sich außerdem für härtere Maßnahmen aus, um die dritte Corona-Welle zu brechen. Die Lage sei ernster, als viele wahrhaben wollten. Er verwies etwa auf die zunehmend kritischer werdende Lage in der Intensivmedizin. Eine Schließung des produzierenden Gewerbes und von Industrieunternehmen sei aber nicht nötig. Altmaier verwies auf Fortschritte bei Testangeboten in Firmen. Ein monatelanger Dauerlockdown
müsse verhindert werden.
Altmaier warnte mit Blick auf den Streit unter den Ländern sowie mit dem Bund über den weiteren Kurs, dies gefährde die Akzeptanz der Corona-Politik in der Bevölkerung. Es drohe außerdem eine Beschädigung des föderalen Systems. dpa
Söder:
Bayern unterzeichnet Vorvertrag für Sputnik-V-Impfstoff
Mittwoch, 7. April, 13.38 Uhr: Bayern wird nach Angaben von Ministerpräsident Markus Söder noch am Mittwoch einen Vorvertrag mit einer Firma in Illertissen für den Bezug des russischen Impfstoffs Sputnik V abschließen. Sollte Sputnik zugelassen werden in Europa, dann wird der Freistaat Bayern über diese Firma zusätzliche Impfdosen - ich glaube, es sind 2,5 Millionen Impfdosen - wohl im Juli erhalten, um die Impf-Zusatzkapazitäten in Bayern zu erhöhen
, sagte der CSU-Politiker in München. Der russische Impfstoff hat noch keine Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA erhalten. Das Werk in Illertissen würde das Vakzin dann im Auftrag der Sputnik-V-Entwickler produzieren.
Söder betonte außerdem, dass das Impfen über Hausärzte funktioniere. Daher sei das Ziel, auch andere Mediziner stärker einzubinden, bis hin zu Zahnärzten
. Eine gute Erfahrung habe man auch mit der flexibleren Verimpfung in Hotspots gemacht. Das Abweichen vom strengen Impfplan solle möglichst auch auf andere Regionen mit hohem Infektionsgeschehen übertragen werden. Zudem soll in einem Modellprojekt bei zehn großen Arbeitgebern die Belegschaft von Betriebsärzten durchgeimpft werden. Wir wollen bewusst auch die Wirtschaftsbereiche integrieren
, sagte Söder. Er kritisierte, dass noch zu wenigen Mitarbeitern von ihren Arbeitgebern Tests zur Verfügung gestellt werden, daher werden wir schrittweise von einem Testappell zu einer Testpflicht übergehen
.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek erklärte in der Pressekonferenz, durch die Impfung habe sich die Situation um einiges verbessert, auch weil viele Ärzte und Pfleger inzwischen geimpft seien. Die Lage bleibe aber sehr anstrengend und herausfordernd
. Südddeutsche Zeitung
2,5 Millionen Dosen für Bayern
Söder bestellt Sputnik V auf eigene Faust
Wegen fehlender Impfdosen kommt die Impfkampagne nur schleppend voran. CSU-Chef Söder hat davon offenbar die Nase voll und schließt kurzerhand einen Vorvertrag mit einem Sputnik-V-Produzenten. Sobald das russische Vakzin in der EU zugelassen ist, können Millionen Bayern damit geimpft werden.
Bayern sichert sich noch vor einer möglichen EU-Zulassung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V Millionen Dosen des Mittels. Der Freistaat werde heute einen Vorvertrag mit einer Produktionsfirma im schwäbischen Illertissen unterzeichnen, kündigte Ministerpräsident Markus Söder nach der Sitzung des Kabinetts an. Nach der Zulassung soll der Freistaat 2,5 Millionen Impfdosen erhalten.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) prüft derzeit den Antrag auf Zulassung von Sputnik V in der EU. Im April werden Experten der EMA in Russland zur Begutachtung der Produktion und Lagerung des Impfstoffs erwartet. Russland gab das Mittel bereits Mitte August 2020 als weltweit ersten Corona-Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung frei. Mittlerweile haben in der medizinischen Fachpresse publizierte Daten dem Mittel hohe Wirksamkeit bescheinigt.
Der Impfstoff könnte im Laufe des Jahres in dem Werk in Illertissen produziert werden, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Eine entsprechende Absichtserklärung für die Produktion und den Import sei unterzeichnet. Es handelt sich um einen hochwirksamen Impfstoff
, betonte Holetschek.
Söder legt beschämende Trantütigkeit der Bundesregierung offen
Zustimmung kam vom stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki. Die Initiative bringe endlich mehr Schwung in die deutsche Impfstoff-Beschaffungspolitik, sagte Kubicki. Söder legt damit die beschämende Trantütigkeit des Impfstoff-Managements der Bundesregierung offen.
Er könne verstehen, dass der CSU-Mann sich auch nicht mehr den Takt von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihren mangelnden Beschaffungsqualitäten vorgeben lassen wolle. Kubicki ging davon aus, dass dieser Vorstoß den Anlass gibt, jetzt endlich im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz sämtliche Möglichkeiten auszuloten, um schnell ausreichend Impfstoffdosen zu beschaffen
.
Linksfraktions-Chef Dietmar Bartsch kritisierte die Pläne des Freistaats hingegen scharf und forderte die Bundesregierung zum Eingreifen auf. Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung beim Impfen, aber keine bayerische Kraftmeierei
, sagte Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Quelle: ntv.de, hny/dpa
Jens Spahn kündigt Rücknahme der Einschränkungen für Geimpfte an
Wer vollständig gegen Corona geimpft ist, soll dem Bundesgesundheitsminister zufolge bald Freiheiten zurückbekommen. Laut RKI können Geimpfte das Virus kaum weitergeben.
Wer gegen das Coronavirus geimpft ist, soll nach Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den nächsten Wochen bestimmte Freiheiten zurückbekommen. Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test ins Geschäft oder zum Friseur. Zudem müssen nach Einschätzung des RKI vollständig Geimpfte auch nicht mehr in Quarantäne
, sagte der CDU-Politiker der Bild am Sonntag. Grundlage ist dem Bericht zufolge eine Auswertung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das Robert Koch-Institut (RKI).
In einem RKI-Bericht an Spahns Ministerium, der dem Blatt vorliegt, heißt es demnach: Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen.
Der Bericht wurde laut BamS am Samstag an die Länder verschickt. Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte das RKI um die Analyse gebeten.
Mit Schnelltest oder Impfung zum Friseur
Spahn sagte dazu: Wer vollständig geimpft wurde, kann in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde.
Wenn die dritte Welle der Corona-Pandemie gebrochen sei und weitere auf Schnelltests beruhende Öffnungsschritte wie beim Einzelhandel gegangen würden, käme diese Grundsatzentscheidung zum Tragen. Wir werden diese Erkenntnisse nun zeitnah in Gesprächen mit den Ländern in die Praxis bringen
, sagte der Minister.
Über Sonderrechte für Geimpfte wird in Deutschland bislang viel und kontrovers diskutiert: Der Ethikrat hatte vor der RKI-Analyse im Februar davor gewarnt, Geimpften mehr Rechte einzuräumen – selbst wenn sich, wie jetzt geschehen, herausstellen sollte, dass sie kaum ansteckend seien. Dies könne als ungerecht empfunden werden und die Solidarität und die Bereitschaft zur Regelbefolgung mindern und damit die Maßnahmen zur Pandemieeindämmung unterlaufen, die dem Gesundheitsschutz aller dienen
.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministers sind bisher mehr als zwölf Prozent der Menschen in Deutschland mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft worden. Das seien mehr als zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger, schrieb Spahn am Samstag auf Twitter. 4,3 Millionen Menschen haben demnach bereits die zweite Impfung erhalten. Allein am Freitag wurden nach Angaben des Robert Koch-Instituts und des Gesundheitsministeriums rund 217.000 Dosen geimpft. Bisher wurden Spahn zufolge knapp 10,7 Millionen Dosen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs verabreicht, 0,7 Millionen Dosen von Moderna und 2,9 Millionen Dosen AstraZeneca.
Hausärzte starten Impfen nach Ostern
Der Hausärzteverband rät dazu, nach dem breiten Start der Corona-Impfungen in den Praxen die Priorisierung beim Impfen mit steigenden Liefermengen an Impfstoff in den Hintergrund treten zu lassen. In der Woche nach Ostern starten etwa 35.000 Hausärzte auf breiter Front mit den Impfungen gegen das Coronavirus. Die Priorisierung war und ist eine gute Leitlinie für die Ärztinnen und Ärzte, solange der Impfstoff noch in geringen Mengen verfügbar ist
, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt der Rheinischen Post.
Allerdings werden wir bald nicht mehr so sehr auf Zahlen, sondern zunehmend auf die Gesundheit der Menschen schauen müssen
, sagte Weigeldt. Ein Mann von 69 Jahren mit Hypertonus und Diabetes sollte vielleicht eher die Impfung erhalten als eine 72-jährige Triathletin.
Wenn die Impfstoffmenge ein bestimmtes Maß überschritten habe, müsse die Priorität sein, den zugelassenen Impfstoff schnellstmöglich allen, die können und wollen, zu impfen.
Zeit Online
Horst Seehofer will sich nicht mit Astrazeneca impfen lassen
Der Impfstoff von Astrazeneca hat in Deutschland keinen leichten Stand. Horst Seehofer will sich jedenfalls nicht damit impfen lassen. Andere Spitzenpolitiker haben damit kein Problem.
Berlin · Bundesinnenminister Horst Seehofer (71) will sich nicht mit dem jetzt vor allem für ältere Menschen vorgesehenen Vakzin von Astrazeneca impfen lassen. Das sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage.
Zuvor hatte die Bild
-Zeitung berichtet, Seehofer habe einen Appell von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an die älteren Kabinettskollegen, sich mit Vakzin impfen zu lassen, zurückgewiesen. Ich lasse mich nicht bevormunden
, sagte der CSU-Politiker demnach zu Bild
.
Bund und Länder waren am Dienstagabend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) gefolgt, das Präparat von Astrazeneca in der Regel nur noch für Menschen ab 60 Jahren einzusetzen. Jüngere können sich nach Rücksprache mit dem Arzt und auf eigenes Risiko weiterhin damit impfen lassen.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (72) hatte sich im März gegen das Coronavirus impfen lassen. Der Grünen-Politiker ließ sich den Impfstoff von Astrazeneca spritzen.
Seine erste Corona-Schutzimpfung hat jetzt auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhalten. Dem Staatsoberhaupt wurde am Donnerstag im Bundeswehr-Krankenhaus in Berlin der Impfstoff von Astrazeneca gespritzt, wie das Bundespräsidialamt mitteilte. © dpa-infocom, dpa:210401-99-53512/3
Stiko lehnt Vorschlag von Lauterbach ab, Abstand von Erst-und Zweitimpfungen zu verlängern
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte vor wenigen Tagen im Gespräch mit dem Tagesspiegel gefordert, den Abstand zwischen Erst-und Zweitimpfung nicht nur beim Impfstoff von Astrazeneca, sondern auch bei Biontech und Moderna auf zwölf Wochen zu strecken. So könnten bis Juli 60 Erstimpfungen stattfinden und unzählige Infizierte und Todesfälle vermieden werden, argumentierte Lauterbach. Der Ball liegt jetzt bei der Stiko
, sagte er.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat auf Anfrage des Tagesspiegels nun mitgeteilt, eine Verlängerung des Zeitraums nicht zu unterstützen. Unter Berücksichtigung der Zulassungen und der vorliegenden Wirksamkeitsdaten empfiehlt die STIKO für die mRNA-Impfstoffe einen Abstand zwischen den beiden Impfungen von 6 Wochen und für die COVID-19 Vaccine AstraZeneca einen Abstand von 12 Wochen.
Tgs.
Neue Corona-Variante in Afrika unter Beobachtung
In Angola hat man mit A.VOI.V2 eine neue Corona-Variante von Interesse entdeckt. Sie weist mehr Veränderungen als jede andere bekannte Mutation. Mit welchen Folgen, ist unklar.
Einblick in Afrikas Seuchengeschehen erlaubt eine Richtlinie von Angolas Regierung. Dank der strikten Regeln für Tests und Quarantäne von Flugreisenden mit Covid-19-Symptomen konnten Fachleute zahlreiche Infizierte finden, darunter Menschen mit den Sars-CoV-2-Varianten B.1.1.7 sowie B.1.351. Zusätzlich beherbergten Reisende aus Tansania eine bisher unbekannte Variante – A.VOI.V2 genannt. Sie trägt mehr Mutationen in ihrem Erbgut als jede zuvor entdeckte Viruslinie.
Mindestens 31 Mutationen lägen in ihrem Genom vor, berichtet ein Team um den Infektionsforscher Tulio de Oliveira in einer bislang ungeprüften Vorabveröffentlichung auf MedRxiv. Die neue Variante weise bis zu 40 Mutationen auf, gab wiederum John Nkengasong am 1. April 2021 auf einer Pressekonferenz laut dpa bekannt. Das ist sicherlich eine Variante, die Anlass zur Sorge gibt
, sagte der Leiter der panafrikanischen Gesundheitsbehörde Africa CDC weiter.
Ob 31 oder 40: Keine der bisherigen Varianten weist mehr Veränderungen auf. Inwiefern A.VOI.V2 deshalb ansteckender ist als die anderen Formen, ob es zu besonders schweren Verläufen führt und wie Impfstoffe davor schützen, ist zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen, da noch nicht ausreichend untersucht. Unklar ist zudem, ob A.VOI.V2 aus Tansania stammt oder die Reisenden es auf dem Weg nach Angola an anderen Grenzen aufgenommen haben.
Eine pretty mind blowing
Entdeckung
Die Variante ist jedenfalls ein Beleg dafür, wie anpassungsfähig der Erreger ist. Wenn ihr denkt, Sars-CoV-2 wäre ein sich langsam entwickelndes Virus, überlegt noch mal
, schreibt daher der Infektionsforscher Kristian Andersen auf Twitter. Die Entdeckung der Kollegen sei pretty mind blowing
.
Zu den Spike-Mutationen gehören laut der Vorab-Veröffentlichung drei Substitutionen in der Rezeptor-Bindungsdomäne (R346K, T478R und E484K); fünf Substitutionen und drei Deletionen in der N-terminalen Domäne, von denen einige innerhalb des antigenen Supersites liegen (Y144?, R246M, SYL247-249? und W258L)4; und zwei Substitutionen neben der S1/S2-Spaltstelle (H655Y und P681H). Mehrere dieser Mutationen sind auch in anderen möglicherweise gefährlichen Viruslinien vorhanden und verbreiten sich unter positiver Selektion weiter.
Laut Nkengasong von Africa CDC gibt es nun ein Überwachungssystem in Tansanias Nachbarländern, während die Mutante in Südafrika untersucht werde. Auf dem Kontinent wurde in 18 Ländern laut CDC mittlerweile die hochansteckende, zuerst in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7 nachgewiesen, in 18 weiteren die südafrikanische Variante B.1.3.5.1. Seit Beginn der Pandemie gab es insgesamt mehr als 40 Millionen Tests in Afrika. Allerdings ist davon auszugehen, dass zahlreiche Fälle nicht erkannt oder gemeldet werden. Spectrum.de
Umfrage:
Große Mehrheit zweifelt an Merkels Impfversprechen
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat vollständig gegen Corona geimpften Menschen Hoffnung auf mehr Freiheiten gemacht - viele glauben aber nicht an eine Impfung bis zum Ende des Sommers. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur erwartet nur knapp ein Viertel (23 Prozent), dass das Ziel eingehalten wird, bis zum 21. September jedem Impfwilligen eine Corona-Impfung anzubieten. 62 Prozent rechnen dagegen nicht damit. 15 Prozent machten keine Angaben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat mehrfach angekündigt, bis zum 21. September allen impfwilligen Erwachsenen in Deutschland ein entsprechendes Angebot machen zu wollen. Das Vertrauen in dieses Versprechen ist gesunken: In einer vergleichbaren YouGov-Umfrage Anfang Februar hatten noch 26 Prozent daran geglaubt, dass das Ziel erreicht wird. 57 Prozent hatten schon damals kein Vertrauen in das Versprechen. Die Corona-Impfungen sind in Deutschland im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien oder den USA schleppend angelaufen. Nach Ostern sollen sie auch in bundesweit 35 000 Hausarztpraxen starten und dort allmählich hochgefahren werden. Später sollen auch Fachärzte, Privatärzte und Betriebsärzte mitimpfen.
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums vom Samstag sind gut zwölf Prozent der Deutschen mindestens einmal geimpft worden - mehr als zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger. 4,3 Millionen Menschen haben demnach bereits die zweite Impfung erhalten. Minister Spahn hatte am Sonntag gesagt: Wer vollständig geimpft wurde, kann beim Reisen oder beim Einkaufen wie jemand behandelt werden, der ein negatives Testergebnis hat.
Spahn bezog sich auf eine Auswertung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das Robert Koch-Institut (RKI), die auch an die Bundesländer geschickt wurde. dpa
China meldet binnen 24 Stunden den größten Anstieg an neuen Corona-Infektionen seit mehr als zwei Monaten
32 weitere bestätigte Fälle seien aufgetreten, davon 15 in der Provinz Yunnan, die auf ein Cluster in der Stadt Ruili an der Grenze zu Myanmar zurückzuführen seien, erklärt die nationale Gesundheitskommission. Die Zahl der neuen asymptomatischen Fälle, die China nicht als bestätigte Fälle einstuft, wird mit 18 angegeben. Die Gesamtzahl der bestätigten Fälle auf dem chinesischen Festland steigt demnach offiziellen Angaben zufolge auf 90.305, während die Zahl der Todesfälle unverändert bei 4636 liegt. Reuters
Knapp 8500 Neuinfektionen, Inzidenz bei 127
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 8497 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 50 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen des RKI von Montagmorgen hervor. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 9872 Neuinfektionen und 43 neue Todesfälle verzeichnet.
Das RKI weist darauf hin, dass rund um die Osterfeiertage vielerorts meist weniger Tests gemacht und gemeldet werden. Zudem könne es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter und zuständigen Landesbehörden an allen Tagen an das RKI übermitteln. Die berichteten Fallzahlen dürften dadurch niedriger ausfallen und nur eine eingeschränkte Aussagekraft haben.
Die Daten geben den Stand des RKI-Dashboards von 05.10 Uhr wieder, nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner lag laut RKI am Montagmorgen bundesweit bei 128,0. Am Vortag gab das RKI diese Sieben-Tage-Inzidenz mit 127,0 an, vor drei Wochen mit 82,9.
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht von Sonntagnachmittag bei 0,97 (Vortag: 1,02). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 97 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Slowenien stoppt Impfungen mit Astrazeneca für unter 60-Jährige
Auch Slowenien will keine Menschen unter 60 Jahren mehr mit dem Vakzin von Astrazeneca gegen Corona impfen. Man wolle abwarten, ob die Untersuchungen einen kausalen Zusammenhang zwischen diesem Impfstoff und den Hirnthrombosen ergeben, die weltweit in einigen Fällen nach dessen Verabreichung aufgetreten waren, sagte die Chefin der Beratungskommission des Gesundheitsamts, Bojana Beovic, dem Sender POP TV.
Ab kommender Woche ist in Slowenien die Altersgruppe der über 60-Jährigen für die Impfungen vorgesehen. Bisher waren die über 64-Jährigen sowie Risikopatienten und Personal gefährdeter Berufsgruppen aller Altersgruppen an der Reihe gewesen. 13,4 Prozent der Slowenen haben bereits die erste Impfdosis erhalten, 6,5 Prozent auch die zweite. Die Inzidenz der Neuinfektionen mit dem Virus Sars-CoV-2 stieg zuletzt leicht auf 590,97 pro 100.000 Einwohner in den vergangenen 14 Tagen. dpa
Angst vor dem Super-Virus
Zufällige Veränderungen im Erbgut der Coronaviren könnten sie immun machen gegen Impfstoffe. Davor warnt nun auch Kanzleramtschef Helge Braun. Droht eine neue Pandemie?
Seit dem Start der weltweiten Impfkampagnen gegen das Coronavirus warnen Fachleute, wie gefährlich es sei, bei hohen Infektionszahlen mit Massenimpfungen zu beginnen. Dadurch wachse die Gefahr, dass sich Virusmutanten bilden, denen die Impfstoffe nichts anhaben können. Mit Verweis auf die zunehmende Mutationsgefahr sprach sich am Wochenende auch Kanzleramtschef Helge Braun für ein härteres Vorgehen gegen das Coronavirus aus. Würde eine Virus-Variante entstehen, die resistent gegen Impfstoffe ist, stünden wir wieder mit leeren Händen da
, sagte Braun der Bild am Sonntag. Dann bräuchte es neue Impfstoffe.
Grundsätzlich können solche Mutanten entstehen, das geschieht fortwährend. Die bisher bekannten Virus-Varianten neutralisieren nach derzeitigem Forschungsstand den Immunschutz durch die bestehenden Impfungen jedoch nicht vollkommen, sondern schwächen die Wirkung lediglich. Vor Tod und schweren Krankheitsverläufen sind geimpfte Menschen derzeit noch immer gut geschützt. Das kann sich ändern, wenn das Virus durch neue Mutationen neue Eigenschaften gewinnt.
Wer das Risiko für resistente Mutanten reduzieren möchte, senkt Fallzahlen und impft schnell
Mutationen entstehen zufällig. Manche machen den Erreger infektiöser, etwa die Variante namens B.1.1.7, die zuerst in England nachgewiesen wurde. Sie führt zudem zu schwereren Verläufen als das ursprüngliche Virus, der sogenannte Wildtyp. Es kann auch zu Mutationen kommen, die den Immunschutz durch Impfstoffe aushebeln. Wenn sich eine Virusvariante mit einer solchen Mutation gerade in einem Menschen vermehrt, der einen Impfstoff verabreicht bekommt, wird sie von der Impfung nicht beeinträchtigt und kann sich verbreiten - wenn denn Menschen in der Nähe sind, die sich nicht durch Masken, Abstand und andere Hygienemaßnahmen hinreichend schützen. Wer das Risiko für impfresistente Mutanten reduzieren möchte, bringt deshalb erst die Zahl der täglichen Neuinfektionen runter und impft dann die Bevölkerung in hohem Tempo - beides ist in Deutschland bislang nicht passiert.
Manche Mutationen sind für die Viren fatal, dann vermehren sie sich nicht mehr. Andere haben kaum einen Effekt. Und dann gibt es jene, die den Erregern Vorteile verschaffen im Spiel der Evolution. Helfen die Mutationen dem Virus, die durch eine frühere Sars-CoV-2-Infektion oder Impfung hervorgerufene Immunabwehr zu umgehen, zum Beispiel, weil die Abwehrzellen den Erreger wegen Veränderungen auf seiner Oberfläche nicht mehr erkennen, sprechen Fachleute von Escape Mutationen.
Eine solche Escape-Mutation trägt den Namen E484K. Sie wurde gegen Weihnachten sowohl in Südafrika als auch in Brasilien in den Virusvarianten B.1.351 und P.1 zuerst entdeckt. In beiden Ländern infizieren sich viele Menschen mit den Mutanten, die bereits zuvor eine Corona-Erkrankung durchgestanden hatten - ein Indiz dafür, dass die Mutanten der Immunabwehr entkommen. Aus Tirol wurden zuletzt mehr als 1oo Infektionen mit der infektiöseren B.1.1.7-Variante gemeldet, die zusätzlich die E484K-Mutation trägt. Labortests haben bereits gezeigt, dass Antikörper von geimpften Menschen gegen diese Mutanten nicht so wirksam sind wie gegen das Wildtyp-Virus.
Sollten tatsächlich Virusvarianten entstehen, die durch Mutationen resistent sind gegen die bislang zugelassenen Impfstoffe, so lassen sich diese zumindest schnell anpassen. Das Unternehmen Moderna testet bereits ein Vakzin, das gegen die Mutante B.1.351 wirken soll. Wenn alles klappt, kann ein bestehender Immunschutz durch vorhergehende Impfungen durch ein solches Vakzin-Update aufgefrischt werden. © SZ
Kontaktnachverfolgung:
Warum die Cluster-Erkennung der Corona-App wenig bringt
Die Event-Registrierung der Corona-App wird sehr datenschutzfreundlich. Doch sie kann Listen oder die Luca-App nicht ersetzen. Eine Analyse von Friedhelm Greis.
Die Corona-Warn-App der Bundesregierung wird demnächst um eine lang erwartete Funktion erweitert: Künftig sollen über die App vor einer möglichen Ansteckung mit dem Coronavirus auch Menschen gewarnt werden, die sich nicht über längere Zeit in unmittelbarer Nähe eines Infizierten aufgehalten, sondern an einer gemeinsamen Veranstaltung mit diesem teilgenommen haben. Doch das von den Entwicklern gewählte Konzept lässt befürchten, dass die Umsetzung zu unzuverlässig ist und weiterhin andere Mittel zur Clustererkennung erforderlich sind.
Bislang basiert die Kontaktnachverfolgung bei Veranstaltungen oder Restaurantbesuchen vor allem auf handschriftlichen Listen oder Zetteln. Besucher müssen dort ihre Daten hinterlassen, um bei nachträglich festgestellter Corona-Infektion eines anderen Besuchers von den Gesundheitsämtern kontaktiert werden zu können. Dies ist nicht nur aufwendig und umständlich. Datenschützer stören sich an der Zettelwirtschaft, weil andere Gäste die Daten einsehen können oder die Polizei die Listen für andere Zwecke auswertet. Zudem können die Besucher Fantasienamen oder falsche Telefonnummern eintragen, so dass sie nicht gewarnt werden können.
Corona-Warn-App sehr datenschutzfreundlich
Diese Probleme sollen digitale Anwendungen lösen, von denen seit Beginn der Coronapandemie Dutzende entwickelt wurden. Zuletzt haben sich aber mehrere Bundesländer entschieden, die sogenannte Luca-App zur digitalen Kontaktnachverfolgung einzusetzen. Allerdings warnen Datenschützer in diesem Fall vor den Gefahren einer zentralen Datenspeicherung trotz doppelter Verschlüsselung. Zudem verhielten sich die Betreiber der App, die Culture4life GmbH, bei der Veröffentlichung des Quellcodes alles andere als professionell.
Eine datenschutzfreundliche Alternative könnte daher die Corona-Warn-App der Bundesregierung darstellen. Denn in diesem Fall werden nirgendwo personenbezogene Daten hinterlegt oder zentral gespeichert. Der Quellcode der App und der Backend-Server ist zudem völlig offen. Doch eine zuverlässige Kontaktnachverfolgung dürfte häufig an einem unüberwindbaren Hindernis scheitern: dem infizierten Nutzer.
Warnung nur durch Infizierte möglich
Auf Anfrage von Golem.de erläuterten die App-Entwickler von SAP und Deutscher Telekom, dass die Kontaktnachverfolgung ein Verfahren nutzt, das sehr nah am sogeannten Crowdnotifier-Konzept angelehnt ist. Es funktioniert zusammengefasst so, dass jede Person anonym, ohne Angabe von Kontaktdaten, einen QR-Code scannen kann. Auf dem entsprechenden Gerät werden dann die ID der Lokalität und der Zeitraum gespeichert. Bei einem positiven Test werden diese anonymen IDs und Zeiträume anonym geteilt, so dass andere gewarnt werden
, erläuterte ein SAP-Sprecher.
Das bedeutet: Weder der Veranstalter, der über die App den QR-Code generiert, noch die Gesundheitsämter sind in die Datenweitergabe involviert. Die Warnungen im Kontext der Eventregistrierung sind vollautomatisch und benötigen keine Freigabe Dritter
, heißt es weiter. Das geht auch aus der entsprechenden Beschreibung der Event-Registrierung hervor.
Das ist in der Tat sehr datenschutzfreundlich, hat aber große Nachteile.
Warnung erfolgt sehr unzuverlässig
Angenommen, an einer Veranstaltung nehmen 100 Personen teil, von denen 99 über die Corona-Warn-App den QR-Code einscannen. Wenn sich herausstellt, dass diese eine Person infiziert war, die nicht die Corona-App genutzt hat, können die 99 App-Nutzer überhaupt nicht gewarnt werden.
Aber selbst in dem Fall, dass ein Infizierter sich mit der Corona-App registriert hat, ist die Warnung der anderen App-Nutzer ungewiss. Denn die bisherigen Nutzungsdaten der App zeigen, dass nur sechs von zehn Infizierten tatsächlich ihre Schlüssel hochladen. Diese Quote ist viel zu niedrig, um eine zuverlässige Warnung zu ermöglichen.
Damit unterscheidet sich die Corona-Warn-App in diesem Punkt stark von Crowdnotifier. Denn dieses Konzept (PDF) sieht vor, dass Veranstalter und Gesundheitsbehörden gemeinsam dafür verantwortlich sind, die Schlüssel hochzuladen, wenn bei einem Teilnehmer eine Infektion festgestellt wurde. Damit können alle App-Nutzer unabhängig davon gewarnt werden, ob ein Infizierter überhaupt die App verwendet oder seine Daten hochlädt.
Die konkrete Umsetzung der App bedeutet im Grunde, dass sie keine Alternative zu Listen oder anderen Programmen wie der Luca-App ist. Da hilft es auch wenig, dass die Corona-App und die Luca-App untereinander kompatibel sind. Laut SAP werden die erforderlichen Informationen der Corona-App in den QR-Code der Luca-App integriert und in einem definierten Schema abgespeichert.
Gesetzliche Regelungen gefordert
Da die Warnung über die Corona-App so unsicher ist, bleibt Veranstaltern und Teilnehmern aber nichts anders übrig, als zusätzliche Systeme zu verwenden. Dies ist ohnehin nach den Corona-Verordnungen der Bundesländer noch erforderlich. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen erlauben derzeit eine digitale Datenerfassung nur als zusätzliche
Möglichkeit, in Mecklenburg-Vorpommern heißt es: Die verpflichtende Dokumentation zur Kontaktnachverfolgung soll in elektronischer Form landeseinheitlich mittels der Luca-App erfolgen.
Da die Bundesregierung bei der Corona-App bislang auf das Prinzip Freiwilligkeit setzt, dürfte eine verpflichtende Nutzung bei Veranstaltungen auf scharfe Kritik stoßen. Datenschützer fordern daher gesetzliche Regelungen für den Einsatz von Apps zur Kontaktnachverfolgung.
Völlig nutzlos muss die Cluster-Erkennung bei der Corona-App jedoch nicht sein. Nutzer können zumindest darauf hoffen, dass ein Infizierter ebenfalls die App genutzt hat und dann auch tatsächlich seine Daten hochlädt. Dann könnten sie möglicherweise schneller gewarnt werden, als dies über den telefonischen Kontakt über die Gesundheitsämter erfolgt. Darauf verlassen sollte man sich aber besser nicht. Golem.de, eine Analyse von Friedhelm Greis
Singapur und Australien:
Corona-App-Daten landen bei Polizei und Geheimdiensten
Während in Deutschland mehr Funktionen bei der Corona-App gefordert werden, zeigen Singapur und Australien die Gefahren von zu wenig Datenschutz. Die Polizei in Singapur soll künftig bei Ermittlungen auf die Daten der Corona-App Tracetogether zurückgreifen können. Das sagte der Innenminister des südostasiatischen Stadtstaates, Desmond Tan, nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters am Montag im Parlament. Den Datenschutzbestimmungen zufolge sollen die Daten jedoch nur dem Gesundheitsministerium bereitgestellt werden, um die Kontaktnachverfolgung bei Corona-Infektionen zu ermöglichen.
Angesprochen auf die Datenschutzerklärung durch einen oppositionellen Abgeordneten sagte Tan: Wir schließen die Verwendung von Tracetogether-Daten nicht aus, wenn die Sicherheit der Bürger betroffen ist oder war, und dies gilt auch für alle anderen Daten.
In einer früheren Version der FAQ hieß es, dass auf die Daten außer im Falle einer Corona-Infektion niemals
zugegriffen werde. Nun heißt es stattdessen: Nur autorisierte Beamte dürfen auf die Daten zugreifen.
Die App Tracetogether galt im Frühjahr 2020 auch als Vorbild für die Entwicklung der deutschen Corona-App. Sie basiert anders als die deutsche Version nicht auf der Bluetooth-Schnittstelle von Google und Apple, sammelt aber keine Standortdaten. Seit Ende Juni 2020 gibt es zudem einen zusätzlichen Token, der ohne Smartphone funktioniert.
Anders als in Deutschland speichern die Behörden auch die Mobilfunknummer sowie weitere Identifizierungsdaten. Zudem werden die temporären IDs, die zwischen den Geräten ausgetauscht werden, zentral von Nutzerschlüsseln abgeleitet, die das Gesundheitsministerium kontrolliert. Um dies zu verhindern, hatten sich Google und Apple für die dezentrale Bluetooth-Schnittstelle entschieden.
Laut Reuters wird die App in Singapur von fast 80 Prozent der 5,7 Millionen Einwohner verwendet. Das liege auch daran, dass die App als verpflichtend für den Besuch von Einkaufszentren erklärt worden sei.
Corona-App-Daten als Beifang in Australien
In Australien sollen sogar die Geheimdienste Daten der Corona-App abgegriffen haben. Allerdings nur zufällig
, wie das Portal IT-News unter Berufung auf eine Untersuchung des australischen Geheimdienstinspekteurs (IGIS) berichtete. Demnach wurden die Daten als eine Art Beifang bei der Überwachung von Verdächtigen mitgeschnitten.
In dem vierseitigen Bericht (PDF) heißt es: Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass eine Behörde innerhalb der IGIS-Gerichtsbarkeit Covid-App-Daten entschlüsselt, darauf zugegriffen oder verwendet hat. In den kommenden Monaten sind Inspektionsaktivitäten geplant, um das Löschen von Daten zu überprüfen und um sicherzustellen, dass keine Covid-App-Daten abgerufen, verwendet oder offengelegt wurden.
Dem Bericht zufolge steht das unbeabsichtigte Mitschneiden der Corona-App-Daten im Einklang mit den australischen Datenschutzbestimmungen. Welcher der sechs australischen Dienste die Daten abgegriffen hat, geht aus dem Bericht nicht hervor. Ein künftiger Schwerpunkt der Geheimdienstinspekteure soll darin bestehen, zu überprüfen, ob Covid-App-Daten so schnell wie möglich gelöscht wurden, nachdem ein Nachrichtendienst Kenntnis davon erlangt hat
.
In Deutschland gibt es seit Wochen Diskussionen, ob bei der Kontaktnachverfolgung durch die Corona-App der Datenschutz abgeschwächt werden könnte. Allerdings geben schon jetzt 19 Prozent der Nichtnutzer an, aus Sorge um den Datenschutz und die Privatsphäre oder wegen eines Überwachungsgefühls die Corona-App nicht zu installieren. Während die deutschen Corona-App-Daten für die Behörden nutzlos sind, hat die Polizei hingegen in vielen Bundesländern auf die Kontaktlisten von Restaurants und anderen Betrieben zugriffen, um Verdächtige zu ermitteln. Golem.de
Mehr als 18.000 Neuinfektionen, Inzidenz bei 131,4
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 18.129 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 120 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen des RKI vom Samstag hervor. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 20.472 Neuinfektionen und 157 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI am Samstagmorgen bundesweit bei 131,4 - und damit etwas niedriger als am Vortag (134,0).
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht von Freitagnachmittag bei 1,03 (Vortag: 0,99). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 103 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Tadel aus Frankreich: Berlin und Paris stehen in Krise nicht zusammen
In Frankreich reißt die Kritik an Deutschlands Grenzpolitik in der Covid-19-Pandemie nicht ab. Ein Jahr nach Beginn dieser Krise verstehen sich Paris und Berlin immer noch nicht und sprechen immer noch nicht dieselbe Sprache
, schreibt der Co-Vorsitzende der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, Christophe Arend, in einem offenen Brief in der Zeitung Le Monde
am Freitag. Die Menschen, die dort lebten, seien Opfer von Grabenkämpfen. Frankreich und Deutschland laufen Gefahr, die Europäische Union zu
, so Arend.töten
, da sie nicht in der Lage sind, mit gutem Beispiel voranzugehen
Deutschland hatte zuletzt ganz Frankreich als Hochinzidenzgebiet eingestuft und somit die Einreiseregeln verschärft. Zuvor hatte Berlin bereits das an Deutschland grenzende Département Moselle als Virusvariantengebiet eingestuft. Für Grenzpendler hat diese Einstufung schwerwiegende Folgen, es gilt eine verschärfte Testpflicht bei der Einreise. Die Bundespolizei kontrolliert diese nach früheren Angaben stichprobenartig im Grenzgebiet. In Frankreich war der Ärger über diese Entscheidung riesig.
Arend ist Abgeordneter aus Moselle für die Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, La République en Marche, in Paris. Er moniert, dass in Deutschland weniger Corona-Tests als in Frankreich gemacht würden und auch die Teststrategie der beiden Partner nicht einheitlich sei. In Frankreich sind etwa PCR-Tests anders als in Deutschland auch für Menschen ohne Covid-19-Symptome in der Regel kostenlos und problemlos machbar. In Frankreich sind zuletzt mehr als drei Millionen Corona-Tests pro Woche gezählt worden, die für Berechnung der Fallzahlen genutzt werden. In Deutschland ist die Zahl deutlich niedriger.
Arend schreibt, dass Deutschlands Nachbarländer vor den Ankündigungen des Robert Koch-Instituts zittern würden. Der Umgang mit ihnen könne als Zeichen mangelnden Vertrauens
gewertet werden. Eigentlich sollte, so Arend, Europa in der Krise auf eine gemeinschaftliche Gesundheitspolitik setzen. Stattdessen würden Deutschland und Frankreich in unterschiedliche Richtungen schauen. [Quelle:dpa
Katholiken verteidigen Präsenzgottesdienste zu Ostern
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, verteidigt die Präsenzgottesdienste zu Ostern trotz Corona-Pandemie. Es fliegen gerade Hunderte Flugzeuge nach Mallorca, in denen Leute dicht nebeneinandersitzen
, sagte Sternberg der Neuen Osnabrücker Zeitung
. Gleichzeitig sind die katholischen und evangelischen Gottesdienste keine Hotspots. Da verstehe ich nicht, warum sie mit strengen Regeln und großen Abständen nicht möglich sein sollen.
Sternberg klagte zudem darüber, dass die christlichen Kirchen zu ethischen Fragen mit Blick auf die Pandemie nicht gehört würden. In all den
Die Kirchen hätten sich zwar auf vielen Ebenen geäußert, kämen in den Medien aber nicht vor. Tagesschau
- und Heute
-Sondersendungen fragt man zwar Virologen, Physiker, Soziologen - aber nicht die Kirchen. Traut man uns da keine wichtige Position zu?Ich habe die große Befürchtung, dass wir mittlerweile als Sondergruppen ohne Bedeutung für die Allgemeinheit wahrgenommen werden.
dpa
Tourismusverbot: Mecklenburg-Vorpommern weist Dutzende Autofahrer aus
Bei verstärkten Verkehrskontrollen über Ostern sind in Mecklenburg-Vorpommern die Insassen von 82 Fahrzeugen wegen Verstößen gegen die Corona-Regeln des Landes verwiesen worden. Bei den Überprüfungen am Freitag in Neubrandenburg (Kreis Mecklenburgische Seenplatte) ging es unter anderem um verbotene touristische Einreisen, wie die Polizei mitteilte. Demnach wurden 152 Menschen aufgefordert, das Bundesland wieder zu verlassen, weil sie keinen triftigen Grund für ihren Aufenthalt darlegen konnten. Insgesamt wurden 800 Fahrzeuge von der Polizei überprüft. Die verstärkten Kontrollen finden über die Osterfeiertage statt. dpa
Bundesländer nutzen Luca-App für Kontaktverfolgung
Niedersachsen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Thüringen setzen die Luca-App zur Kontaktverfolgung von Infektionsketten ein.
Zur Nachverfolgung von Corona-Infektionsketten hat das Land Niedersachsen einen einjährigen Vertrag zur Nutzung der Luca-App abgeschlossen. Die Kosten beliefen sich auf drei Millionen Euro, teilte das Innenministerium in Hannover am Freitag mit. Die App solle bei den Modellversuchen einzelner Kommunen helfen, die nach Ostern Öffnungen in Handel, Gastronomie oder Kultur erproben wollen. Bis in einem Monat sollten alle 43 niedersächsischen Gesundheitsämter an das System der Luca-App angeschlossen werden.
Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Thüringen nutzen die Luca-App bereits. Zur Corona-Kontaktverfolgung bei Besuchern der Bundesgartenschau in Erfurt soll nach Angaben von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) neben der Corona-Warn-App auch die Luca-App zum Einsatz kommen. Dies sei Teil eines umfangreichen Schutzkonzepts für die Großveranstaltung, sagte Ramelow am Samstag in Erfurt. Die elektronische Kontaktverfolgung mit der Luca-App werde bereits bei einem an diesem Montag in Weimar beginnenden Modellprojekt zur Öffnung von Geschäften und Museen unter Pandemiebedingungen geprobt. Dies sei auch ein Test für die Bundesgartenschau, die am 23. April in Erfurt eröffnet werden soll.
Hessen führt Kontaktnachverfolgung via Luca-App ein
Auch Hessen will künftig flächendeckend die Luca-App zur digitalen Kontaktnachverfolgung nutzen. Mit der Einführung der App solle die Impf- und Teststrategie bei der Bekämpfung der Pandemie sinnvoll ergänzt werden, teilte das Digitalministerium am Freitag in Wiesbaden mit. Ziel der App sei es, Papierlisten größtenteils zu ersetzen und Kontakte zu dokumentieren. Sie könnten im Fall einer nachgewiesenen Corona-Infektion dem zuständigen Gesundheitsamt verschlüsselt übermittelt und direkt ausgelesen werden.
Im Rahmen eines vom IT-Dienstleister Dataport
durchgeführten Vergabeverfahrens habe Hessen am Freitag seinen Beitritt in den Vertrag mit dem Anbieter "culture4life" erklärt, hieß es in der Mitteilung. Die entsprechenden Verträge sollen bis Ende März abgeschlossen sein, so dass die App in den nächsten Wochen allen Gesundheitsämtern sowie dem Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG) zur Verfügung gestellt werden könne, erklärte das Ministerium.
Die Luca-App unterstützt unsere Bemühungen um künftige Öffnungsschritte, beispielsweise im Handel sowie im gastronomischen und kulturellen Bereich und vereinfacht die Kommunikation zwischen Gesundheitsämtern und den Betreibern sowie Veranstaltern
, erklärte Digitalstaatssekretär Patrick Burghardt. Bereits ab kommender Woche solle die Software bei den ersten sechs Gesundheitsämtern installiert werden. Für die Nutzung der App durch die Gesundheitsämter habe die Landesregierung mehr als zwei Millionen Euro bereitgestellt.
Funktionsweise der Luca-App
Bei der Luca-App registrieren sich die Nutzer beispielsweise bei einem Restaurantbesuch oder bei Veranstaltungen, indem sie einen QR-Code mit dem Smartphone einscannen. Beim Verlassen checken die Personen wieder aus. Sollte zur gleichen Zeit eine corona-infizierte Person in der Nähe gewesen sein, würden diese Informationen nach entsprechender Freigabe datenschutzkonform an das zuständige Gesundheitsamt verschlüsselt übermittelt, hieß es.
Die Software läuft den Angaben nach auf allen gängigen Smartphones. Dem Handel, der Gastronomie und dem kulturellen Bereich stehe die Nutzung aktuell kostenlos zur Verfügung. Anders als die Corona-Warn-App des Bundes erfasst die Luca-App nicht nur, ob jemand Kontakt zu einer positiv auf Corona getesteten Personen hatte, sondern auch wo der Kontakt stattgefunden hat. Unter Einbindung der Gesundheitsämter könnten Infektionsketten datenschutzkonform zurückverfolgt werden. Andere Länder verhandeln über die Nutzung. Die Corona-Warn-App bekommt nach Ostern eine Check-In-Funktion zur Clustererkennung, damit sollen Gruppen anonym gewarnt werden, die an einem Event teilgenommen haben. Heise Online
Bundestagswahl 2021: Maaßen will für CDU in Südthüringen kandidieren
Nach dem Austritt des ehemaligen Südthüringer Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann hat der CDU-Kreisverband Schmalkalden-Meiningen offenbar den früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, als Kandidat für die Bundestagswahl im September aufgestellt. In seiner Zeit als Verfassungsschutzpräsident war Maaßen massiv in die Kritik geraten.
Der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, will bei der Bundestagswahl für den Wahlkreis 196 Suhl-Schmalkalden-Meiningen-Hildburghausen-Sonneberg kandidieren. Ich bin von der CDU in Hildburghausen, Sonneberg und Schmalkalden-Meiningen darum gebeten worden
, sagte Maaßen MDR THÜRINGEN. Die Bild-Zeitung hatte zuvor berichtet, dass der CDU-Kreisverband Schmalkalden-Meiningen Maaßen als Bundestagskandidaten nominieren wolle und dies am Mittwochabend beschlossen habe.
Maaßen gilt als umstritten
Hans-Georg-Maaßen war in seiner Zeit als Verfassungsschutzpräsident massiv in die Kritik geraten, weil er bezweifelt hatte, dass es nach der Tötung eines Deutschen in Chemnitz zu Hetzjagden
auf Ausländer kam. Im November 2018 hatte ihn Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Ermittlungen gegen ehemaligen CDU-Bundetagsabgeordneten Hauptmann
Währenddessen wird gegen den ehemaligen Südthüringer CDU-Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann wegen Korruption ermittelt. Er selbst hat die Partei inzwischen verlassen. Sein Mandat übernahm Ende März die Erfurterin Kristina Nodt (CDU). Die Staatswissenschaftlerin Nordt ist verheiratet, hat in der CDU-Landtagsfraktion und im Thüringer Gesundheitsministerium gearbeitet und ist nach eigenen Angaben seit Anfang des Jahres beim Thüringer Kolping-Bildungswerk beschäftigt. Sie ist die Tochter des früheren Thüringer CDU-Innenministers Manfred Scherer. MDR THÜRINGEN
Pandemie-Entwicklung Das ist ein Pulverfass, auf dem wir sitzen
Die Folgen möglicher Ostertreffen könnten deutlich dramatischer werden als an Weihnachten, warnen Forscher. Sie befürchten, dass die neuen Fallzahlen bis Mai auf 230.000 steigen könnten – pro Tag.
Die britische Mutation B.1.1.7 vermiest den Deutschen das Osterfest. Mittlerweile gehen mehr als 70 Prozent der sequenzierten Patiententests auf diese ansteckendere Variante zurück, zeigen Berichte des Robert Koch-Instituts. Mit Blick auf die Feiertage und damit verbundenen Treffen im Familienkreis mahnt der Saarbrücker Pharmazieprofessor Thorsten Lehr deshalb nun zur Vorsicht. Die Lage sei nicht ohne Weiteres mit der vor Weihnachten vergleichbar. Sollte es zu ähnlich hohen Fallzahlen wie damals kommen, hätte das nun weitreichendere Folgen. Zumal Corona-Ausbrüche laut Robert Koch-Institut (RKI) momentan insbesondere private Haushalte sowie zunehmend auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld betreffen.
Anders als das ursprüngliche Virus breite sich B.1.1.7 schneller innerhalb von Familien aus, sagt Lehr. Bei dieser Mutante sei oft jedes Mitglied infiziert, wohingegen früher selbst enge Angehörige nicht immer angesteckt wurden. Zudem steigen die Gesamtzahlen derzeit noch. Bei dieser Kombination ist die Lage brisant. Das ist ein Pulverfass, auf dem wir sitzen.
Lehr verantwortet einen Covid-19-Simulator, der Vorhersagen der Coronainfektionen samt Krankenhausbettenbelegung, intensivmedizinischer Behandlung, Beatmung und Todesraten in den einzelnen Bundesländern und die Abschätzung von nicht pharmazeutischen Interventionen ermöglichen soll.
Auch Kai Nagel von der TU Berlin geht aufgrund seiner Simulationen von steigenden Zahlen aus. Infektionen finden nach Daten des Mobilitätsforschers vor allem durch ungeschützte Kontakte in Innenräumen statt. Nagel befürchtet als schlimmstes Szenario bis zu 230.000 Neuinfektionen pro Tag im Mai. Die dämpfende Wirkung der wärmeren Jahreszeit sei schon berücksichtigt. Auch wenn bis Mitte April 15 Prozent der Bürger mindestens eine Impfung haben, sei dies deutlich zu gering, um die um 35 bis 70 Prozent höhere Zahl von Übertragungen durch die neue Variante B.1.1.7 auszugleichen.
Tests können Welle ausbremsen
Die hohen Infektionsraten haben Folgen: Auch bei jüngeren Menschen führe das zu mehr krankheitsbedingten Ausfällen, sagt Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Das liege allein schon daran, dass mehr Kontaktpersonen in Quarantäne müssten und das Umfeld – im Job oder in der Familie – bei Jüngeren, Berufstätigen, Eltern größer sei. Und sicher ist es auch so, dass der Anstieg bei Kindern in Kitas und Schulen ebenfalls diese Konsequenzen hat.
Mehr Tests sollten daher vor allem dafür sorgen, dass Fälle früher erkannt und so aus dem Geschehen genommen werden können, erklärt der Wissenschaftler.
So sieht es auch Nagel: Schnelltests in Schulen und Kitas könnten die Inzidenz vermindern. Schon wenn dort einmal pro Woche getestet würde, könnte die Sieben-Tage-Inzidenz von etwa 2000 auf 1600 sinken. Bei drei Tests pro Woche liegt der Wert Anfang Mai bei 1200.
Das RKI mahnt, es sei weiterhin unbedingt notwendig, sich am Arbeitsplatz konsequent vor Infektionen zu schützen. Die gesamte Bevölkerung müsse wachsam sein, Abstands- und Hygieneregeln einhalten – auch im Freien. Zudem müssten Innenräume regelmäßig gelüftet und, wo geboten, Masken getragen werden, Menschenansammlungen besonders in Innenräumen seien zu meiden.
Die gute Nachricht: Anders als Ende 2020 sind inzwischen viele Menschen aus der besonders gefährdeten höchsten Altersgruppe geimpft. Die Inzidenz falle dort besonders ab, sagt Zeeb. Allerdings liege der Anteil der Geimpften in den Gruppen darunter, bei den über 70-Jährigen, insgesamt erst bei gut einem Viertel, so Thorsten Lehr. Es sind also ziemlich viele noch nicht geimpft. Und bis Ostern wird sich daran wohl auch nicht viel ändern.
Zudem dauere es ein paar Wochen, bis die Wirkung richtig einsetze. Daher könne hier noch keine Entwarnung gegeben werden, sagt Lehr. Wir haben also ein bisschen Entschärfung durch die Impfung, aber eine Verschärfung durch die Mutanten
, bilanziert er.Das Alter ist nach wie vor einer der wichtigsten Corona-Risikofaktoren, sagt der Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx. Für die dritte Welle erwarten wir aber einen deutlich jüngeren Altersdurchschnitt, da die 80-Jährigen zum Großteil geimpft sind.
Mehr als drei Viertel der Intensivpatienten seien derzeit unter 80 Jahre alt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht aufgrund des zunehmenden Impfschutzes immerhin einen positiven Punkt: Sollten wir vergleichbar hohe Inzidenzzahlen bekommen wie Weihnachten, werden die schweren Verläufe dennoch weniger häufig sein als in der zweiten Welle. Damals erreichte Deutschland knapp 200 Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz).
Welche Gruppen sind wie stark betroffen?
Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, Eva Grill, sagt, neben der Überlastung des Gesundheitssystems sollte man auch andere Folgen der Sars-CoV-2-Infektion berücksichtigen. So leide etwa jeder zehnte Erkrankte noch monatelang am sogenannten Post-Covid-Syndrom mit Symptomen wie Atemnot, Müdigkeit und kognitiven Einschränkungen.
Zeeb und Lehr plädieren dafür, künftig auch die Wirkung einzelner Maßnahmen in Betrieben, Schulen und Kitas genauer unter die Lupe zu nehmen. Nur dann könne man sinnvoll darüber entscheiden, welche Wege zum Ziel führen, und die Pandemie wirklich bekämpfen. Weiter sagt Zeeb: Unbedingt wichtig werden auch Maßzahlen, die sich damit auseinandersetzen, wie unterschiedliche soziale Gruppen betroffen sind, sowohl von Infektionen als auch von vielen der Maßnahmen.
Spiegel, joe/dpa
RKI registriert 24.300 Corona-Neuinfektionen und 201 neue Todesfälle
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 24.300 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 201 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen des RKI vom Donnerstag hervor. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 22.657 Neuinfektionen und 228 neue Todesfälle verzeichnet. Die Daten geben den Stand des RKI-Dashboards von 05.30 Uhr wieder, nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen des RKI sind möglich. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI am Donnerstagmorgen bundesweit bei 134,2 - und damit etwas über dem Niveau vom Vortag (132,3).Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Mittwochabend bei 0,97 (Vortag: 1,01). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 97 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen. dpa
Corona-Politik: Regiert da wer?
Die Kanzlerin zu schwach, die Ministerpräsidenten zu viele: Dem Land ist das Machtzentrum abhandengekommen.Man würde einen kritischen Kommentar zu den neuesten Corona-Beschlüssen gern mit den Worten beginnen Die Regierung hat
oder Die Regierung sollte
, doch wäre schon das geschönt. Denn dieses Land hat keine Regierung mehr, wenn damit ein Machtzentrum gemeint sein soll, das in der Verantwortung steht und diese auch annimmt. Kurz gesagt: Die Kanzlerin ist zu schwach, die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sind zu viele.
In der Corona-Epidemie handeln sie nach zwei klaren Prinzipien: zu spät und zu wenig. Auch die Krisenkommunikation folgt einem Muster: Das Schlimme, das gesagt wird, ist nicht das Schlimmste, das im Gange ist; der bad case verdeckt den worst case. Diesmal bedeutet das, alle müssen Ostern für fünf Tage in den Lockdown. Nicht gesagt wird: Das wird nicht reichen, um die dritte Welle zu brechen. Der Rest ist wie gewohnt Detail-Geknatter, diesmal: Beifahrer aus einem fremden Hausstand müssen eine Maske tragen, es sei denn, sie singen dabei Wir lagen vor Madagaskar.
Entscheidend ist also nicht, was gesagt, sondern was nicht gesagt wird. Unterblieben ist etwa ein kurzer wichtiger Satz: Wir bitten um Verzeihung.
Dafür, dass wir bei unserer letzten Sitzung am 3. März bereits wussten: Die damaligen Beschlüsse würden nicht ausreichen, weil die Turbo-Mutante B1.1.7 schon auf dem Vormarsch war. Verschwiegen wurde ebenfalls, dass die Entscheidung des Auswärtigen Amtes, die Reisewarnung für Mallorca aufzuheben, ein fataler Fehler war, weil dort schon die nächste Mutante aufgetaucht ist, die sogenannte brasilianische, ansteckender, tödlicher und, soweit man weiß, obendrein noch teilresistent gegen die Impfstoffe.
Aber warum bloß folgen die Rumregierenden so strikt dem Prinzip zu spät, zu wenig
? Die naheliegendste Antwort wäre: Eine Kanzlerin am Ende ihrer Ära; eine ausgelaugte Koalition; ein Föderalismus, der es nicht gewohnt ist, für das große Ganze verantwortlich zu sein; störende Machtkämpfe um die Kanzlerkandidatur der Union; schließlich der beginnende Bundestagswahlkampf – so kann das ja nichts werden. Das wären sogar relativ tröstliche Antworten, weil die meisten dieser besonderen Umstände spätestens in einem halben Jahr verschwinden werden, nichts Systemisches also.
Aber man ahnt schon, dass mehr dahintersteckt. Tatsächlich hätte die Politik derlei zufällige Faktoren in Anbetracht einer so tiefen Krise auch überwinden können. Es kam jedoch etwas ziemlich Epochales hinzu: Deutsche Politik ist bislang unfähig, mit Zeitdruck umzugehen. Jetzt erst, konfrontiert mit einer exponentiell gestimmten Naturkatastrophe, wird unsere Gesellschaft ihres größten Luxus gewahr: Zeit. Das Tempo bestimmen, die Dinge verzögern und verschieben zu können, den Zeitdruck auf andere ablenken zu können, den Lauf der Dinge dem Tempo der Politik anpassen zu dürfen statt umgekehrt – das ist, das war das Privileg einer dominierenden Kultur. Macht hat, wer Herr über das Tempo ist. Nun also das Virus.
Man lernt und notiert sich für andere Krisen: sich Zeit nehmen heißt sich Zeit rauben.
Und auch das ist noch nicht alles. Neben die Unfähigkeit, das Tempo der Politik der Wirklichkeit anzupassen, tritt eine verstörende Angst der Volksvertreter vor dem Volk. Seit einem Jahr verhalten sich die 16 Ministerpräsidenten jede verdammte Woche so, als hätten sie am nächsten Sonntag Wahl. Wie die Kaninchen starren sie auf lautstarke Minderheiten, seien sie auch noch so verrückt ("Querdenker") oder marode (AfD). Anscheinend hat man das Gespür für das Volk verloren und schaut ersatzweise schockstarr auf die Schlagzeilen einer überspannten, schlingernden Boulevardzeitung. Aber die kennt das Volk auch nicht besser, sie denkt nur schlechter darüber. Es scheint ganz so, als habe die Politik die beiden wichtigsten Vorzüge der repräsentativen Demokratie aus dem Auge verloren: erstens, dass alle vier Jahre gewählt wird, und zweitens, dass vier Jahre lang nicht gewählt wird. Der Versuch, in schweren Zeiten möglichst zumutungsarme Politik zu betreiben, endet nun darin, dass alles als Zumutung empfunden wird, die Angst der Regierenden nährt den Zorn der Regierten und der Zorn dann wieder die Angst.
Offenbar braucht man nicht nur eine neue Regierung, sondern auch eine andere politische Kultur, um im Zeitalter der Zumutungen bestehen zu können. Zeit online
Fünf Gründe, warum Covid-Herdenimmunität wahrscheinlich unmöglich ist
Zu Beginn der Pandemie war die Hoffnung groß, dass das Virus mit der Impfung keine Chance mehr auf Verbreitung hat. Doch das klappt wohl nicht. Jetzt muss eine neue Strategie her.
Weltweit werden immer mehr Menschen gegen Covid-19 geimpft, und vielen geht so langsam die Luft aus angesichts der Pandemie-Maßnahmen. Sie fragen sich: Wie lange wird diese Pandemie noch andauern? Die Antwort wird leider immer unerfreulicher: Die Hoffnung, dass wir die Herdenimmunitätsschwelle
erreichen – dass also so viele Personen gegen Sars-CoV-2 immun werden, dass das Virus nicht weiter übertragen wird –, erscheint immer unrealistischer.
Diese Schwelle ist normalerweise nur mit hohen Impfraten erreichbar. Zahlreiche Wissenschaftler hatten zunächst gedacht, die Herdenimmunität würde es der Gesellschaft ermöglichen, zur Normalität zurückzukehren, sobald die Menschen sich massenhaft impfen ließen. Die meisten Schätzungen gingen davon aus, dass der Schwellenwert bei 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung liegt, die entweder durch Impfungen oder nach einer Erkrankung immun sind. Doch jetzt, wo die Pandemie in ihr zweites Jahr geht, müssen wir uns eventuell auf eine neue Strategie einstellen. Im Februar 2021 änderte der unabhängige Datenwissenschaftler Youyang Gu den Namen seines populären Covid-19-Prognosemodells von Path to Herd Immunity
in Path to Normality
. Aus seiner Sicht werden wir die Schwelle zur Herdenimmunität wohl nicht erreichen – unter anderem wegen der verbreiteten Impfzurückhaltung, dem Auftauchen neuer Varianten und weil Impfungen für Kinder noch nicht verfügbar sind.
Gu ist Datenwissenschaftler, aber seine Denkweise deckt sich mit der vieler Epidemiologen. Wir verabschieden uns gerade von der Vorstellung, dass wir die Schwelle der Herdenimmunität erreichen und dass die Pandemie dann endgültig verschwindet
, sagt die Epidemiologin Lauren Ancel Meyers, Executive Director des Covid-19 Modeling Consortium der University of Texas in Austin. Diese Verschiebung spiegle die Komplexität und die Herausforderungen der Pandemie wider, solle jedoch nicht zu der Annahme führen, die Impfung sei nutzlos. Der Impfstoff wird dazu führen, dass das Virus irgendwann von selbst verschwindet
, sagt Meyers. Da aber neue Varianten auftauchen und die Immunität gegen Infektionen möglicherweise nachlässt, könnten wir uns Monate oder ein Jahr später immer noch im Kampf gegen die Bedrohung wiederfinden. Wir werden mit zukünftigen Ausbrüchen umgehen müssen.
Langfristig gesehen wird Covid-19 wahrscheinlich zu einer endemischen Krankheit, ähnlich wie die Influenza. Für die nahe Zukunft denken die Wissenschaftler etwa über eine neue Normalität ohne Herdenimmunität nach. Wir erklären die Hauptgründe für diese neue Sichtweise und was sie für das kommende Jahr der Pandemie bedeutet.
1. Es ist unklar, ob Impfstoffe die Übertragung verhindern
Der Schlüssel zur Herdenimmunität liegt darin, dass es nicht genügend Wirte gibt, um die Übertragung aufrechtzuerhalten. Diejenigen, die geimpft wurden oder die Infektion bereits durchgemacht haben, können sich nicht anstecken und das Virus verbreiten. Die Covid-19-Impfstoffe, die von Moderna und Pfizer/Biontech entwickelt wurden, sind beispielsweise äußerst wirksam bei der Verhinderung von symptomatischen Erkrankungen. Aber noch ist unklar, ob sie Menschen davor schützen, sich zu infizieren oder das Virus auf andere zu übertragen. Das stellt ein Problem für das Konzept der Herdenimmunität dar.
Herdenimmunität ist nur relevant, wenn wir einen Impfstoff haben, der die Übertragung blockiert. Wenn das nicht der Fall ist, besteht die einzige Möglichkeit, eine Herdenimmunität in der Bevölkerung zu erreichen, darin, alle zu impfen
, sagt Shweta Bansal, Fachfrau für Mathematik in der Biologie an der Georgetown University in Washington DC. Die Wirksamkeit des Impfstoffs müssten verdammt hoch
sein, um die Übertragung zu stoppen. Die Daten von Moderna und Pfizer sehen recht ermutigend aus
, sagt sie. Doch wie gut diese und andere Impfstoffe die Übertragung des Virus verhindern, wird große Auswirkungen haben.
Ein Impfstoff braucht die Übertragung gar nicht zu 100 Prozent zu verhindern: Schon eine 70-prozentige Wirksamkeit wäre beeindruckend
, sagt Samuel Scarpino, ein Netzwerkwissenschaftler, der an der Northeastern University in Boston Infektionskrankheiten untersucht. Damit könnte sich das Virus aber noch immer gut verbreiten, und es wäre entsprechend schwieriger, die Übertragungsketten zu unterbrechen.
2. Der Impfstoff ist ungleichmäßig verteilt
Wie schnell und breit ein Impfstoff verteilt wird, spielt aus verschiedenen Gründen eine Rolle, sagt Matt Ferrari, ein Epidemiologe am Center for Infectious Disease Dynamics der Pennsylvania State University. Eine perfekt koordinierte globale Kampagne hätte Covid-19 auslöschen können, sagt er – zumindest theoretisch. Technisch ist das machbar. In der Realität ist es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass wir das auf globaler Ebene erreichen werden
, sagt er. Es gebe enorme Unterschiede in der Effizienz der Impfstoffeinführung zwischen den Staaten und sogar innerhalb der Länder.
Israel hat im Dezember 2020 mit der Impfung seiner Bürger begonnen und ist – auch dank eines Abkommens mit Pfizer/Biontech über die gemeinsame Nutzung von Daten im Austausch gegen Impfdosen – im Frühjahr 2021 weltweit führend. Zu Beginn der Kampagne impfte das Gesundheitspersonal jeden Tag mehr als ein Prozent der israelischen Bevölkerung, sagt Dvir Aran, ein biomedizinischer Datenwissenschaftler am Technion – Israel Institute of Technology in Haifa. Mitte März waren etwa 50 Prozent der Bevölkerung des Landes vollständig mit den zwei für den Schutz erforderlichen Dosen geimpft. Das Problem ist jetzt, dass die jungen Leute sich nicht impfen lassen wollen
, sagt Aran. Deshalb locken die Behörden sie mit Dingen wie Gratis-Pizza und Bier. Gleichzeitig haben Israels Nachbarn Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten noch nicht einmal ein Prozent ihrer jeweiligen Bevölkerung geimpft.
In den Vereinigten Staaten ist der Zugang zu Impfstoffen ungleichmäßig verteilt. In einigen Bundesstaaten wie Georgia und Utah sind weniger als zehn Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, in Alaska und New Mexico sind es mehr als 16 Prozent.
Global ist die Verteilung des Impfstoffs in den meisten Staaten nach Alter gestaffelt, mit einem Vorrang für ältere Menschen, die das höchste Risiko haben, an Covid-19 zu sterben. Wann und ob es einen für Kinder zugelassenen Impfstoff geben wird, bleibt abzuwarten. Pfizer/Biontech und Moderna haben inzwischen Teenager in klinische Studien ihrer Impfstoffe aufgenommen, und die Impfstoffe von Oxford-AstraZeneca und Sinovac Biotech werden an Kindern ab drei Jahren getestet.
Wir befinden uns in einem Wettlauf mit den neuen Varianten(Sara Del Valle, Epidemiologin)
Es wird allerdings noch Monate dauern, bis es hier zuverlässige Ergebnisse gibt. Sollte die Impfung von Kindern nicht möglich sein, müssten viel mehr Erwachsene geimpft werden, um eine Herdenimmunität zu erreichen, sagt Shweta Bansal. In den USA zum Beispiel sind laut Volkszählungsdaten von 2010 24 Prozent der Menschen unter 18 Jahre alt. Würde ein Großteil dieser nicht Volljährigen nicht geimpft, müssten 100 Prozent der über 18-Jährigen geimpft werden, um noch 76 Prozent Immunität in der Bevölkerung zu erreichen.
Bansal zufolge ist die geografische Struktur der Herdenimmunität ein weiterer wichtiger Punkt, den es zu berücksichtigen gilt: Keine Gemeinschaft ist eine Insel. Deshalb ist die Landschaft der Immunität, die eine Gemeinschaft umgibt, sehr wichtig.
Covid-19 ist in den Vereinigten Staaten in Clustern aufgetreten, weil die Menschen sich von Ort zu Ort unterschiedlich verhalten haben und die Politik lokal verschiedene Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Und auch die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, beeinflusst geografische Cluster, fügt Bansal hinzu. Das zeigt zum Beispiel der Widerstand gegen die Masernimpfung in einigen Regionen, in denen die Krankheit dann ein Comeback erlebt hat. Eine geografische Häufung sorgt dafür, dass der Weg zur Herdenimmunität weniger geradlinig verläuft: Wahrscheinlich müssen regelmäßig immer wieder aufflackernde lokale Ausbrüche niedergekämpft werden. Selbst in einem Land mit hohen Impfraten wie beispielsweise Israel bleibt das Potenzial für neue Ausbrüche bestehen, wenn die umliegenden Länder nicht ebenso konsequent sind.
3. Neue Varianten verändern die Rechnung
Immer wieder tauchen zudem neue Varianten von Sars-CoV-2 auf, die möglicherweise übertragbarer und resistenter gegen Impfstoffe sind. Wir befinden uns in einem Wettlauf mit den neuen Varianten
, sagt Sara Del Valle, Epidemiologin am Los Alamos National Laboratory in New Mexico. Je länger es dauere, die Übertragung des Virus einzudämmen, desto mehr Zeit hätten diese Varianten, sich zu entwickeln und zu verbreiten.
Das Geschehen in Brasilien liefert im Frühjahr 2021 ein besonders tragisches Beispiel für solche Zusammenhänge. Im Magazin Science
veröffentlichte Forschungsergebnisse legen nahe, dass der Rückgang von Covid-19 in der Stadt Manaus zwischen Mai und Oktober 2020 auf Herdenimmunitätseffekte zurückzuführen sein könnte. Das Gebiet war von der Krankheit stark betroffen, und die Immunologin Ester Sabino von der Universität von São Paulo und ihre Kollegen berechneten, dass bis Juni 2020 mehr als 60 Prozent der Bevölkerung infiziert worden waren.
Einigen Schätzungen zufolge hätte das ausreichen müssen, um die Bevölkerung auf die Schwelle der Herdenimmunität zu bringen, aber im Januar kam es in Manaus zu einem enormen Anstieg der Fälle. Dieser Anstieg erfolgte nach dem Auftreten der neuen Variante P.1. Das deutet darauf hin, dass frühere Infektionen keinen breiten Schutz verliehen haben. Im Januar wurden 100 Prozent der Fälle in Manaus durch P.1 verursacht
, sagt Sabino. Samuel Scarpino vermutet zwar, dass die Zahl von 60 Prozent eine Überschätzung gewesen sein könnte. Trotzdem, so sagt er: Sogar bei einem hohen Level an Immunität gibt es ein Wiederaufflackern der Infektionen.
Laut Matt Ferrari gibt noch ein weiteres Problem, mit dem man sich auseinandersetzen muss, wenn die Immunität in einer Population wächst. Höhere Immunitätsraten können einen Selektionsdruck erzeugen, der Varianten begünstigt, die auch geimpfte Menschen infizieren. Eine schnelle und gründliche Impfung kann verhindern, dass eine neue Variante Fuß fasst. Doch auch hier wird eine ungleichmäßige Verteilung der Impfstoffe zum Problem: Man hat eine gewisse Immunität in der Bevölkerung, zugleich aber noch viele Infizierte, und bleibt dann irgendwo in der Mitte hängen
, sagt Ferrari. Impfstoffe werden fast zwangsläufig einen neuen evolutionären Druck erzeugen, der Varianten hervorbringt.
4. Immunität hält vielleicht nicht ewig an
Berechnungen zur Herdenimmunität berücksichtigen zwei Quellen der individuellen Immunität – Impfstoffe und natürliche Infektionen. Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert haben, scheinen eine gewisse Immunität gegen das Virus zu entwickeln – dennoch bleibt die Frage, wie lange diese anhält, sagt Bansal. Nach allem, was man über andere Coronaviren und Sars-CoV-2 bisher weiß, scheint die infektionsassoziierte Immunität mit der Zeit schwächer zu werden, und das muss bei Berechnungen berücksichtigt werden. Uns fehlen noch schlüssige Daten zur abnehmenden Immunität, aber wir wissen, dass sie nicht null und nicht 100 ist
, sagt Bansal.
Es wird nicht möglich sein, sämtliche aktuell Infizierten zu zählen, wenn Modellierer berechnen, wie nah eine Population an der Schwelle zur Herdenimmunität ist. Sie müssen zudem berücksichtigen, dass die Impfstoffe nicht zu 100 Prozent wirksam sind. Außerdem kann die Impfstoffproduktion weiter unter Zeitdruck geraten, wenn eine auf einer Infektion basierende Immunität nur ein paar Monate anhält. Auch wie lange die impfstoffbasierte Immunität anhält, muss sich erst zeigen, und ob Auffrischungen im Lauf der Zeit notwendig sind. Von all dem hängt am Ende ab, ob Covid-19 sich zu etwas wie der Grippe entwickelt – und bleiben wird.
5. Impfstoffe könnten das menschliche Verhalten verändern
Bei den derzeitigen Impfraten nähert sich Israel der theoretischen Schwelle zur Herdenimmunität, sagt Aran. Das Problem ist, dass geimpfte Menschen ihr Verhalten ändern. Und das wiederum verändert die Gleichung der Herdenimmunität, die eben unter anderem davon abhängt, wie viele Menschen dem Virus ausgesetzt sind. Aran veranschaulicht dies an einem Rechenbeispiel: Der Impfstoff wirkt nicht in allen Fällen
, sagt er. Doch angenommen, er böte 90 Prozent Schutz: Wenn Sie vor der Impfung höchstens eine Person getroffen haben und jetzt mit der Impfung zehn Personen treffen, kommt das auf das Gleiche raus.
Die größte Herausforderung bei der Modellierung von Covid-19 sind die soziologischen Komponenten, sagt Meyers. Alles, was wir bisher über menschliches Verhalten wussten, wird nun über den Haufen geworfen, denn wir leben in einer noch nie da gewesenen Zeit und verhalten uns auf eine noch nie da gewesene Weise.
Meyers und andere versuchen, ihre Modelle in Echtzeit anzupassen, um Verhaltensänderungen wie das Tragen von Masken und social distancing
zu berücksichtigen.
Nichtpharmazeutische Interventionen werden weiterhin eine entscheidende Rolle spielen, um die Zahl der Fälle niedrig zu halten, sagt Del Valle. Es gehe darum, den Übertragungsweg zu unterbrechen. Die Einschränkung sozialer Kontakte und die Beibehaltung von Schutzverhalten wie das Tragen von Masken können nach ihrer Überzeugung dazu beitragen, die Ausbreitung neuer Varianten einzudämmen, während die Impfstoffe eingeführt werden.
Alles, was wir bisher über menschliches Verhalten wussten, wird nun über den Haufen geworfen, denn wir leben in einer noch nie da gewesenen Zeit und verhalten uns auf eine noch nie da gewesene Weise(Epidemiologin Lauren Ancel Meyer)
Aber es wird schwer sein, die Menschen davon abzuhalten, zu ihrem Verhalten vor der Pandemie zurückzukehren. Die Regierungen von Texas und einigen anderen US-Bundesstaaten heben bereits die Maskenpflicht auf, obwohl ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung weiterhin ungeschützt ist. Es ist frustrierend zu sehen, dass die Menschen ihr Schutzverhalten jetzt aufgeben, sagt Scarpino, denn die Fortführung von Maßnahmen, die zu funktionieren scheinen, wie beispielsweise die Einschränkung von Versammlungen in geschlossenen Räumen, könnte einen großen Beitrag zum Ende der Pandemie leisten. Der Schwellenwert für die Herdenimmunität ist kein
, sagt Scarpino. Und selbst jenseits des Schwellenwerts wird es immer noch vereinzelte Ausbrüche geben.Wir-sind-sicher
-Schwellenwert, sondern ein Wir-sind-sicherer
-Schwellenwert
Um die additiven Effekte von Verhalten und Immunität zu verstehen, sollte man einen Blick auf die diesmal ungewöhnlich milde Grippesaison werfen. Die Grippe ist wahrscheinlich nicht weniger übertragbar als Covid-19
, sagt Scarpino. Mit ziemlicher Sicherheit spielten drei Faktoren eine Rolle, warum die Grippe in diesem Jahr nicht aufgetaucht ist: Typischerweise sind etwa 30 Prozent der Bevölkerung immun, weil sie in den Vorjahren infiziert wurden. Dazu kommen Grippeimpfungen, die vielleicht weitere 30 Prozent abdecken. Wir kommen so wahrscheinlich auf eine Immunität von etwa 60 Prozent.
Wenn man dazu aber noch das Tragen von Masken und social distancing
hinzufügt, schafft es die Grippe einfach nicht mehr
, sagt Scarpino. Diese Überschlagsrechnung macht deutlich, wie sehr Verhaltensänderungen die Gleichung beeinflussen – und warum mehr Menschen geimpft werden müssten, um eine Herdenimmunität zu erreichen, wenn die Menschen zum Beispiel social distancing
nicht länger praktizieren.
Wenn wir es schaffen, die Übertragung zu stoppen, könnten wir zur Normalität zurückkehren. Ein anderer Weg könnte darin bestehen, schwere Krankheiten und Todesfälle zu verhindern, sagt Stefan Flasche, ein Impfstoff-Epidemiologe an der London School of Hygiene & Tropical Medicine: Angesichts dessen, was bisher über Covid-19 bekannt sei, wird das Erreichen einer Herdenimmunität durch Impfstoffe allein eher unwahrscheinlich sein
.
Es sei Zeit für realistischere Herangehensweisen. Der Impfstoff ist eine absolut erstaunliche Entwicklung
. Trotzdem kann er die Ausbreitung wahrscheinlich nicht komplett stoppen. Wir sollten uns also Gedanken darüber machen, wie wir mit dem Virus leben können, sagt Flasche. Diese Aussicht klinge vielleicht düsterer, als sie wirklich ist, meint der Epidemiologe. Denn auch ohne Herdenimmunität scheint es zu gelingen, die Zahl der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle zu reduzieren, wenn wir gefährdete Personen impfen. Die Krankheit wird dann vielleicht nicht so bald verschwinden – ihre Bedeutung wird aber wahrscheinlich schrumpfen. Sprectrum der Wissenschaft, Christie Aschwanden