16März2022

Störgefühle

Michael Malsch

Kennt ihr das auch? Wenn ich Filme gucke, dann habe ich manchmal ein Störgefühl. Ich meine nicht das Störgefühl durch rauchende Schauspieler oder alte weiße Männer, die sich als allererstes einen Whiskey einschenken, wenn sie nach Hause kommen, wie man es oft in alten Hollywood-Schinken sieht, sondern das Störgefühl, das durch Spielszenen entsteht, die im echten Leben so nicht vorkommen – oder nur ganz zufällig.

Störgefühle werden in mir in ganz bestimmten Szenerien hervorgerufen. Zum Beispiel auf dem Land. Die Kamera blendet auf, man sieht einen Gutshof. Und schon wiehert ein Pferd, aber weit und breit ist keines zu sehen. – Oder eine einsame Nachtszene. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hört man dann einen Hund bellen. – Oder ein Auto entfernt sich mit hoher Geschwindigkeit, natürlich mit quietschenden Reifen. – Oder auf dem Basar im Vorderen Orient, genau in diesem Moment ruft der Muezzin.

Wenn ein Kriminalbeamter mit vorgehaltener Waffe bei Nacht in ein Gebäude geht, um den vermeintlichen Bösewicht zu stellen, kommt ihm selten der Gedanke, das Licht anzuknipsen. Er kommt auch nicht auf die Idee, sich Schule mit Kreppsohlen anzuschaffen, denn man hört jeden seiner Schritte. Und natürlich ist er im Moment höchster Gefahr allein. Das alles ist nur dadurch zu erklären, dass er das Drehbuch kennt und deshalb weiß, dass ihm nichts passiert. – Und kann mir mal jemand erklären, warum immer klassische Musik hinterlegt wird, wenn ein Bösewicht die Szene betritt?

Andererseits gibt es Szenen, in denen eher auf Nebengeräusche verzichtet wird: Zwei Protagonisten stehen im Badezimmer und putzen sich die Zähne. Aber sie scheinen aus dem letzten Jahrtausend zu sein, denn keiner benutzt eine elektrische Zahnbürste. Außerdem verwenden sie meist keine Zahnpasta. Wenn sie ihren Text aufgesagt haben, legen sie die Zahnbürste beiseite, ohne ihren Mund auszuspülen und verlassen das Bad. – Auch Elektrorasierer gibt es kaum. Stattdessen müht man sich mit einem Handrasierer ohne Klinge, mit dem der Rasierschaum auf einer Stelle der Wange nur verschoben wird. Dann wird der Schaum mit einem Handtuch weggerubbelt und es erscheint ein bereits glattrasiertes Gesicht. – Und unter der Dusche lassen sich die Protagonisten nur das Wasser durch die Haare laufen. Ich habe noch nie gesehen, dass jemand Duschgel oder Shampoo benutzt.

Szenenwechsel: Am Morgen erwacht eine Frau in ihrem Bett. Sie schlägt die Augen auf und ist nicht nur sofort topfit. Sie ist auch bestens geschminkt mit Wimperntusche und Lidschatten. Hat sich denn die Dame vor dem Zubettgehen gar nicht abgeschminkt? Und wie sauber das Bettzeug ist! Keine Schminke hat über Nacht das Bettzeug verschmiert. Erstaunlich.

Wenn sich die handelnden Personen verabreden, vergessen sie typischerweise, sich über Ort und Zeit zu verständigen. Sie gehen ohne Worte auseinander oder es heißt maximal: bis nachher oder bis heute Abend. Im wahren Leben hätten die sich nur zufällig wiedergetroffen. – Beim Telefonieren ist es ähnlich: Es wird einfach aufgelegt, ohne Floskel, ohne einen Abschiedsgruß.

Was ich besonders bescheuert finde, ist die Art, in der im Film Wut und Ärger ausgedrückt wird. Der Protagonist fegt dann alles, was auf dem Schreibtisch liegt, mit dem Unterarm herunter. Im richtigen Leben würde das kaum einer tun, denn er müsste alle Akten wieder aufsammeln und sortieren.

Die Nachrichtensendungen des Fernsehens sind auch nicht besser: Der Sprecher kündigt ein Interview mit einer Person an. Währenddessen kommt diese Person auf den Kameramann zu, geht dann aber an ihm vorbei, verschwindet also aus dem Blickfeld, um im nächsten Moment - zack – vor der Kamera zu stehen, als ob sie mit einem Gummiband zurückgeschnellt wurde.

Vielleicht lesen die Verantwortlichen von Film und Fernsehen dies und sorgen in Zukunft dafür, dass sich ihre Protagonisten zukünftig die Zähne elektrisch und mit Zahnpasta putzen. Ihre Texte würden dann zwar unverständlich, aber sind sie das nicht sowieso, so manches Mal?

Michael Malsch, im Februar 2022