12Mai2022

Was ist wirklich notwendig?

Margot Bintig

Flug von Frankfurt nach Kapstadt in Südafrika. Der Abflug ist spätabends bei Dunkelheit. Wir fliegen über Deutschland, Österreich und Italien. Hier kann ich am Boden viele hell erleuchtete Städte sehen. Es ist unterhaltsam, die Städte anhand ihrer Lichter zu erkennen, denn jede Stadt hat einen besonderen Lichtabdruck. Eine Anleitung dazu gab es im Bordmagazin der Fluggesellschaft.

Dann verlassen wir Europa, fliegen über das Mittelmeer und erreichen Afrika, den zweitgrößten Kontinent der Erde. Es ist Zeit zum Schlafen und die Lichter im Flugzeug werden gelöscht. Aber wie immer kann ich während eines Fluges kaum schlafen und sehe aus dem Fenster. Unter mir ist alles dunkel. Stundenlang keine erleuchtete Stadt. Der Name schwarzer Kontinent bekommt jetzt eine andere Bedeutung.

Im Kontrast zu Afrika bieten Nachtflüge über Nordamerika und Teilen von Asien ein noch helleres Bild als Flüge über Europa. Hier kann man es sich anscheinend noch leisten, verschwenderisch mit der Energie umzugehen. Satellitenaufnahmen zeigen nachts das Lichtermeer der Großstädte, in denen die Nacht zum Tage gemacht wird. Um diesen Strahlungsquellen zu entgehen, werden Hochleistungsteleskope meist an Orten fernab großer Städte und Handelsrouten gebaut, wie etwa in der chilenischen Atacama-Wüste. Wer von uns hat schon einmal die Milchstraße gesehen, die man bei völliger Dunkelheit mit bloßem Auge erkennen kann? Die meisten von uns kennen sie nur aus dem Süßwarenregal (Milky Way).

Für die USA wird geschätzt, dass bereits in den 1990er-Jahren eine Milliarde Dollar pro Jahr für die nächtliche Beleuchtung ausgegeben wurde. Las Vegas war zu dieser Zeit mit einem Verbrauch von rund 20 Millionen Megawattstunden der größte Stromfresser der Welt. Heute haben sicherlich die großen asiatischen Städte wie Tokio und Shanghai diesen zweifelhaften Rekord überholt.

Aber zurück nach Deutschland, das jetzt ein großes, überwiegend selbstgemachtes Energieproblem hat. Meine Freundin hat von ihrem Wohnzimmer aus einen fantastischen Blick über die Frankfurter Skyline. Zugegeben, ein spektakuläres Bild bei Nacht. Doch jetzt erzählte sie mir am Telefon, dass trotz aller Energiesparappelle bis zur Morgendämmerung noch alles hell erleuchtet ist.

Diese hell angestrahlten Fassaden sind überall eine Selbstverständlichkeit. Um einen Büroturm in den nächtlichen Glanz der Stadt gut einzufügen, wurden ein Stararchitekt und ein Lichtplaner beauftragt, ein spezielles Lichtdesign zu entwickeln, denn Licht lässt die Architektur erst zur Geltung kommen, wie die Macher betonen. Licht, das ungenutzt in die Umgebung oder den Himmel strahlt, erfüllt keinen Zweck und nutzt niemandem, es ist sinnlose Energieverschwendung! Damit ist keinesfalls die Straßenbeleuchtung gemeint.

Diese Energieverschwendung betrifft alle großen Städte. Nach einem Nachtflug ist die Landung in Hamburg ein Eintauchen in ein Lichtermeer. Da ich den Stadtplan von Hamburg kenne, weiß ich, dass die dunklen Flecke die Alster, der Stadtpark und der Ohlsdorfer Friedhof sind.

In Hamburg ist ein Lichtkünstler am Werk, der mit über 12.000 Licht-Elementen an rund 150 repräsentativen Gebäuden und Schiffen den Hamburger Hafen alle zwei Jahre in ein leuchtendes Blau versetzt. Es ist schön anzusehen, doch dass auch in diesem Jahr, in dem Energieeinsparung eines der Hauptthemen ist, dieses Ereignis im August wieder stattfindet, ist mir unbegreiflich. Hamburg ist wohl die einzige Stadt, in der sogar ein Klärwerk farbig beleuchtet wird.

Die Beleuchtungsindustrie behauptet zur Kritik an der Lichtverschmutzung: Bis zu 50 Prozent Energie sparen LEDs im Vergleich zu einer herkömmlichen Beleuchtung, so tragen die Leuchtdioden maßgeblich zur Reduktion von Energie und CO² bei. Wenn bei unnötigem Energieverbrauch 50 Prozent eingespart wird, bleibt immer noch die Hälfte, die sinnlos verbraucht wird, und das trägt in keinem Fall zur Reduktion von CO² bei.

Als Zeichen gegen die Energieverschwendung und Lichtverschmutzung – die noch weitere Auswirkungen auf Mensch und Tier hat – wurde vom WWF (World Wide Fund For Nature) 2007 die Earth Hour ins Leben gerufen. Einmal im Jahr schalten viele tausend Städte für eine Stunde die Beleuchtung ihrer Bauwerke aus. Es soll ein großer Erfolg sein, weil so viele mitmachen. Doch es bleibt nur ein Zeichen, geändert hat sich bisher nichts.

In Deutschland gibt es kein Gesetz, welches die Umweltverschmutzung durch Licht verfolgt, jedoch unzählige Bestimmungen für das Anbringen der Beleuchtung, die in den Kommunen und Ländern abweichen. Lediglich Tschechien hat das weltweit erste Gesetz zur Reduzierung der Lichtverschmutzung, das landesweit gilt.

Wenn ich die Nachrichten verfolge, lese ich: Durch die Energiekrise bekommen wir Arbeitslosigkeit, Inflation, Versorgungsengpässe, kalte Wohnungen und viele weitere Horror-Szenarien. Die Bevölkerung wird aufgerufen, Energie zu sparen, und es gibt den Ratschlag, Wolldecken und warme Pullover zu kaufen.

Bis zur versprochenen Energiewende wird es sicherlich noch eine Weile dauern. Warum fangen wir nicht schon jetzt mit dem an, was wir sofort umsetzen können und niemandem richtig weh tut? Das wäre unter anderem die beschriebene Lichtverschmutzung oder ein Tempolimit. Es gibt viele Dinge, auf die wir ohne große Einschnitte in die Lebensqualität direkt verzichten können.

Was ist wirklich notwendig?

Margot Bintig, im Mai 2022