Teil 12 - Lesum, 1906-1923
Kapitel 18
Vakanzen und permanente Wechsel
Die beiden erwähnten Vakanzen in Meyenburg waren die ersten, die ich in meiner Lesumer Zeit erlebte. Von da an ging's im beschleunigten Tempo. Gleichzeitig mit Brinkmann ging Freyer fort, um die Pfarre Arbergen an der anderen Seite von Bremen zu übernehmen, und 14 Tage nach Ohnesorg führte ich Kobus in Lesum ein. Schon im Sommer desselben Jahres 1912 wurde Cuntz zum Superintendenten von Hoya ernannt. Wie mir Wagemann, der inzwischen ins Konsistorium gekommen war, sagte, war das glänzende Zeugnis, das ich ihm anlässlich der Visitation ausgestellt, Veranlassung zu seiner Ernennung gewesen. Und wieder ein halbes Jahr später verließ uns Fehly, da er an die Apostelkirche in Hannover gewählt war. Auch hier hatte ich mir durch ein glänzendes Zeugnis ins eigene Fleisch geschnitten. Denn die Auskunft, die ich einem Abgesandten des Kirchenvorstandes über ihn erteilt, war jedenfalls ins Gewicht gefallen. Dann dauerte es wieder drei Jahre, bis wieder ein Wechsel eintrat. Aber im Frühjahr 1916 verließ uns auch Hops infolge seiner Wahl zum Pastor von St. Jacobi in Hildesheim. So wurden nacheinander die drei vorgeschobensten Posten in der Inspektion entblößt und drei in einem Geist und Sinn arbeitende Geistliche uns genommen. Die Wiederbesetzung erfolgte nicht so einheitlich. Für Aumund wurde Küster, bisher im Bramsche, ernannt. Als er seine Aufstellungspredigt gehalten, fragte ihn ein Kirchenvorsteher: Sie werden doch hoffentlich auch im Sinne unseres lieben Pastor Cuntz wirken?
Er antwortete: Ich bin liberal.
Crusius, der uns das mitteilte, bezeugte uns auch, dass ihm an Küsters Predigt, deren Wärme er übrigens durchaus anerkannte, etwas gefehlt hätte. Die Folge war ein Protest der Gemeinde. Dass Crusius, der übrigens damals unmittelbar vor seinem Abgang nach Neuenkirchen stand, als zeitiger Vorsitzender des Kirchenvorstandes diesen Protest nicht verhinderte, sondern mit unterschrieb, hat ihm Küster, soviel ich weiß, bis heute nicht vergessen. Auch ich empfahl diesen Protest der ernsten Beachtung des Kirchenregiments. Es war doch wirklich der Beachtung wert, dass einmal eine Einsage auf etwas anderes begründet wurde als auf die beliebten Reden vom Nichtverstandenwordensein
. Das Kirchenregiment hörte leider mehr auf den Landrat Berthold, der sich sofort für den liberalen
Mann einsetzte, als auf mich. So wurde Küster denn, allerdings erst nach einer den ganzen Winter hindurch andauernden Vakanz, eingeführt. Ich muss ihm das Zeugnis geben, dass er, solange ich sein Ephorus war, sich stets richtig zu mir gestellt hat und dass er mit hingebendem Fleiß, seine Gesundheit nicht schonend, sein schweres Amt geführt hat. Aber es war doch ein anderer Geist in ihm, und in der Gemeinde ging es von da an in mancher Hinsicht abwärts. Auch in Grohn, wo ich übrigens während der Vakanz die Spezialvikarie übernahm, war das Resultat der Wahl, durch die die Stelle wieder besetzt wurde, nicht ganz nach meinem Sinn. Der gewählte, Möller, bis dahin Kollaborator in Seelze, äußerte später einmal auf einer Bezirkssynode ganz naiv, bei Wahlen würde ja doch gewöhnlich der Ungeeignetste gewählt. Und auch Schwerdtmann, der mir seine Wahl möglichst schmackhaft zu machen suchte, gestand zu, dass Fehly ein ganz anderer Mann
gewesen sei. Möller war ein freundlicher, gefälliger Mann, auch eifrig und nicht ohne Begabung, aber etwas farblos und nicht ohne Eitelkeit. Ganz in meinem Sinn dagegen war die Ernennung [Johann] Feltrups für Blumenthal. Hier kam ein Mann, dem man es anfühlte, dass es ihm nicht um seine Person, sondern lediglich um sein Amt zu tun war, und dass er, mit reichen Gaben ausgerüstet, es unberührt durch Menschengunst oder -ungunst allein nach Gottes Willen führte. Leider wurde er uns auch nicht lange erhalten. Schon nach vier Jahren wurde er, zum lebhaften Missfallen des wackeren Kirchenvorstehers Nordenholz, abberufen, um die Stelle des Studiendirektors auf der Erichsburg zu übernehmen. An seine Stelle trat durch einstimmige Wahl des Kirchenvorstandes der bisherige Kollaborator von Aumund, Fähr von Ancken.
Hatten bis dahin die von Änderungen nur den westlichen Teil der Inspektion betroffen, so folgten nun verschiedene auch im Osten. Für den im Interesse des Dienstes versetzten Fiedler wurde durch einstimmige Wahl des Kirchenvorstandes der treffliche Albers, Schwager von Hops, auf die zweite Stelle von Scharmbeck gewählt. Kurze Zeit darauf verließ uns auch Krönke, nachdem er länger als ein Vierteljahrhundert in Hambergen gewirkt hatte, um auf die Pfarre Debstedt überzugehen. Die Wiederbesetzung erfolgte hier auch durch Wahl, und die Wahl bestätigte uns nur zu sehr Möllers Ausspruch. Denn während ein sehr tüchtiger Bewerber durchfiel, weil, als der Kirchenvorstand eine Abordnung an die bisherige Stätte seiner Wirksamkeit geschickt, er in der dort gehaltenen Predigt sich tadelnd über geringen Kollektenertrag ausgesprochen hatte, fiel die Wahl auf einen, über dessen schwache und inhaltslose Eintrittspredigt auch der in seinem Urteil sonst sehr milde Kromschröder , der bei seiner Einführung assistierte, sich entsprechend zu äußern nicht enthalten konnte, sobald wir auf der Rückfahrt unter uns waren. Dann aber gab er in seiner wie es scheint nur auf Veranlassung seiner Verwandten geschlossenen Ehe solches Ärgernis, dass kaum nach Jahresfrist eine Disziplinaruntersuchung gegen ihn eröffnet wurde, die mit seiner Amtsenthebung endete. Aber auch im Westen kam es noch zu einer Pfarrvakanz, da Ohnesorg einem Ruf an die Anstalten zu Rotenburg folgte. Sein Nachfolger wurde auf Präsentation des Patrons Paul Crusius, der Bruder meines Schwiegersohnes. Die letzte Vakanz, die ich während meiner Dienstzeit erlebte, erfolgte durch den unerwarteten Tod Kromschröders. Acht Tage vorher hatte er noch an der amtlichen Predigerkonferenz teilgenommen, als ich eines Tages an das Telefon gerufen wurde, um seinen Tod zu erfahren. In Lüneburg, wohin er zur Silberhochzeit seiner Schwester gefahren war, hatte ihn der Tod infolge einer anfangs unerheblich erscheinenden Magenverderbnis ereilt. Die Wiederbesetzung verzögerte sich ebenso wie die Erledigung des Hamburger Falles bis nach meiner Versetzung in den Ruhestand.
Die Bezirkssynoden boten bei den mannigfaltigen und komplizierten Verhältnissen des Synodalbezirks immer reichlichen Stoff für Verhandlungen. Auch der Synodalausschuss musste verhältnismäßig oft zusammengerufen werden. Besonders waren's Trauungssachen, die wiederholt zu Verhandlungen kamen. Ich freute mich hierbei stets, wie gerade die weltlichen Vertreter Monsees aus Scharmbeck und Nordenholz aus Blumenthal stets die kirchlichen Belange vertraten. Nach dem Beispiel, das schon andere Bezirkssynoden gegeben, beschlossen wir auch Kirchenvorsteherreisen zu den Anstalten der Inneren Mission. Zuerst reisten wir im Herbst 1911 nach Hannover und besichtigten das Stefansstift, das Annastift und das Henriettenstift. Besonders die Erfolge an den Krüppelkindern des Annastifts machten großen Eindruck und lösten Äußerungen aus wie diese: Wie gut, dass es solche Anstalten gibt.
Im Henriettenstift erfuhr einer der Kirchenvorsteher, der unterwegs schwach geworden war, an seinem eigenen Leibe die Wohltat der Pflege durch Schwesternhand. Eine zweite Reise galt den Rotenburger Anstalten. Der Anschauungsunterricht von den Anstalten regte den Wunsch an, auch Hermannsburg kennenzulernen. Haccius, an den ich mich wandte, riet, da die äußere Mission nicht solche unmittelbaren Anschauungsmittel böte wie die innere, zu einem Besuch des Missionsfestes. Er wurde dann für 1912 beschlossen. Leider war die Beteiligung nur schwach. Doch schlossen sich den Kirchenvorstehern noch einige andere Gemeindeglieder an. Aber alle waren hoch befriedigt, und obgleich ich die Teilnehmer darauf vorbereitet hatte, dass nicht geringe Anforderungen an sie gestellt werden würden, durch lange Gottesdienste und die einen ganzen Tag anfüllenden Ansprachen bei der Feier im Freien, wurde es ihnen doch nicht zu viel. Besonders imponierte ihnen die großzügige Gastfreundschaft, die ihnen wie selbstverständlich gewährt wurde. Ich veröffentlichte hinterher einen Aufsatz darüber in der Vegesacker Zeitung, und als ich einige Wochen später zu der für Cuntz veranstalteten Abschiedsfeier im Elisabethstift zu Aumund eingeladen war, erzählte ich auf Wunsch von dem Missionsfest.