10April2020

Achtet auf die Sprache!

Hartmut Kennhöfer

Schwere Zeiten, die wir jetzt durchmachen. Corona offenbart sich als eine Krankheit der Menschheit, nicht der Menschen. Freiheit, Demokratie und Menschenrecht stehen dahinter zurück. Angeblich demokratisch gewählte Spitzenpolitiker genehmigen sich jetzt großzügige Notstandsgesetzgebungen und die Parlamente werden nicht einmal gefragt. Der Zweck heiligt die Mittel; schon wieder einmal.

Corona verändert die Sprache. Die Gesellschaft wird zur Herde, jedoch unterteilt in Systemrelevante und Risikogruppe. Wer im Rentenalter ist, wird aussortiert. Viele wissen nicht einmal, was Risikogruppe eigentlich bedeutet und für wen welches Risiko besteht. Da macht es für Ältere Sinn, sich mit einem Mundschutz zu maskieren, um nicht in der Herde als Teil der Risikogruppe aufzufallen.

Selbsternannte Experten machen auf sich aufmerksam, mit mehr oder weniger klugen Anweisungen, die jetzt unbedingt einzuhalten sind. Die Systemrelevanten müssen unbedingt geschützt werden, damit die Wirtschaft wieder in Fahrt kommt. Aus den Taschen der Steuern zahlenden Bürger werden Milliardenbeträge per Gießkanne über das Land verteilt. Betrüger stehen Schlange, jetzt ist es mal wieder Zeit, den Grundstein zu einem großen Vermögen, wie während der beiden Weltkriege, zu legen. Ein Richter im Ruhestand, mit einer beachtlichen Pension gut abgesichert, stellt sich in die Reihe derer, die um ihr wirtschaftliches Überleben fürchten. Seine Nebeneinkünfte für Reden und Vorträge brechen ihm weg, dafür müsse jetzt die Solidargemeinschaft einstehen. Juristisch entspricht das möglicherweise sogar geltendem Recht, mit Moral und Solidarität hat das aber nichts mehr zu tun.

Vor wenigen Wochen erst warnten kompetente Mediziner davor, Schutzmasken an Jedermann zu verteilen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Schutzmasken für niemanden einen Schutz bedeuten, war die unwissenschaftliche Begründung. Heute, wenige Wochen später, propagieren dieselben Fachleute eine Mundschutzpflicht für alle, um eine Übertragung des Erregers durch Tröpfcheninfektion weitgehend zu vermeiden. Betrüger erschwindeln sich hohe Beträge mit Mundschutzmasken, die es nicht gibt; die Zahl der betrügerischen E-Mails mit entsprechenden Angeboten steigt sprunghaft an.

Dieselben Mediziner denken jetzt über Lockerungen des Kontaktverbots nach. Nicht, weil sie Schäden für eine freie, demokratische und solidarische Gesellschaft fürchten, ihnen geht es jetzt um die Herdenimmunität. Ein Wort, das jetzt schon ganz oben auch der Liste der Unwörter des Jahres stehen sollte. Der Gedanke dahinter, dass dieses Virus einfach verschwindet, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung, Verzeihung, Herde, infiziert wurden und Antikörper entwickelt haben, ist einfach unethisch. Es bedeutet nämlich auch, dass unser Gesundheitssystem zum Kollabieren gebracht wird und Ärzte gegen ihren hippokratischen Eid verstoßen lassen, dem Gebot, Kranken nicht zu schaden. Sie werden zu den Göttern in Weiß, die entscheiden müssen, ob Systemrelevante oder die Angehörigen der Risikogruppe aussortiert werden, weil nicht genug medizinische Ausrüstung zur Verfügung steht. Von der Zahl an Ärzten und Pflegepersonal ganz zu schweigen. Die Zahl der Verstorbenen in Italien und Spanien geben dieser These recht.

Durch die (un)sozialen Netzwerke geistern Videos und Verschwörungstheorien, befeuert von Halbwahrheiten und Spekulationen. Täglich neue Schreckensmeldungen, Zahlen und Rechenmodelle verhindern ein objektives Bild der Situation. Das Meiste von dem, was jetzt durchgesetzt wird, fühlt sich einfach falsch oder undurchdacht ausgeführt an. Auf- und Abwiegler führen einen unsinnigen Kampf gegeneinander, die Menschen sind verunsichert. Die Stunde der Dummschwätzer und Heißdüsen hat geschlagen.

Auch der Gedanke, man könne jetzt ein Rentensystem sanieren, aus dem sich die Politik seit Gründung der Bundesrepublik großzügig bedient hat, könnte möglicherweise bei solchen Überlegungen eine Rolle gespielt haben?

Was in dieser Krise doch plötzlich alles politisch möglich wird! Aussichtsreiche Kandidaten für Muttis Nachfolge, wie Norbert Röttgen, Jens Spahn und Armin Laschet wirft es aus dem Rennen. Umweltstars wie Robert Harbeck versinken in der Bedeutungslosigkeit. Es ist die Stunde der Macher. Der Finanzminister schmeißt mit vollen Händen Milliarden Euros aus dem Fenster, die er sich bei den Banken leiht, die 2008 mit dem Geld der Steuerzahler gerettet werden mussten, weil sie dem Glücksspiel verfallen waren, und steigt dafür in den Popularitätsumfragen um diverse Punkte. Für Markus Söder zahlt es sich jetzt aus, dass er seinen Bayern nach dem Mund geredet hat. Er wird jetzt in der ganzen Bundesrepublik als Macher wahrgenommen, die Stunde der Krisenmanager hat geschlagen. Und die CDU/CSU erklimmt in den Umfragen der Medien Spitzenwerte. Erinnern wir uns an den Februar 1962, ein Innensenator trat in Hamburg als Macher auf und wurde Bundeskanzler.

Aus Muttis Schatten tritt jetzt Helge Braun und profiliert sich als Krisenmanager. Er war Narkosearzt, bevor er in die Politik ging und er beschreibt seine ärztliche Kunst so: Sie besteht nicht aus dem Einschlafen lassen, sondern aus dem Aufwachen lassen.

Er ist Kanzleramtsminister und arbeitet mit Hochdruck an einer Bewegungs-App. Nicht, dass er sich darüber Gedanken macht, wir könnten uns in der Krise zu wenig bewegen, nein, es geht um BewegungsprofileTracking kennen wir bereits als Nutzerverfolgung per Coockie, wenn wir im Internet einkaufen. Im hohen Norden bekommen Elche GPS-Halsbänder umgehängt, um ihre Wanderbewegungen überwachen zu können. Wir tragen freiwillig ein Smartphone mit eingeschaltetem GPS-Sensor mit uns herum., die jetzt per Smartphone und Tracking-App erstellt werden können. Es geht also um die Überwachung jedes Einzelnen von uns, egal ob das überhaupt sinnvoll oder gar mit unserer Verfassung vereinbar ist, es ist jetzt politisch durchsetzbar und darum geht es! Wie haben wir das Vorwort unseres letzten Buches überschrieben? Wehret den Anfängen? Die Welt nach Corona wird eine andere sein, wenn wir aus unserer Narkose wieder erwachen, es beginnt sich deutlich abzuzeichnen.

Spontan fällt mir der Ausspruch des sechsten Präsidenten der Bundesrepublik Richard von Weizsäcker ein:
Nur eine solidarische Welt kann eine gerechte und friedvolle Welt sein. Gemeint hat er den sozialen Fortschritt, nicht den wirtschaftlichen. Hoffen wir, dass wir aus dieser Krise etwas lernen, und unsere Welt nach Corona gerechter, friedvoller und vielleicht sogar klimaneutral sein wird.

Hartmut Kennhöfer, 10. April 2020